Blogseminar

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Diskutiert werden das Leben der Studierenden, aktuelle Fragen der Hochschulpolitik sowie die Zweiheit von Forschung und Lehre.

Theologiestudium: „Immer muss man sich rechtfertigen“

Mehr und mehr Menschen treten aus der Kirche aus, dagegen steht das Theologiestudium noch ganz gut da. Die Studenten müssen sich allerdings oft bohrende Fragen gefallen lassen.

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Theologievorlesung in Bochum

Schon Goethes Faust hat es nur mit einem tief seufzenden Ach studiert: Theologie. Haftete ihr früher der ehrfurchtsvolle Muff der Kanzeln an, genießt das Fach heute Exotenstatus. Wer sich für ein Studium entscheidet, wird oft mit vielen Fragen und dem Unverständnis seines Umfeldes konfrontiert, denn Glaube, Gott und Kirche passen für viele nicht mit der Moderne zusammen. Theresa Noack kennt diese Annahme. Sie studiert Evangelische Theologie im neunten Semester und ist mittlerweile dazu übergegangen, im Smalltalk mit anderen lieber zu verschweigen, was sie an der Uni treibt. “Wer Theologie studiert, muss sich immer rechtfertigen. Das macht nicht immer Spaß und ist oft ein Kampf”, sagt sie. Selbstverständlich spreche sie gerne über ihr Studienfach, aber manche Menschen seien nicht daran interessiert, zuzuhören und ihr Gegenüber zu verstehen. 

Für immer mehr Menschen spielen Religion und Kirche eine immer geringere Rolle. Die Zahl der Kirchenaustritte ist seit Jahren hoch, allein im letzten Jahr kehrten der evangelischen und katholischen Kirche mehrere Hunderttausend Menschen den Rücken. Bis 2060 werden sich die Mitgliederzahlen halbiert haben, schätzen die Evangelische Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz. Keine Frage, die Kirche als Institution verliert an gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. In dieser Stimmung Theologie zu studieren, mag für viele rückwärtsgewandt erscheinen. Doch das stimmt so nicht: Der Trend der Kirchenaustritte lässt sich nicht auf die wissenschaftliche Disziplin der Theologie übertragen.

Zahlenmäßig ist bei den Studenten das Fach, das sich aus der Innenperspektive mit einer Religion beschäftigt, nach wie vor beliebt – oder gleichbleibend unbeliebt. In den vergangenen zwanzig Jahre sind die Studentenzahlen auf einem konstanten Niveau geblieben, in absoluten Zahlen sogar mit einer leichten Tendenz zum Wachstum. Im Wintersemester 1988/89 studierten nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes 20.867 Menschen christliche Theologie und Religionspädagogik, im Wintersemester 2017/18 waren es 21.585. 

Das Imageproblem der Katholischen Theologie

Zwei Tendenzen sind dabei zu beobachten. In Deutschland gibt es immer mehr Studenten – bei der Theologie kommt dieser Zuwachs jedoch kaum an. Gab es 1998 etwa 1.801.000 Studenten und studierten damit rund 1,16 Prozent von ihnen Theologie und Religionspädagogik, waren es 2017 nur noch 0,76 Prozent bei etwa 2.845.000 Studenten insgesamt. Zweitens gibt es starke Unterschiede zwischen beiden Konfessionen: Die Evangelische Theologie wird beliebter, die katholische unbeliebter. Im Jahr 1998 studierten 10.804 Studenten Evangelische Theologie, im Jahr 2017 waren es 13.265 Studenten. Im gleichen Zeitraum sanken bei den Katholiken die Studentenzahlen von 9217 auf 8320. 

Warum das so ist, ist schwierig zu beantworten, findet Martin Kirschner von der Katholischen Universität Eichstätt. Sicherlich hänge die geringere Beliebtheit der Katholischen Theologie mit dem größeren Imageproblem der katholischen Kirche zusammen. Wer Katholische Theologie studiert, kämpfe noch stärker mit Stirnrunzeln im Freundeskreis als Kommilitonen der evangelischen. “Die Gefahr ist, dass wir nur Leute erreichen, die aus einem engen katholischen Milieu stammen oder die ein starkes Rückgrat haben”, sagt Kirschner. Hohe Studentenzahlen generiere man so nicht. 

Und für dieses Image-Argument spricht einiges. Der seit langem in der Kritik stehende Zölibat, der beklagenswerte Umgang mit den Missbrauchsfällen in den eigenen Reihen oder die nicht mehr zeitgemäße Geringschätzung der Frauen in der Kirche, es gibt vieles, mit dem die Gläubigen nicht einverstanden sind. Doch die erhofften Änderungen kommen zu langsam. Sich in diesem Kontext in den Dienst der katholischen Kirche zu stellen – Hauptarbeitgeber nach dem Studium ist eben diese – ist für viele keine Option. An der Struktur des Studiums lässt sich die unterschiedliche Beliebtheit beider Theologien zumindest nicht erklären, beide sind gleich aufgebaut. Auch lässt sich nur schwer behaupten, dass die Katholische Theologie weniger auf die Erfordernisse der Moderne eingeht als die evangelische. Martin Kirschner ist etwa der Inhaber eines katholischen Lehrstuhls für Theologie in Transformationsprozessen. Die Idee seines Lehrstuhls ist es, die Theologie weiter zu öffnen und mit anderen Disziplinen in Verbindung zu bringen. 

