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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

Geht das Serienwunder in die “Tatort”-Falle?

Amerikanische Fernsehserien sind besser als deutsche. Doch in der Schwemme von Neuproduktionen muss man inzwischen feststellen: da nutzt sich gerade ein Erfolgsrezept ab. Die Zutaten werden immer offensichtlicher. Achte Folge unserer Reihe “Serienversteher”.

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© HBOStatisch: die siebte Staffel der Thronkämpfe

Die neuesten Folgen von “Game of Thrones” waren bisher enttäuschend. Es wurde ungeheuer viel im Stehen verhandelt, zur Abwechslung gab es pro Folge ungefähr zwei Psychoduelle und eine blutige Schlacht. Dachte man nach der sechsten Staffel, die von den Drehbuchautoren ohne Hilfe der Buchvorlage von George R. R. Martin entworfen worden war, es müsse mit den überraschenden Ideen immer so weiter gehen, stellte sich jetzt erstmals Ernüchterung ein.

Diese ließ auch bei der – einerseits zurecht gelobten – Netflix-Serie “Ozark” nicht lange auf sich warten, in der ein Finanzberater nach einem fatalen Fehler seines Geschäftspartners als Geldwäscher ums Überleben kämpfen muss. Die Serie wird durch hervorragende Schauspieler getragen, allein Peter Mullan als latent bedrohlicher Mohn-Gärtner Jacob Snell (der Name erinnert lautlich an den Bösewicht Szell aus dem “Marathon-Mann”) lohnt das Einschalten, doch mit fortschreitender Folgenzahl stellen sich immer mehr Déjà-vu-Erlebnisse ein, die irgendwann das Gefühl aufkommen lassen, die Zeit könne einem phantasievoller gestohlen werden. Schon bald meint man, eine Masche zu erkennen, wobei das Bedürfnis, diese zu entflechten, noch dadurch verstärkt wird, dass der Hauptdarsteller und Teil-Regisseur Jason Bateman in einem Interview sagte, der “Showrunner”, also der ausführende Produzent, habe sich bei “Ozark” “einen Haufen offener Fragen” gewünscht, die erst in der achten Folge aufgelöst werden sollten, kurz vor dem Finale. Will man als Zuschauer tatsächlich derart durchschaubar bei Laune gehalten werden?

Läuft das amerikanische Serienwunder, das seit fast zwanzig Jahren – seit den “Sopranos” könnte man sagen – die Fernsehlandschaft vor sich hertreibt, jetzt in die “Tatort”-Falle? Etabliert sich wegen des von Netflix, Amazon, HBO und Co. entstandenen Überangebots allmählich eine routinierte Regionalisierung, ein Wiederaufnahme-Programm für Abo-Kunden? Im folgenden soll, ausgehend von Motiven der Serie “Ozark”, eine Art ungeschriebenes Erfolgsrezept amerikanischer Fernsehserien rekonstruiert werden, das in Zukunft gerne wieder sparsamer eingesetzt werden könnte.

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Das Setting: abgelegene Gegend – Wasser

© Screenshot NetflixSchlechte Aussichten für Marty Byrde

Es ist eine Schlüsselszene in der ersten Folge von “Ozark”: Marty Byrde (Jason Bateman), gezwungen, an dem abgelegenen “Lake of the Ozarks” in Missouri Drogen-Geld zu waschen, sieht am Schluss der Folge, wohin es ihn räumlich verschlagen hat: Wald und Wasser, so weit das Auge reicht. Seine Familie tritt hinzu, der kleine Sohn macht gute Miene zum bösen Spiel, die Teenager-Tochter kann es kaum fassen, die Frau schaut ungläubig – und die Kameraeinstellung wird immer totaler, bis man die Byrdes vor lauter Bäumen nicht mehr sieht.

Filmische Stimmungsbilder mit viel Wasser, bei denen der Mensch wie in einem Gemälde von Caspar David Friedrich verschwindet, sind nicht neu, seit “The Night of the Hunter” und Coppolas “Pate II”, der am Lake Tahoe beginnt, kennen wir sie. Und “Ozark” macht zudem auch keinen Hehl daraus, sich stilistisch eng an Jane Campions Miniserie “Top of the Lake” anzulehnen. Doch wir kennen das Motiv wässriger Verlorenheit eben auch noch aus der auf Long Island spielenden Serie “The Affair”, und da der Zuschauer mit skurriler Abgelegenheit auch in “I love Dick” (spielt in Marfa, Texas), “Better Call Saul” und “Breaking Bad” (beide Alberquerque, New Mexico), “True Detective”(Louisiana) oder in “Lillehammer” konfrontiert wird, kommt man um den Vergleich mit dem Regionalisierungs-Prinzip des “Tatorts” kaum umhin. Wobei die allergrößte Drehbuchautoren-Idylle wohl eine gesetzlose, korrupte Küstengegend ist, in der wirklich fast alles passieren kann. Küstenlängen sind im Fernsehen sozusagen unendlich, denn man kann einen immer kleiner werdenden Maßstab anwenden.

