Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Rationalität beim Schnäppchen-Shoppen

Das Arbeitspferd der Volkswirtschaft ist der „homo oeconomicus". Leider ein sehr untaugliches Pferd, denn beim Einkauf im Internet verliert der Konsument - wie es scheint - jede Rationalität.

Das Arbeitspferd der Volkswirtschaft ist der „homo oeconomicus”. Leider ein sehr untaugliches Pferd, denn beim Einkauf im Internet verliert der Konsument – wie es scheint – jede Rationalität.

Letzte Woche hat es zum ersten Mal geschneit, und es wird allerhöchste Zeit, daß ich die Ausstattung für die winterliche Freizeitaktivität der Wahl in dieser Region besorge. In Vorbereitung dieser Großinvestition habe ich viele Stunden bei Internet-Händlern und Online-Auktionsplattformen verbracht. Die Profis unter meiner Leserschaft werden jetzt vermutlich laut aufschreien und sich innerlich winden: Ski per Fernkauf! Sakrileg!

Finde ich nicht. Ich bin Anfänger. Ich habe keine besonderen Ansprüche. Und so übermäßig kompetent und auskunftsfreudig waren die Verkaufsberater in diversen Fachgeschäften auch nicht – jedenfalls nicht in solchem Maße, wie ich es bei einer Preisdifferenz von über 100 Euro erwarten würde. Leihen wurde mir nahegelegt, aber die Kauffrau in mir sieht keineswegs ein, im Verlauf einer Saison 120 Euro für die Nutzung eines Gegenstands auszugeben, wenn ich einen vergleichbaren, funktionstauglichen Gegenstand fürs selbe Geld auch in mein Eigentum überführen kann. Streng rationales Verhalten.

Weniger rationales Verhalten hingegen habe ich auf diversen Plattformen und im Austausch mit allerlei Privatverkäufern beobachten können. Warum bieten Menschen 180 Euro für einen Gegenstand, den sie vom professionellen Händler für 150 erhalten können? Warum erwarten Privatpersonen, für einen gebrauchten Gegenstand 140 Euro bekommen zu können, wenn er neu doch beim Händler für ebenjene 150 Euro verfügbar ist? Und ich kann sagen: ich habe nachgefragt – die Privatperson jedoch fand den Preis angemessen. Vermutlich als einzige, sonst wäre das so geschätzte Objekt wohl kaum noch verfügbar, zwei Wochen nach unserer Korrespondenz.

Sehr irrational, das alles.

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Trotzdem, oder deswegen, sind Auktionen eine grandioser Sandkasten für Spieltheoretiker – auch Nobelpreise wurden für dafür schon verliehen. Es gibt unzählige Arten: Zentralbanken versteigern ihre Kredite an Geschäftsbanken bei der Geldschaffung, öffentliche Ausschreibungen sind häufig Versteigerungen, und von hoher Kunst bis hin zu Postern und Handwerkerdienstleistungen kann man im Internet heutzutage fast alles ersteigern. Dank der vielen Spielarten findet fast jeder Anbieter von Produkten oder Dienstleistungen den passenden Auktionstyp: mit öffentlichen oder geheimen Geboten, mit Annäherung an den Preis von oben oder von unten, zu gleichen oder diskriminierenden Preisen. Jeder Auktionstyp hat seine Vor- und Nachteile, passend zum Problem.

Bei Gütern im Internethandel ist das Problem häufig Informationsasymmetrie: der Käufer kann über Fotos und Beschreibung nur annähernd den Zustand und Wert schätzen – der Verkäufer hingegen ist bestens im Bilde. Vernünftigerweise sollte man einen Preisabschlag einkalkulieren für die Möglichkeit, daß der Verkäufer grundsätzlich ein Betrüger ist, oder seinen Informationsvorsprung ausnutzt – gewissermaßen wertmindernde Faktorn. Ich jedenfalls würde niemals für ein Produkt von Privat ohne Garantie denselben Preis wie für ein identisches Produkt vom gewerblichen Händler zahlen. Das muß man aber natürlich nicht so sehen.

Besonders beliebt bei Internet-Auktionshändlern sind Varianten der „Second-price Auction”. Dabei werden Verbote verdeckt abgegeben, der höchste Bieter erhält den Zuschlag – allerdings zum nächstniedrigeren Preis (bzw. im konkreten Fall mit marginalem Aufschlag auf den zweithöchsten Preis). Ergänzt wird dies durch das System des Proxy-Bidding – die Software merkt sich zwar das Maximalgebot eines Bieters, veröffentlicht es jedoch nicht, sondern erhöht andere Gebote immer nur um einen geringen Betrag.

