Reinheitsgebot

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Das Blog zum Bier

“So will ich kein Bier machen”

Vor fünf Jahren hat er die Privatbrauerei Glaabsbräu radikal umgestellt. Im Interview spricht Robert Glaab über Massenware und Craft-Produkte, die falsche Ansprache von Frauen und den richtigen Verkauf.

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© F.A.Z. Rainer Wohlfahrt“Wir sind ein Start-up mit Historie”: Glaab im Sudhaus seiner Seligenstädter Brauerei

Seit 1744 wird hier gebraut: Robert Glaab, Nachfahr des Gründers, führt Glaabsbräu in Seligenstadt in neunter Generation. Der 53 Jahre alte Betriebswirt, der seit 2007 auch Biersommelier ist, trat 1999 in die Firma ein und übernahm sie ein Jahr später. Glaabsbräu ist inzwischen die einzige Privatbrauerei in der Region; auf dem Betriebsgelände befindet sich auch eine Gaststätte. Mit 15 Mitarbeitern erwirtschaftet die Brauerei, die im Jahr gut 15 000 Hektoliter abfüllt, einen Umsatz von rund 2,5 Millionen Euro. Vor fünf Jahren leitete Robert Glaab eine Neuausrichtung des Unternehmens ein. Im Interview erzählt er, warum.

F.A.Z.: Herr Glaab, in welchem Alter haben Sie Ihr erstes Bier getrunken?

Robert Glaab: Bestimmt als kleines Kind schon, ich bin ja mit Bier groß geworden, in einer Brauerfamilie. Aber wirklich Bier zu trinken, damit habe ich ziemlich spät angefangen. Meines erstes Bier hatte ich bei der Bundeswehr.

Hat es Sie überzeugt?

Nicht so richtig. Das kam erst später, während meines Studiums. Da habe ich Weizenbier kennengelernt, das hat mir ganz gut geschmeckt, und so habe ich mich langsam an das Thema herangetastet. Heute ist Bier ja mein täglich Brot – ich trinke es aber auch wirklich gerne, abends zum Essen zum Beispiel.

Der Pro-Kopf-Verbrauch von Bier in Deutschland lag Anfang der neunziger Jahre bei 143 Litern, inzwischen sind es um die 100. Können Sie verstehen, dass das Getränk, das Sie ihr täglich Brot nennen, so viel weniger Leuten schmeckt als früher?

Sehr gut. In der Brauwirtschaft sind wir zu Massenproduzenten verkommen. Der Großteil der Betriebe stellt Produkte her, die sich nicht mehr unterscheiden. Ob Pils oder Export oder ein Helles, das können Sie vom Geschmack her oft nicht auseinanderhalten, auch nicht vom Aussehen oder vom Geruch. Dass der Verbraucher da irgendwann die Lust verliert, verstehe ich. Aber es gibt nicht nur die Leute, die sich abwenden, es gibt auch jene, die etwas Neues entdecken wollen. Und wo die Hersteller darauf eingehen, da steigen die Marktanteile, da steigt der Konsum.

Ihr Betrieb hat sich verändert in jüngerer Vergangenheit. Wie kam das?

2013 habe ich mir sehr viele Gedanken darüber gemacht, wo es mit unserer Firma hingehen soll. Und bin zu dem Schluss gekommen: Wir wollen weg von der Massenbier-Thematik. Gerade als kleine Brauerei müssen wir eine eigene Identität haben. Und die gewinnen wir nur, wenn wir charaktervolle Biere brauen.

Der Unterschied zwischen Ihrer Brauerei und einer, in der eines der sogenannten Fernsehbiere entsteht?

Wir sagen: Wir brauen Bier anders. Es gibt im Bier eine größere Aromenvielfalt als im Wein. Die Rohstoffe geben so viele Möglichkeiten her, die wollen wir nutzen. Um etwas daraus zu machen, das sich von der Massenware unterscheidet.

Was hat diese Umstellung für Ihren Betrieb bedeutet?