In Zeiten der Veränderung

Damit folgt sein Fach den vielen anderen, die in Zeiten von Ökonomisierung und Bologna ihren Gegenstandsbereich erweitern – und versuchen, dadurch ihre eigene Stellung zu legitimieren. Als Theologe hat man es dabei nicht sonderlich schwer.  “Die Theologie ist an sich ein kleines Studium Generale”, sagt Kirschner. Von Sprachen bis Philosophie – die breite Abdeckung des Faches hat zur Folge, dass es in großen Linien denkt. Theologen versuchen ebenso herrschende Wissensformen zu hinterfragen wie Antworten auf den Klimawandel zu finden. Der Relevanzverlust der Kirche – wobei Kirschner lieber von einem “Abbruch des kirchlichen Normalbetriebs” spricht – ordnet sich in die Reihe unzähliger Fragestellungen ein: Schafft es die Theologie, Antworten zu finden?

Damit sie es schafft, und es ihr und den Studenten gelingt, breit zu denken, fordert Kirschner, die Idee der Öffnung grundlegend umzusetzen. Er denkt da an die Flexibilisierung des Studiums, die Schaffung neuer Studiengänge oder eines Studium Generale, das die Kompetenz lehrt, mit religiösen Fragen umzugehen. Denn dass sich die Kirche als Institution verändern wird, ist wohl unausweichlich – ebenso wie die Fragen nach Mensch, Welt und Sinn, die sie behandelt. 

Dass die Öffnung der Katholischen Theologie zum Teil schon vollzogen wird, zeigt ein Blick etwa nach Berlin, auf die Humboldt-Universität, deren Katholisches Institut erst in diesem Wintersemester seinen Lehrbetrieb aufnimmt und den Bachelorstudiengang “Religion und Gesellschaft” anbietet. Auch ein Blick nach Paderborn zeigt, dass sich die Katholische Theologie mit den gesellschaftlichen Veränderungen beschäftigt und darauf reagiert. Am dortigen Graduiertenkolleg “Kirche-Sein in Zeiten der Veränderung” entstehen Doktorarbeiten über unterschiedliche Aspekte des Wandels. Dessen Sprecher Stefan Kopp betont, dass Veränderung und Reform Grundthemen der Theologie sind. “In diesen Zeiten wird die Veränderung wieder stärker entdeckt und als Ressource für unsere theologische Arbeit genutzt”, sagt Kopp. In der Öffentlichkeit komme das jedoch kaum an, sodass die Katholische Religionslehre noch immer wie ein weltfremdes Fach aus dem mittelalterlichen Elfenbeinturm erscheine. “Wir müssen noch mehr lernen, wie wir unsere Themen außerhalb des Wissenschaftsbetriebes verständlich erklären können”, sagt er.  

Pfarrer werden: auf keinen Fall

Dass der Wandel ein Dauerthema ist, spüren auch die Studierenden im Uni-Leben. Elias Kiesling studiert im dritten Semester Katholische Theologie in Freiburg und hat in den ersten Wochen festgestellt: “In den Erstsemester-Vorlesungen waren mehr Frauen als Männer.” Das hätte er nicht erwartet, sagt der Zwanzigjährige. Das Fach ist auch unter Lehramtsstudierenden beliebt. Ein Blick in die Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigt: 2017 wurden etwa 480 Lehramtsprüfungen in der Katholischen Theologie abgelegt und circa 490 übrige Abschlüsse (Bachelor, Master, Magister) erreicht, wobei etwa doppelt so viele Frauen wie Männer auf Lehramt studierten. In der Evangelischen Theologie sieht das anders aus, auf etwa 500 Lehramtsprüfungen kamen dort 930 übrige Abschlüsse, wobei nur etwa jede dritte Lehramtsprüfung von einem Mann abgelegt wurde.

In manchen Veranstaltungen wird darüber nachgedacht, wie man Kirche attraktiver machen könne oder wie Kirche und Gemeinde in Zukunft überhaupt noch funktionieren könnten. Der Blick richte sich nicht nur zurück, sondern auch nach vorne. “Mit dem Studium bekomme ich Werkzeuge an die Hand, mit denen ich in Zukunft etwas verändern kann”, sagt Kiesling. 

Wie das genau aussehen soll, weiß er noch nicht. Das Studium sei schließlich dafür da, einen Überblick zu bekommen. Kinder- und Jugendarbeit könne er sich vorstellen, Pfarrer werden auf keinen Fall. “Wenn es den Zölibat nicht gäbe, würde ich wahrscheinlich Pfarrer werden”, sagt Kiesling. Auch Theresa Noack, die Evangelische Theologie in Marburg studiert, geht es ähnlich: Über ihre genaue Zukunft in der Kirche hat sie sich noch keine abschließenden Gedanken gemacht. Oft zweifelt sie an ihrer Studienentscheidung generell, dann denkt sie an die Worte ihrer Mutter: “Du kannst die Kirche nur verändern, wenn du das selber machst!” Bis dahin ist das Theologiestudium ihr kritischer Begleiter.