 

Das überdimensionierte Haus

© Screenshot AmazonHart umkämpft: Das Haus der Pfeffermans in der Amazon-Serie “Transparent”

Da die großen Schwarzgeldvorräte der Byrdes in “Ozark” hauptsächlich zum Gewaschenwerden bestimmt sind, bleibt für das künftige Domizil der Familie nur ein Mini-Budget übrig. Wie aber soll man große Geschäfte in kleiner Bleibe machen? Das Drehbuch greift zu einem Trick: Im Angebot des örtlichen Immobilienmaklers befindet sich überraschenderweise auch ein riesiges Architektenhaus mit großen Glasflächen, das für kleines Geld zu haben ist – unter der Bedingung allerdings, dass der schwerkranke Besitzer im Keller wohnen bleiben und gelegentlich mit seiner Sauerstoffflasche durchs Haus schlurfen darf.

Der Zuschauer liebt spektakuläre Häuser, das scheint für Serien-Produzenten festzustehen. Allmählich könnte sich der Zuschauer aber auch übertölpelt fühlen, blieb doch zum Beispiel in der Amazon-Serie “Transparent” völlig unklar, wie sich der frühere Politologie-Professor Mort Pfefferman jemals dieses unbeschreiblich schöne Haus in Südkalifornien hat leisten können. Und dass der Lehrer Noah Solloway in “The Affair” mit seiner Familie bei dem stinkreichen Schwiegervater auf Long Island unterschlüpfen kann,  ist wohl auch nur unter Schöner-Wohnen-schöner-Fernsehen-Aspekten ein überzeugendes Setting. Der Zuschauer jedenfalls muss beim Anschauen all dieser Schauplätze allmählich den Eindruck gewinnen, dass er ohne Privatstrand oder eigenen Pool überhaupt kein ernstzunehmender Zeitgenosse ist. Kurz: In amerikanischen Drama-Serien hat sich eine Tendenz zur Pilcherisierung breit gemacht.

Wobei große Häuser am Wasser dramaturgisch gesehen vor allem deshalb so beliebt sind, weil sie ausreichend Angriffsfläche bieten. Familien, die in überdimensionierten Häusern leben, sitzen jederzeit auf dem Präsentierteller. Auch in dieser Hinsicht waren der zweite Teil des “Paten” und “Die Sopranos” Trendsetter.

 

Die Familie in die Legalität überführen

© dpaAus einem Hauptmotiv der “Pate”-Trilogie machten die “Sopranos” eine Serie mit sechs Staffeln

Und noch ein weiteres Motiv hat “Ozark” von den beiden Mafia-Epen übernommen: das immer wieder scheiternde Bestreben der Hauptfigur, sich selbst und die eigene Familie mit dem nächsten großen Coup auf den Boden der Legalität zurückzuführen.

Zugegeben, dieses Motiv, das auch bei “Better Call Saul” oder “How to Get Away with Murder” erkennbar wird, ist wirklich verführerisch, allein, weil es sich aus einem Mafia-Kontext heraus vielfach variiert zu einer modernen Grunderfahrung gemausert hat. Wer kennt nicht das Gefühl, schuldlos schuldig geworden zu sein, und sei es nur, weil man irgendwann einmal den ersten Schritt in Richtung eines mit persönlicher Freiheit erkauften Wohlstands getan hat? Dahinter verbirgt sich auch ein altes Tragödien-Motiv, wobei das göttliche fatum, das im antiken Drama das Schicksal der Helden bestimmt, im amerikanischen Serienfernsehen durch ökonomische Zwänge ersetzt wird, die beim organisierten Verbrechen besonders unausweichlich sind. Doch so schön das Legalisierungs-Motiv auch ist – als Zuschauer hat man für die nächste Zeit erst einmal genug davon.

 

Der Schelm

© dpaDeutet virtuos das Geschehen in der Glaskugel: Bob Odenkirk als Rechtsanwalt James “Jimmy” McGill in “Better Call Saul”

In den meisten neuen amerikanischen Serien, gerade auch in denen mit hohem Zombie-Anteil, herrscht gesellschaftlich gesehen vorwiegend Ordnungslosigkeit. Die Hauptfiguren, zu denen auch Juraprofessorinnen (“How to Get Away with Murder”) und Anwälte (“Better Call Saul”) gehören, können eigentlich nur überleben, wenn sie die Grenzen von Gut und Böse zumindest zeitweilig überschreiten. Als Sympathieträger kommen sie dann eigentlich nur noch in Frage, wenn sie so wie James McGill (“Saul”) eine Mischung aus Schelm und Frontier darstellen, einen rhetorisch begabten Trickser, der ein A vormacht, um ein O zu erreichen.

