Blogseminar

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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

Dollase vs. Mensa (20)

Im Berliner Mensen-Vergleich hat die Humboldt-Universität klar die Nase vorn. Gleich beide Testgerichte überzeugen durch gute Komposition. Mit den Leitlinien des Studentenwerks hat das aber wohl nichts zu tun.

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Jürgen Dollase testet die Mensa (Süd) der Humboldt-Universität Berlin

Alle Mensatests finden Sie hier.

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Berlin, liebe Freunde, ist auch Sitz des deutschen Studentenwerks, und das hat eine Referat für Hochschulgastronomie. Auf der Website findet man zehn „Qualitätsleitlinien“, die ich hier vorstellen, kommentieren und auf ihre kulinarische Relevanz hin befragen möchte. Die Leitlinien sind – um das vorwegzunehmen – auch ein Dokument von kulinarischem Behördendeutsch. Hier die Leitlinien (fett gedruckt) und meine Kurzkommentare.

1. Wir verpflichten uns, unseren Einkauf von Lebensmitteln nachhaltig auszurichten. Wir verwenden zunehmend Fisch und Fleisch aus bestandsschonendem Fang beziehungsweise artgerechter Haltung. Zudem setzen wir nach Möglichkeit regionale, Bio- oder Fairtrade-Produkte ein.

Klingt sehr lobenswert, ist aber eher Nahrung für das gute Gewissen. Man sollte vor allem darauf achten, Rezepturen zu verwenden, bei denen die bessere Qualität der Produkte schmeckbar wird. Überwürzung oder zum Beispiel eine dicke Panierung verhindern so etwas. In der Leitlinie ist ein Rückzieher eingebaut: Was heißt „zunehmend“? Ist man bei Null und will besser werden? Was heißt „nach Möglichkeit“?

2. Sicherheit und Nachverfolgbarkeit haben bei den von uns eingesetzten Lebensmitteln oberste Priorität. Dies überprüfen wir durch Lieferantenaudits und mikrobiologische Untersuchungen. Mit unseren Lieferanten pflegen wir einen fairen Umgang.

Klingt ebenfalls sehr lobenswert. Aber – wie steht es mit den geschmacklichen Aspekten? Alle Leute, die sich wie ein kulinarischer Zweig technologisch orientierter Testinstitute aufführen, müssen sich fragen lassen, ob es eigentlich beim Essen nur um technische Termini geht.

3. Bei der Speisenplanung orientieren wir uns an den Gästewünschen und legen großen Wert auf Frische, Qualität, Auswahl, Ernährungsphysiologie und Nährwertoptimierung. Auf deklarationspflichtige Zusatzstoffe verzichten wir, wo immer es geht, Gentechnisch veränderte Lebensmittel werden nicht eingesetzt.

„Orientierung an Gästewünschen“ klingt immer gut, ist aber eine verminte Kategorie, weil sie auch für industrielles Denken steht. Hamburger-Ketten oder Fertiggerichthersteller tun nichts anderes. Vielleicht könnte man ja auch das Anliegen haben, die Kundschaft mit ein paar faszinierenden kulinarischen Dingen bekannt zu machen, die sie sich noch nicht wünschen können, weil sie sie nicht kennen. – Die Sache mit den Zusatzstoffen ist bizarr: wenn man verzichtet „wo immer es geht“ ist das quantitativ nicht lokalisierbar. Außerdem weiß man, dass es einen ganze Menge von nicht deklarationspflichtigen Zusatzstoffen gibt, die oft nicht weniger problematisch sind. Eine Null-Aussage.

4. Wo es möglich ist, verzichten wir aus ökologischen Gründen auf Einwegartikel und unnötiges Verpackungsmaterial. Müllvermeidung steht im Vordergrund. Der Abfall wird möglichst einer Verwertung zugeführt.

Eine politisch korrekte, nicht anfechtbare Gummi-Aussage. Und – obwohl vom Essen und vom Geschmack bisher noch nicht wirklich die Rede war, geht es schon um Abfallvermeidung.

5. Zur Sicherstellung unseres hohen Hygienestandards verfügt jedes Studentenwerk über ein durchgängiges Hygienekonzept. Es wird regelmäßig durch staatliche und externe Einrichtungen überprüft.

Siehe oben. Die Sauberkeit von Großküchen im öffentlichen Bereich ist auf den ersten Blick sicher ohne Fehl und Tadel. Kopfbedeckungen gegen das Haar in der Suppe und Handschuhe haben noch immer beeindruckt. Man denkt aber auch an die Krankenhäuser, die immer als Ausbund an Hygiene galten und jetzt wegen Krankenhauskeimen mächtig in Verruf geraten sind. Sauber ist eben nicht „rein“, wie einmal die Waschmittelwerbung suggerierte. Aber – wo bleiben denn endlich die kulinarischen Aspekte? Genuss und sinnliche Erfahrung? Essen als kommunikationsfördernde, gesellige Einrichtung, als Teilhabe an einem der wichtigsten Zweige unserer Kultur, als hochwillkommener Ausgleich nach viel Konzentration? Oder auch: Mensa-Essen als ein wichtiger Kontakt zu neuen (oder auch alten) Geschmäckern?