Einen kompletten Neustart. Wir haben uns noch einmal erfunden, von der Ausstattung über die Mitarbeiter bis hin zum Markenauftritt. Man könnte sagen, wir sind heute ein Start-up-Unternehmen mit Historie.

Herzstück Ihres Unternehmens ist die Brauanlage. Sie haben 2015 eine neue eröffnet, einen Gerätepark in einer großen, hohen Halle, nichts mehr mit kupfernen Sudkesseln. Wie wichtig ist für ein modernes Bier die Technik?

Sie ist ein Baustein von mehreren. Für modernes Arbeiten braucht man eine gewisse Ausstattung. Zuerst muss aber die Vorstellung davon da sein, wo man hinwill. Ich habe mich, bevor wir neu angefangen haben, eine Weile zurückgezogen und mir sehr viele Gedanken gemacht, habe eine Vision aufgeschrieben, wo ich hinwill mit dem Betrieb. Und das habe ich dann Schritt für Schritt umgesetzt. Das Wichtigste dabei war, dass ich das im Kopf hatte.

Weil Sie der Eigentümer sind.

Weil sich ein Unternehmen nur ändern kann und weil sich die Mitarbeiter nur ändern werden, wenn sich auch der Chef ändert.

© F.A.Z. Rainer WohlfahrtRobert Glaab nimmt eine Probe im Lagerkeller, in dem seine Biere betont lange zubringen.

Ganz grob: Ihre Biere heute und die von vor dem Neustart unterscheiden sich wie?

Sie sind charaktervoller geworden, sind anders hergestellt, schmecken anders. Wir legen noch mehr Wert auf die Herkunft der Rohstoffe. Und wir setzen zum Beispiel heute naturbelassenen Hopfen ein, kein Hopfenextrakt.

Das haben Sie früher getan?

Wie alle anderen Brauereien auch. Wir setzen heute auch kein PVPP ein. . .

…Polyvinylpyrrolidon, ein Kunststoff, der bei der Bindung von Trübstoffen hilft und zur Haltbarmachung eingesetzt wird…

…ja, unter anderem. Machen wir nicht, wir setzen auch keine Stabilisatoren ein. Früher haben wir das alles getan, so wie alle anderen auch. Das ist alles erlaubt und widerspricht nicht dem Reinheitsgebot. Aber das Bier wird natürlich anders, wenn man auf diese Hilfsmittel verzichtet.

Sie haben gesagt, nichts ändere sich, wenn sich nicht der Chef ändere. Hatten Sie ein Erweckungserlebnis?

Das war ein längerer Prozess. Und an seinem Ende stand bei mir die Erkenntnis: Alles gut und schön, was wir hier tun, aber so sind wir in der Zukunft nicht erfolgreich. Und so will ich auch in der Zukunft kein Bier brauen.

Die Brauerei Glaab hätte ohne diese Veränderung nicht überlebt?

Davon bin ich überzeugt.

Sie nennen nur ein paar Ihrer Biere so, aber sind inzwischen nicht im Grunde alle, die bei Ihnen gebraut werden, Craft-Biere?

Das sind sie. Aufgrund dessen, wie sie hergestellt sind.

Was bestimmt vor allem den Geschmack eines Bieres? Sind es die Rohstoffe?

Die Rohstoffe natürlich, aber das Brauverfahren vor allem ist ein Riesenfaktor. Darüber können Sie noch sehr viel steuern und großen Einfluss nehmen auf das Endprodukt.

Nämlich wie?

Ach, es gibt Tausende Faktoren. Temperatur, Kochzeiten im Sudhaus, Rastzeiten im Sudhaus, im Gärkeller. Welche Hefe nutze ich, wie lange lasse ich das Bier mit welcher Hefe gären, wie lange lagere ich das Bier im Tank. Wähle ich ein Schnellbrauverfahren, oder lasse ich dem Bier Zeit.

Was Sie vermutlich tun?

