Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Selbstmord aus Angst vor dem Facebooktod

worin sich der Autor greylich kynischen Bemerkkungen ob dero Internetzfürstenthümern von Druckherrschafften und Serverherzögen ablasset und gar schuftyg nie Hochachtung aufzeyget.

worin sich der Autor greylich kynischen Bemerkkungen ob dero
Internetzfürstenthümern von Druckherrschafften
und Serverherzögen ablasset und gar
schuftyg nie Hochachtung
aufzeyget.

Es gibt Ankündigungen, die sollte man der Nachwelt aufbewahren – auch und gerade im schnellen und atemlosen Internet, und auch, wenn es Unerfreuliches von der Konkurrenz kündet, über die man schweigen sollte:

Abschaltung der Community zum 28.01.2011 

Sehr geehrte Nutzer, das neue Jahr beginnt bei DerWesten.de mit Umstrukturierungen. Unsere Community wird es in bisheriger Form nicht mehr geben. Ab dem 28.01.2011 werden Ihre Inhalte nicht mehr verfügbar sein. Wir bitten Sie daher, Beiträge, Fotos und Links, die Ihnen wichtig sind, zu sichern. Unser Forum und unser Kommentarbereich stehen Ihnen auch weiterhin zur Verfügung. Eine erneute Registrierung ist dafür nicht erforderlich. Wir danken allen Community-Mitgliedern herzlich für ihr Engagement und freuen uns, wenn wir weiter in Kontakt bleiben – zum Beispiel bei Twitter (https://www.twitter.com/DerWesten) oder bei Facebook (https://www.facebook.com/DerWesten). Für Fragen stehen wir unter feedback@derwesten.de zur Verfügung.

Vielen Dank, Ihr Community-Management

Bild zu: Selbstmord aus Angst vor dem Facebooktod

Diese Email bekamen heute Knall auf Fall die Mitglieder der besagten “Community”, die 2007 mit dem Ziel angetreten war, in Nordrhein-Westfalen die Gesellschaft im Internet zu integrieren und darzustellen. Besitzer ist die WAZ-Zeitungsgruppe, ein Gigant, wenn es um das Printgeschäft geht, und in Internet, nun, siehe oben. Ich hoffe, ich bin nicht zu dreist, wenn ich sage: Einer Community, die sich so managen lässt, würde ich nicht angehören wollen. Millionen hat die WAZ in die Entwicklung des Projekts gesteckt, um nun den Nutzern zu sagen: Besucht uns bei Twitter und Facebook, wenn ihr was mit Community haben wollt. Immerhin: Hier muss sich niemand mehr um einen digitalen Radiergummi sorgen, und es sieht bislang auch nicht so aus, als würde es deshalb zur Revolution in Essen und Bochum kommen.

Und dieser Niedergang umschreibt auch recht anschaulich das Problem von solchen Communities: Das Fehlen dauerhafter Bindungskräfte. Es ist sicher unbequem, sein Zeug umpacken und sich eine neue Bleibe suchen zu müssen, aber die Erfahrung ist für den digitalen Menschen ebenso normal wie einstudiert: Mit einem neuen Emailaccount wird man jede Menge bekanntschaftlicher Altlasten los, mit dem neuen Mobiltelefon kann man einige unnütze Kontakte zurücklassen, mit einer neuen Community findet man neue, erst mal sehr spannende Leute. Es gab ein Onlineleben vor Friendster, Parship, Xing, Myspace, Knuddels, Fantastic Zero und Facebook, es wird auch ein Leben danach geben. Früher musste man bei StudiVZ sein, heute ist es Facebook, und bis zu deren Börsengang wird es schon noch funktionieren. Für die einen ist es das Onlinedasein, für die anderen nur eine Möglickeit, die Zeit bis zur nächsten Email totzuschlagen. “Community” bedeutet im Wortsinn eigentlich etwas Tieferes, eine echte soziale Bindung, aber Bindungen gegenüber Webseiten scheinen nicht allzu dauerhaft zu sein.

