Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Der Traum von der Sichtbarkeit

Man muss kein großer Denker sein, um zu merken, dass „Deutschland sucht den Superstar“ niemanden anderen reich gemacht hat als RTL, Simon Fuller, den Erfinder des Konzepts, und mit Abstrichen Dieter Bohlen. Dennoch meldeten sich 2010 so viele zum Vorhampeln wie nie zuvor, 35000 Menschen. Es ist natürlich möglich, dass sie alle zu rückstandslos enthirnt sind, als dass sie begreifen könnten, dass DSDS nicht der Weg zu Geld und Ruhm ist. Aber wahrscheinlicher ist, dass sie ihrem Wertesystem zufolge ganz genau richtig handeln.

Nach Paris Hilton wird in Deutschland Google trends zufolge etwa siebenmal so häufig gesucht wie nach Angela Merkel. Am häufigsten in diesen zehn Städten: 1. Meschede, 2. Offenburg, 3. Wesel, 4. Würzburg, 5. Bayreuth, 6. Koblenz, 7. Heilbronn, 8. Erfurt, 9. Aachen und 10. Duisburg.

Zwei Mal sind bisher Sextapes mit Paris Hilton erschienen. Beim ersten Mal veröffentlichte ihr Ex-Freund Rick Salomon das private Video, das ihn mit der zum Entstehungszeitpunkt gerade einmal neunzehnjährigen Hilton zeigt, zunächst zum Download im Internet und schließlich als „One Night in Paris“ auf DVD (2005 waren die Aufnahmen weltweit das meistverkaufte Pornovideo). Die nächsten Filme konnten 2007 erscheinen, weil Hilton die Raten für ein Lagerhaus, in dem sie ihren Krempel auf 450 Quadratmetern aufbewahrte, nicht zahlte. Daraufhin wurde alles versteigert, die Käufer digitalisierten jedes Fitzelchen, das digitalisierbar war, von Krankenakten bis hin zu Babyfotos und veröffentlichen die Daten auf parisexposed.com. Unter dem gigantischen Haufen Wohlstandsmüll fanden sich auch – wie erhofft – einige Nacktaufnahmen und eine Reihe von Videos, die Paris Hilton koksend, kiffend und badend zeigten.

Bild zu: Der Traum von der Sichtbarkeit

Screenshot: Bing Bildersuche

Man kann sich vorstellen, dass die Veröffentlichung des ersten Films eine Demütung war für Paris Hilton. Es ist daher ein bizarres Schauspiel, was auf den Videos von 2007 zu sehen ist: Unablässig versucht der damalige Freund, Paris Hilton nackt zu filmen. Er filmt sie in der Badewanne, fordert sie wieder und wieder auf, sich ganz zu zeigen, folgt ihr, als sie sich ein Badetuch umwickelt, hält die Kamera drauf, als sie sich nach vorne beugt. Morgens steht er mit der Kamera vor ihr und zieht ihr die Bettdecke weg, sie wehrt sich und hält die Decke mit ihren Beinen umklammert, damit er sie nicht vollständig nackt filmen kann. Wie auch im Film mit Rick Salomon zeigt Paris Hilton nicht den leisesten Hauch von Würde. Sie wird drangsaliert, sagt, dass sie es nicht möchte, aber lächelt. Immerzu lächelt sie. Und sie sagt, dass sie sich zu hässlich fühle, um gefilmt zu werden. Schon in „One Night in Paris“ kommentierte Salomon, vor einem Bildschirm sitzend, eine Szene, in der Hilton ihre Brüste filmt, mit den Worten: „Sie fand, dass ihre Brüste bei den ersten Aufnahmen schlecht aussahen und hat sie deshalb noch einmal aus der Nähe gefilmt.“ Im Myspace-Winkel.

Diese ja immer noch sehr junge Frau, von der die ganze Welt weiß, wie sie mit Ejakulat im Gesicht aussieht, dieses arme reiche Mädchen, deren Partner von nichts anderem besessen sind, als sie auf Video aufzunehmen, weil dann ein Haufen Kohle winkt und der Triumph, ein Mädchen, das für die Anwesenheit auf einer Party 100000 Euro Gage erhält, dokumentierbar beschlafen zu haben, diese fleischgewordene Verunsicherung, diese Sackgasse der Emanzipation: Sie ist das größte aller Idole zwischen Meschede und Palermo, zwischen Offenburg und Rockdale County.