Bei uns bleibt das Bier zum Teil drei Monate in den Tanks. Das ist natürlich kostenintensiv, weil ich die Lagerkapazität brauche. Aber das Bier wird dadurch besser, es schmeckt runder, es zeigt mehr von seinen Aromen. Bei manchen Sorten kommt noch das sogenannte Hopfenstopfen dazu: Dann wird nicht nur beim Sieden Hopfen dazugegeben, sondern auch während das Bier kalt lagert. So nimmt es noch mehr von den ätherischen Ölen im Hopfen auf und von seinen Geschmacksnoten, die fruchtig sein können oder kräuterig.

Jetzt klingen Sie fast wie ein Winzer oder ein Sommelier.

Biersommelier bin ich ja.

Wofür braucht man eine solche Qualifikation? Sind im Bier wirklich ähnlich viele aromatische Noten enthalten wie im Wein?

Es sind noch mehr. Und verschiedene Biere kann man wunderbar mit verschiedenem Essen kombinieren, auch mit Käse, mit Schokolade sogar.

Klassische Biere, heißt es oft, seien ein klassisches Männergetränk.

Man hat jahrelang den Frauen eingeredet, dass sie nichts Bitteres mögen. Und dann solche Werbesprüche wie: Löscht Männerdurst… Das ist natürlich alles Quatsch. Frauen mögen durchaus auch bittere Biere, unser Hopfenlust zum Beispiel, das kommt bei Frauen sehr gut an, aber durchaus auch das Reifeprüfung.

Ersteres zumindest ist aber auch gar so bitter, oder?

Wie man es nimmt. Hopfenlust ist sehr hopfenaromatisch, hat vor allem Citrusnoten und 25 Bittereinheiten. Reifeprüfung hat 50 Bittereinheiten, das ist schon eine ganze Menge – zum Vergleich: Ein Pils hat um die 30. Aber wir fangen das Bittere in unserem Bier auf, mit mehr Körper, so dass ein schönes, aromatisches Getränk entsteht, bei dem das Bittere nicht im Vordergrund ist. Das können Sie vergleichen mit dem Thema Säure beim Weinausbau, da geht es ja auch darum, die Balance zu halten.

In der Gastronomie muss man solche Biere wahrscheinlich erklären, um sie verkaufen zu können.

Wenn in einem Lokal der Service oder der Wirt diese Produkte liebt und für sie werben kann, dann funktioniert das. Wir machen die Hälfte unseres Umsatzes mit der Gastronomie und mit Fassbieren. Und wir haben unter diesen Kunden ein italienisches Restaurant, dessen Wirt richtig, richtig viel Craft-Bier verkauft, weil er selbst begeistert davon ist. Sie sehen also, auch in einem eigentlichen weinlastigen Umfeld kann Bier sehr gut laufen.

In der gehobenen Gastronomie fristet Bier, selbst sehr gutes, aber insgesamt ein Schattendasein.

Leider ist es sehr oft so, dass Gastronomen, wenn sie Bier ausschenken, eines wählen, von dessen Brauerei sie die höchsten Werbekostenzuschüsse bekommen. Da müsste ein Umdenken hin zur Qualität stattfinden. Und wir als Craft-Brauer müssen noch viel Aufklärungsarbeit leisten. Auch in einem Sterne-Lokal: Warum soll man da kein Bier trinken, als Aperitif zum Beispiel? Warum soll es da keine Auswahl von Premium-Bieren geben?

Noch einmal Bier und Speisen: Was passt zusammen?

Ein Steak vom Grill zum Beispiel hat Röstaromen, die ich in einem dunklen Bier, bei dem ja das Malz geröstet worden ist, auch habe. Da entstehen zum Beispiel Kakaonoten, die perfekt zu dem Fleisch passen. Bei Geflügel würde ich eher ein Helles nehmen, ein Hefeweizen zum Beispiel, auch zu den meisten Fischen. Obwohl, zu einem gebratenen Lachs: Da passt auch ein bernsteinfarbenes Bier. Und probieren Sie mal Austern mit einem dunklen Bier oder ein fruchtiges Bier zum Spargel. Das sind wunderbare Kombinationen.

Die Fragen stellte Jacqueline Vogt.