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Trotzdem wird mit solchen Netzwerken heutzutage gern von den Medien hausieren gegangen. Es gibt jetzt diese Kasterl von Facebook, wo man auf machen Seiten bekannter Unternehmen all jene anschauen kann, die eben jene Seite mögen. Wollte eine andere Firma so eine Gratiswerbung haben, würde man sie zum Fenster hinauswerfen – Facebook darf das. Man bettelt die Leser nachgerade an, die Inhalte der Zeitung in ihr Netzwerk zu tragen, man kriecht ihnen zu Twitter nach in der Hoffnung, sie möchten von da aus klicken, wenn sie schon von selbst nicht mehr kommen. Und wenn sich Journalisten ein Stimmungsbild machen wollen, schauen sie heute nach, was bei Twitter so gesagt wird. Eine ganze Branche hängt sich an den Tropf von ein paar amerikanischen Klitschen, von denen alle überzeugt sind, dass sie die Zukunft sind.

Die WAZ ist das beste Beispiel, schickt sie ihre Leser doch weg von ihrer Seite hin zu den Angeboten von Firmen, die ihre eigenen Geschäfte mit den WAZ-Lesern machen. Ein Medienhaus, bei dem sich die Journalisten vermutlich eher einen Arm abhacken lassen, bevor sie einen Link zur Konkurrenz setzen, sagt: “Hey! Ihr seid uns als Community zu teuer, aber da drüben wurschteln wir auch auf anderen Servern rum, kommt uns dort besuchen – und werdet dort Mitglied, wenn ihr mitreden wollt.” Beim nächsten Verlegertag wird dann gejammert, die jungen Leute wollten keine Abos mehr, sondern im Netz rummachen. Welch Überraschung.

Vermutlich entbinden solche Wehklagen auch von weiterführenden Überlegungen, wo das alles hinführen soll. Was ich zum Beispiel nie verstehe, ist: Wenn Verlage im Internet einr Leistung verschenken, wie einen Beitrag, ein Video oder eine übernommene PR-Meldung, warum sollten Leute, die sich dafür nicht im normalen Netz begeistern konnten, sich dafür plötzlich bei Facebook oder Twitter einen Klick weiter begeistern? Nur weil ihre Freunde es vielleicht, eventuell, unter Umständen tun und es sie vielleicht, eventuell, unter Umständen wissen lassen, dass es dieses Angebot gibt? Natürlich mag es verlockend scheinen, dass all diese Gesichter von mehrheitlich jungen Leuten zugeben, dass sie das Angebot mögen oder ihm folgen – aber lesen sie deshalb eine Geschichte, die sie im Netz nicht lesen? Was macht Verlage so sicher, dass ihre “Fans” wegen einem einmal getätigten Klick wirklich so etwas wie Fans sind? Zumal, wenn sie jeden Tag ein paar Dutzend andere Dinge genauso anklicken, das Haus auf Farmville, den veränderten Partnerschaftsstatus einer Bekannten, die Bilder der gestrigen Party?

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Und was ist ihnen letztlich wichtiger? Nur mal ein Beispiel: Diesen Beitrag hat ein Bekannter bei Twitter verlinkt. Er hat knapp 8000 Follower. Es kamen 18 Besucher. Das ist jetzt nicht gerade viel.

Aber bis auf solche Fragen wenig erbauliche Antworten kommen, und sie durch teure Berater wirklich auch gesichert sind, wird man weiter in die Social Media Strategie investieren. Mit der wohlfeilen Begründung, man müsse die Leser dort abholen, wo sie sind. Da schwingt dann immer die Vorstellung mit, soziale Netzwerke seien so etwas wie Heidendörfer, die nur darauf warteten, die schönen Heilsbotschaften der Verlegermissionare zu hören, und sich so bekehren lassen. Julia P., Christoph H. und Klaus T. sind Fans von derwesten bei Facebook. Junge Leute! Fans! Tanja Z. und Uwe S. folgen demwesten bei Twitter. Sie folgen! Gleich mal den neuesten Link hinschicken, wo es um Strassenbauarbeiten in Bochum geht. So modern begeistert man die Jugend von heute.

Und wenn es nicht funktionieren sollte, dann habe ich für das Community Management schon mal eine schöne Vorlage, wie man stilgerecht die Stecker auch beim Twitteraccount und den Followern zieht:

Uns haben die E-Mitteilungen Freude bereitet. Danke für die Gefolgschaft! Vermutlich fällt uns etwas Neues ein.

Aber sicher. Wenn Facebook tot und Twitter langweilig ist, wird es andere Dienste geben, bei denen man den Nutzer jagen kann.