Blogseminar

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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

Kenianisches Feldtagebuch (1)

Für ihren Masterabschluss im Fach Ethnologie muss unsere Autorin für sechs Monate “ins Feld”. Hier berichtet sie von den Vorbereitungen auf Kenia, in das sie wegen Unruhen verspätet einreist.

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Teil Eins: Die Vorbereitungen

Die alten, berühmten Ethnologen, die „Urväter“ des Fachs, die uns das gesamte Studium hindurch hinterher jagen wie unliebsame Hausgeister, schleppten zu ihren Zeiten den halben Haushalt in schweren Truhen „ins Feld“. So zogen ganze Trosse von meist einheimischen Trägern durch den afrikanischen Busch oder den Dschungel einer Südseeinsel, bepackt mit viktorianischem Mobiliar von Spiegel bis Schreibtisch, kiloweise Papier und literweise Alkohol für die einsamen Abendstunden.

Heute ist kein Ethnologe mehr stolz auf diese kolonialistischen Feldeintritte, deswegen tragen wir unseren Rucksack selbst, wenn wir auf Forschung gehen. Die Feldforschung, eine in der Regel mehrmonatige oder gar jahrelange Forschung zu einer bestimmten Fragestellung, die meist im Ausland stattfindet, ist dabei nicht nur Alleinstellungsmerkmal, sondern auch immer noch eine Art Initiationsritus im Fach. Und so begeben wir Studenten uns allerspätestens im Masterstudium, finanziert durch Stipendien und Universitäten, allesamt ins Feld, um danach unsere Abschlussarbeiten über diese Zeit zu verfassen.

In meinem Gepäck befinden sich weder Möbel noch Schnaps, dafür zwei dicke Schmöker, ein Schlafsack, eine leichte Regenjacke, Laufschuhe, viele T-Shirts und Sportklamotten. Denn mein „Feld“ heißt Kenia. Kenia liegt am Äquator und somit herrscht in vielen Landesteilen eine konstante Temperatur zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Grad – auch während der Regenschauer, die das Land in der bald beginnenden Regenzeit gelegentlich überziehen.

Ich habe vor, ein Projekt in Juja zu „beforschen“, wie der Ethnologe sagt. Juja ist eine Kleinstadt und liegt etwa fünfundvierzig Minuten von der Hauptstadt Nairobi entfernt. Das dort ansässige Projekt „Nguvu Edu Sport e.V.“, gegründet von einem deutschen Auswanderer, hat sich zum Ziel gesetzt, sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen durch Sport – insbesondere Fußball – Werte wie Respekt, Toleranz und Selbstbewusstsein zu vermitteln. Meine Aufgabe als Ethnologin wird – grob gesagt – sein, innerhalb von vier Monaten herauszufinden, ob und wie das funktioniert. Dabei stellen sich als Forschungsfragen, welche Elemente der Projektarbeit entscheidend auf die Wertebildung der Kinder wirken, mit welchen anderen Werten der teilnehmenden Kinder die zu vermittelnden Konzepte eventuell im Konflikt stehen und inwiefern sich die Wertideen der Organisation tatsächlich in der sozialen Realität der Teilnehmer abbilden.

Deshalb habe ich Laufschuhe und Sportkleidung eingepackt. Denn die zentrale Forschungstechnik der Ethnologie nennt sich „teilnehmende Beobachtung“. Dass unsere Untersuchungen auf einem Oxymoron fußen, impliziert nicht nur gelegentlichen Spott aus anderen Disziplinen, sondern auch eine besondere Vorbereitung und Herangehensweise in der Forschung. Ich werde mich nach den Trainingseinheiten der Kinder nicht einfach nur neben sie stellen und fragen, ob sie schon selbstbewusster geworden sind oder versuchen, derartiges aus ihrem Verhalten zu erkennen. Ich soll teilnehmen, die Gruppendynamik und einzelne Ereignisse mitfühlen und -erleben – und das heißt, ich werde mitlaufen, mitspielen, im Team dabei sein.

In der Vorbereitung hieß das zunächst für mich auch: trainieren. Ein Großteil der sportlichen Aktivitäten des Projekts besteht aus Ausdauersport: Fußball, Zehn-Kilometer-Läufe, Wandern, Sprint-Training. Also kaufte ich mir gute Laufschuhe und rannte zwei Monate lang den Main auf und ab, denn in meinem bisherigen Tempo hätte ich gegen eine Horde kenianischer Halbwüchsiger nicht den Hauch einer Chance.

Auf gepackten Koffern

Natürlich besteht meine Feldforschung nicht nur aus einem viermonatigen Training mit afrikanischen Nachwuchssportlern. Deshalb befinden sich in meinem Handgepäck auch eine Menge leere Hefte und Notizbücher, die später zu Feldtagebüchern, Personenregistern und Feldprotokollen werden. Einige Fragebögen und Interviews stecken ebenfalls bereits vorbereitet im Rucksack.

Es war ein recht langer Weg bis zum gepackten Koffer. Da ich bereits meine Bachelor-Arbeit über ein Entwicklungszusammenarbeitsprojekt in Kenia verfasst habe, waren Thema und Feldzugang schnell gefunden. Dann musste ein Konzept ausgearbeitet, Methoden-, Zeit-, Arbeits- und Kostenpläne erstellt und in verschiedenen Kolloquien und Seminaren mehreren Dozenten und vor allem dem Betreuer meiner Masterarbeit präsentiert werden. Um ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes zu bekommen, habe ich zusätzlich die Landessprache Kiswahili gepaukt, meine Englischkenntnisse testen lassen und verschiedene Dozentengutachten eingeholt.

Nun kann ich mich mäßig auf Kiswahili verständigen, mein Konzept steht, das Stipendium habe ich in der Tasche, und zehn Kilometer laufe ich auch in einem halbwegs ordentlichen Tempo. Am dritten Oktober hätte mein Flug gehen sollen – doch ich bin immer noch in Deutschland. Der Leiter des Projekts äußerte in der letzten Septemberwoche Sorge über die zunehmend instabile politische Situation in Kenia im Vorfeld der Präsidentschafts-Neuwahlen am 26. Oktober und bat mich, meinen Forschungseintritt um einen Monat zu verschieben. Auch meine Universität riet mir, die Wahlen angesichts der aktuellen Entwicklungen abzuwarten. So habe ich meinen Flug auf den 6. November verschoben und sitze bis dahin auf gepackten Koffern.

Der Bericht wird fortgesetzt.