6. Zur Gewährleistung eines gleichbleibend hohen Qualitätsstandards aller Produktionsschritte und Waren existiert ein Qualitätssicherungssystem. Es wird stetig weiterentwickelt.

Was aber versteht man unter „Qualität“? Bei diversen Mensaessen konnte ich den Eindruck gewinnen, dass gerade die kulinarische Qualität (einmal unterstellt, sie ist hier neben all den technischen Aspekten ebenfalls gemeint) dringend einer Auffrischung und eines neuen Verständnisses bedürfte. Man arbeitet häufig entweder altmodisch wie vor Jahrzehnten oder versucht sich konzeptlos an moderneren Aspekten. Noch einmal: welche kulinarischen Qualitätsvorstellungen hat man beim Deutschen Studentenwerk? Keine?

7. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind entscheidend für den Erfolg unserer Einrichtungen. Darum fördern wir sie gezielt und bieten ihnen regelmäßige Weiterbildungsmöglichkeiten an. Wir bilden in unterschiedlichen Berufen aus.

Ja, klar, das spielt alles eine Rolle. Aber wie sind die Inhalte? Es ist – siehe Punkt 6 – oft nicht zu erkennen, dass die Köche in den letzten Jahren (um nicht „Jahrzehnten“ zu sagen) irgendeine Form von kreativem Input bekommen hätten, der irgendetwas mit der stürmischen und spannenden Entwicklungen der Gastronomie und der veränderten kulinarischen Sozialisation der Studenten zu tun hätte.

8. Wir gehen sorgfältig und sparsam mit den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen um.

Eine betriebswirtschaftliche Leitlinie, die heute längst eine kulinarische sein müsste und im ersten Moment an die Propagierung besserer Resteverwertung denken lässt. Haben Sie – dumme Frage – schon einmal Kohlrabi gegessen? Haben Sie auch schon einmal frittierte und/oder karamellisierte Kohlrabiblätter oder ein Ragout von Kerngehäusen gegessen? Wirkliche „Reste“-Verwertung kann faszinierend sein, neue Genüsse und neue Sensibilitäten erzeugen. Wenn man die Reste alle irgendwo in einer undefinierbaren Suppe unterbringt, denkt man nur vordergründig vernünftig. Hier braucht man einen gründlichen, modernen Parameterwechsel, eine Entwicklung der Geschmacksbilder.

9. Die Meinung unserer Gäste ist uns wichtig. Deshalb führen wir regelmäßig Zufriedenheits- und Gästeumfragen durch und geben ein Feedback. Die Ergebnisse fließen in unsere Arbeit ein.

Das erinnert indirekt an die unsäglichen Tests in allen möglichen Medien, in denen die Produkte verschiedener Discounter und Supermärkte ohne irgendein inhaltliches Konzept und von Laien bewertet werden. Der Testsieger hat dann zum Beispiel die besten Ravioli und wird das fortan verkünden. Dass auch diese „besten“ nicht mehr als vielleicht 10 Prozent der möglichen Qualität erreichen, spielt keine Rolle. Der Erfolg eines Gerichtes in einer Mensa ist einfach eine sehr relative Angelegenheit – zum Beispiel, weil es keine wirkliche Konkurrenz gibt oder neuen Ideen keine Entwicklungszeit eingeräumt wird, in der man sich an sie gewöhnen kann und sie lieben lernt. Ja, natürlich sollen die Gäste zufrieden sein. Aber es ist die Frage, wie man dieses Echo bewertet (siehe Punkt 3).

10. Diese Leitlinien werden regelmäßig von autorisierten, externen Unternehmen überprüft.

Eine weitere Aussage ohne großen Informationsgehalt. Es wird ja überhaupt nicht klar, wie diese Leitlinien inhaltlich tatsächlich gefüllt sind. Wenn man dann „autorisierte“ Unternehmen zitiert, deren Leitlinien vermutlich ähnlich schwammig und inhaltlos sind, hat man nur da Erfolg, wo technologische Kriterien eine Rolle spielen. Was sagt die mikrobiologische Belastung einer Arbeitsfläche über die Qualität eines dort produzierten Essens aus? Eigentlich nur, ob es gesundheitlich bedenklich oder unbedenklich ist – nein, falsch, ob es bestimmte Grenzwerte einhält. Die verkürzt-technologische Betrachtung von Essen gehört neben dem paradoxen Dünkel und den Vorurteilen gegenüber wirklich gutem Essen zu den ganz großen kulinarischen Macken unseres Landes. Diese „Qualitätsleitlinien“ sind vielleicht eher der Grund für die schwachen denn Grundlage für besseren Mensa-Essen.

Mit den besten Grüßen, Ihr Jürgen Dollase

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