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Das muß man natürlich erst mal begreifen – wer lesen kann, und es auch tut ist hier klar im Vorteil. Jener Bieter, der über eine halbe Stunde im Minutentakt sein Gebot erhöhte, und den Preis in 50 Schritten von 15 auf 60 Euro hochtrieb, hatte das offensichtlich nicht verstanden. Ebensowenig wie die psychologische Dynamik, die in Auktionen entsteht. Dem „homo oeconomics” sollte irrationales Verhalten wie Bietergefechte fremd sein – tatsächlich kann man das regelmäßig beobachten. Dabei kann man spieltheoretisch sogar nachweisen, daß es eine dominante Strategie in solchen Auktionen gibt: einfach den subjektiv höchsten Preis, den einem das fragliche Gut wert ist, bieten. Damit hat man die größten Chancen, tatsächlich den Zuschlag zu erhalten. Bekommt es zu seinem subjektiven Maximalpreis (oder bestenfalls noch weniger), hat man Geld gegen Wertgegenstand im gleichen Verhältnis getauscht. Erhält man es nicht, dann nur deshalb, weil es anderen mehr wert war. Hätte man allerdings selber mehr geboten, hätte man einen schlechten Tausch gemacht und mehr für ein Gut bezahlt als es einem eigentlich wert ist – subjektiv. In dem Fall erliegt man dem sogenannten “winner’s curse”, für dessen Beschreibung Richard Thaler alle Jahre wieder als Nobelpreisanwärter gehandelt wird: wer die Unsicherheit über die Qualität des gewünschten Gutes in Auktionen nicht vernünftig in sein Maximalgebot einpreist, tendiert systematisch dazu, zuviel zu zahlen. Das höchste – bzw. überhöhte – Gebot erhält aber in Auktionen systematisch den Zuschlag.

Andererseits können second-price auctions natürlich auch zu kollektiver Irrationalität führen. Wenn nämlich alle davon ausgehen, daß in der second-price auction zwar das höchste Gebot zum Zuschlag führt, allerdings zum nächstniedrigeren Preis, erhöht man mit Geboten über dem subjektiven Maximalpreis seine Chancen auf den Gewinn. Oder darauf, am Ende mehr als erwartet zahlen zu müssen.

Das von Auktions-Plattformen oft angebotene Proxy-Bidding macht die Strategie des subjektiven Maximalgebotes besonders effizient (einmal bieten reicht) und second-pricing macht die Strategie auch noch attraktiv: im besten Falle zahlt man weniger als erwartet. Gleichzeitig ist proxy-bidding schon ziemlich nahe dran an der bösen Technik des „Auction Sniping” – was aber seinerseits das Proxy-Bidding sabotiert. Sniping bezeichnet die Praxis von Käufern, sein Gebot erst im allerletzten Moment vor Auktionsende abzugeben. Wert das tut, nimmt anderen Interessenten die Möglichkeit, auf das neue Gebot zu reagieren – würde allerdings jeder von Anfang an sein Höchstgebot abgeben, entstünde trotzdem kein Schaden, weil ja rechtzeitig alle Informationen in die Preisfindung eingehen.

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Sniping ist nur deshalb eine attraktive Option, weil es genug Bieter gibt, die nicht ihr subjektives Maximalgebot eingeben, sondern irgendetwas drunter. Um vielleicht später noch mal mehr zu bieten – das ist allerdings höchst irrational. Und diese Irrationalität nutzt der Auktions-Heckenschütze aus. Dem Verkäufer können Bietergefechte in letzter Sekunde natürlich nur recht sein – mancher naive Internetkäufer hingegen fühlt sich betrogen, wenn er tagelang Höchstbietender war und voller Vorfreude auf ein Schnäppchen, um das er im letzten Moment durch einen Sniper gebracht wurde.

Das mag auch der Grund sein, warum die Auktionsfirmen darum so ein Gewese machen – zum Teil wurden automatische Kleinprogramme verboten, die das „Gebot-in-letzter-Sekunde” übernehmen. Und immer wieder mal werden unter Fanatikern Strategien zur Verhinderung diskutiert. Würden die Auktionen keine feste Endzeit haben, könnte nicht mehr gesnipt werden. Und würden Auktionen bei solchen last-minute Geboten noch einmal verlängert, käme es allenfalls zu Bietergefechten zwischen irrationalen Idioten, die zu einer vernünftigen Preisfindung für sich selbst unfähig sind. Verkäufer hingegen würde das natürlich freuen, aber den Kunden wohl kaum Nutzen bringen.

Schon gar nicht denjenigen, die einen Ski für 180 Euro ersteigern, den sie für 150 Euro im Internet-Handel hätten bekommen können. Ts.