Auch “Dexter” gehört in diese Riege ebenso wie der Zwerg Tyrion Lannister aus “Game of Thrones”, der mit seinem Sprachwitz zugleich an die Narrenfiguren bei Shakespeare erinnert. Und abermals hinkt Marty Byrde, der es versteht, in Notsituationen überzeugend loszuplappern, seinen Vorgängern hinterher.

 

Der Zufall

© dpaDer Teufel ist ein Eichörnchen: Michael C. Hall als Forensiker Dexter Morgan

Nichts spielt dem Schelm so sehr in die Karten wie der Zufall. Er ist sein Lebenselixier. Wenn die Welt aus den Fugen geraten ist und die Willkür regiert, kommt der am weitesten, der am besten improvisieren kann – und das meiste Glück hat. In “Dexter” ist der fast lachhafte Dusel, der dem serienmordenden Titelhelden in brenzligen Situationen zuverlässig zuhilfe kommt, oberstes Gestaltungsprinzip, aber auch in “Ozark” spielt er eine wichtige Rolle, wobei die immer absurder werdenden Versprechen, die Marty Byrde dem Drogenkartell geben muss, tatsächlich einen eigenen Humor verraten.

 

Spiel mit dem Zuschauer: Vorenthalten von Informationen

© dpa“Rashomon” auf Long Island: Ruth Wilson und Dominic West in “The Affair” – auch hier kommen nach sechs Folgen an der Küste Drogen ins Spiel

Das notorischste Prinzip in den meisten neuen amerikanischen Serien aber ist das des nicht-linearen Erzählens, das inzwischen ebenso durchschaubar und routiniert erscheint wie das lineare Erzählen beim öffentlich-rechtlichen “Tatort”. Was in der grandiosen BBC-Serie “The Singing Detective” 1986 noch echten Kunstsinn verriet, das Spiel mit vorenthaltenen Informationen und wechselnden Perspektiven, welches sich der Tatsache verdankte, dass die Hauptfigur selbst ihre Vergangenheit rekonstruieren musste, ist inzwischen in vielen Serien zum künstlichen Versteckspiel verkommen.

Das Vorgehen ist immer das gleiche: “Ein Haufen offener Fragen” wird in den Raum gestellt, dem Zuschauer wird der Eindruck vermittelt, er könne sie aus recht mutwillig hingeworfenen Fragmenten allmählich selbst beantworten, was aber meist nicht möglich ist, da die große Auflösung dem Finale vorbehalten bleiben soll, das wiederum von Staffel zu Staffel so lange hinausgezögert wird, wie die Zuschauer bereit sind, bei der Stange zu bleiben.

Kunstvoll oder gar ein Äquivalent zum multiperspektivischen Roman ist diese Form des Serienfernsehens kaum noch. Es fehlt ihr an so etwas wie poetischem Wahrheitssinn, wonach die gezeigten Teile den Schlüssel zum Ganzen in sich tragen. Neues amerikanisches Serienfernsehen ist meist vor allem Spannungsmache, wobei das klassische “Whodunit” durch die Frage “Wann schnappt man ihn/sie?” abgelöst wurde. Ersetzen kann es über weite Strecken allenfalls noch den Unterhaltungsroman.

© dpaIn der charmantesten Anwaltskanzlei der Fernsehgeschichte: Bob Odenkirk als Titelheld in “Better Call Saul”

Diese Entwicklung ist bedauerlich, zumal es Serien wie “Better Call Saul” oder “The Affair” auch in jüngerer Zeit immer wieder gelingt, poetische Momente und symbolische Details in die Handlung einzuführen, Momente, in denen einem plötzlich etwas über das Leben und die Menschen klar wird, was man vorher noch nicht wusste.

Mit Variationen des gerade dargestellten Erfolgsrezepts hingegen, das scheint gewiss, wird das amerikanische Serienfernsehen seinen Innovations-Nimbus verlieren. Neue Ideen und Dramaturgien sind jetzt gefragt, und man wird sehen, ob die vielen schnell gewachsenen amerikanischen Serien-Schmieden sie hervorbringen können. Wahrscheinlich wird beim Zuschauer am Ende die Einsicht stehen, dass sich Qualität auch im Fernsehen nicht beliebig vermehren lässt.

 

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