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Aber was macht Hilton zum Idol? Allein ihre Allgegenwart.
Ihre Fans erzählen ihr, was sie bewegt und zwar in der Art, wie man einer Heiligenfigur etwas erzählt, die Heilige muss nicht anwesend sein, es muss nur irgendwo im Netz ein Foto von Paris sichtbar werden und schon finden sich Einträge wie dieser:

„Also liebe Paris Hilton ich suche auch. Aber eben einen Menschen der mich so nimmt wie ich bin. Ich mache für den Menschen der mir am Herzen liegt alles möglich was mir Menschen möglich ist. (…) Und schenke ihr mein Herz bis an mein Lebensende.“
18071965ingo

(Im Netz wird wirklich an den seltsamsten Orten nach ein wenig Zuneigung gesucht.) Und doch wähnen sich die Fans auf Augenhöhe mit ihr:

„hey paris hir is wieder mal stella wir kennen uns ja schon ein bischen aus berlin münchen un natürlich aus new york ich bin zwar erst 12 aber du weisst ich bin schon sehr sehr schlau un liebe dich ganz doll lass dich nie unterkriegen un mach dein ding weiter du hast mich als fan immer (…) deine STELLA“
Stella

Und sie machen sich Gedanken um sie:

„Ich finde Paris sollte ruhig modeln, sie ist sexy und sehr mutig, wenn man Pornos ins Netz stellt, ist man total mutig.“
Sarah

Es spricht nicht viel dafür, dass Sarah eine Meisterin der Ironie ist. Sie interpretiert vielmehr die Ereignisse, die zur Veröffentlichung der Hilton-Pornos führten, auf eine Weise fehl, die eine Parallele zu dem Phänomen der Castingshows hat.

Cast out

Man muss kein großer Denker sein, um zu merken, dass „Deutschland sucht den Superstar“ niemanden anderen reich gemacht hat als RTL, Simon Fuller, den Erfinder des Konzepts, und mit Abstrichen Dieter Bohlen. Der erste Superstar Alexander Klaws hielt sein Gesicht in einer Seifenoper vor die Kamera, eingeklemmt zwischen Werbeblöcken für Pickelcreme und Klingeltöne, mittlerweile gibt er immerhin den Tarzan im gleichnamigen Musical. Die anderen Gewinner haben es nicht so weit gebracht. Oder kennen Sie Elli Erl? Dennoch meldeten sich 2010 so viele zum Vorhampeln wie nie zuvor, 35000 Menschen.
Es ist natürlich möglich, dass sie alle zu rückstandslos enthirnt sind, als dass sie begreifen könnten, dass DSDS nicht der Weg zu Geld und Ruhm ist. Aber wahrscheinlicher ist, dass sie ihrem Wertesystem zufolge ganz genau richtig handeln. Denn für das jugendliche Medienfutter ist es ein Wert an sich, sichtbar zu sein. Wenn ihr Auftritt vor der Jury tatsächlich im Fernsehen gezeigt wird, dann sind sie schon erwählt. Ich denke nicht, also sendet mich.

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Was für den noch einigermaßen traditionell sozialisierten Betrachter eine unfassbare Demütigung darstellt, ist für die Bewerber ein Triumph des Minutenruhms. Menderes, ein trauriger junger Mann mit Kastratenstimme, der bisher in jeder Staffel sein Glück versucht hat und jedes Mal von Neuem beschimpft und verhöhnt wird von der Jury, wird in der wartenden Menge abgeklatscht, er wird umringt von den Unbekannten, die er überragt, denn er ist wer, sie kennen seinen Namen, ihren kennen nur ein paar Klassenkameraden in Meschede. „Menderes ist Kult“, sagte ein Mädchen, das aussieht wie Bastian Schweinsteiger, in die RTL-Kamera.

Die BILD, die dem Spektakel symbiotisch verbunden ist, zitierte den Serien-Entehrten: „Ich bin noch kein Millionär, aber auf dem besten Wege dahin. Seit 2007 lebe ich nur von DSDS.“ Dann zählt Deutschlands größte Prominentenschlachterei Menderes´ Erfolge auf:

„90 Bühnenauftritte absolvierte der Deutsch-Türke 2009 (Gage pro Auftritt ca. 2000 Euro). Außerdem hat er pro Woche 20–30 Anfragen für Auftritte auf Privatpartys, Hochzeiten usw. (Gage jeweils um 1000 Euro). Dazu kommen Einnahmen aus TV-Auftritten (29 allein in 2009) und dem Fan-Shop (CDs, T-Shirts).“

Aufmerksamkeit ist Währung. Für die einen tatsächlich bare Münze, für die anderen nur ein narzisstischer Gewinn. Mit Anerkennung im eigentlichen Sinn hat dieser Drang nach Aufmerksamkeit nichts zu tun, den Narzissten ist es ganz gleich, womit sie die Aufmerksamkeit erreichen. So ist Paris Hilton unfreiwillig Spiegelbild unserer Zeit geworden. Bloß ist sie reich und wir sind arm. Aber Liebe findet sie so wenig wie 18071965ingo oder Menderes. Wenn Aufmerksamkeit eine Währung ist, dann ist Zuwendung ein Lottogewinn. Und den gibt man nicht gern her.