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Guttis Groupies geben Gas

Das Netz hat zu Guttenberg nicht gestürzt, aber einen massiven Stolperstein geliefert. Via Facebook formiert sich nun auch die Fankurve des Ex-Ministers - aber sie kriegt ihre PS nicht auf die Straße.

Das Netz hat zu Guttenberg nicht gestürzt, aber einen massiven Stolperstein geliefert. Via Facebook formiert sich nun auch die Fankurve des Ex-Ministers – aber sie kriegt ihre PS nicht auf die Straße.

Jetzt, wo sich der Pulverdampf um die Causa zu Guttenberg allmählich verzieht, ist es mal wieder Zeit für den in Digitalien so beliebten Diskurs: Welche Rolle hat das Netz dabei gespielt? Ist der zurückgetretene Bundesminister der Verteidigung tatsächlich der erste Politiker, den das Internet gestürzt hat, wie es Robin Meyer-Lucht bei carta.info so pointiert zuspitzt? Zunächst spricht einiges für diese These: “Ohne das Guttenplag-Wiki, ohne dieses akribisch zusammengetragene Abschreiberegister, ohne die darin enthaltene Visualisierung der absurden Copy&Paste-Orgien des Ministers wäre der Druck auf zu Guttenberg nicht derart groß geworden. Diese allgemein zugänglichen Fakten wirkten wie eine klaffende Wunde in der Selbstdarstellung des Ministers”, analysiert Meyer-Lucht. Ins gleiche Horn stößt Christian Stöcker bei Spiegel Online: “Ohne die akribische Dokumentation der Plagiate im GuttenPlag-Wiki wäre die Debatte versandet. So aber brachte der Minister Deutschlands Wissenschaftselite gegen sich auf – nicht einmal die “Bild”-Zeitung konnte seinen Job retten.” Der Intellektuellen-Darsteller Roger Willemsen erklärte in einem Interview auf 3Sat das Internet gar zum “Sieger über die Bildzeitung”.

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Aber dieses Heldengemälde von den digitalen Davids gegen Guttis Goliath-Hilfstruppen aus dem Hause Springer hat einen kleinen Schönheitsfehler: Es stimmt so nicht ganz. Es blendet aus, dass zu Guttenberg auch aus den etablierten Medien ein zunehmend schärferer Wind entgegen blies. Es war die “Süddeutsche Zeitung”, welche eine kritische Rezension der Dissertation des Ministers aufgriff und den Stein überhaupt erst ins Rollen brachte. Auch die FAZ hat mit Kritik nicht hinter dem Berg gehalten, wie der Blogger egghat in der Kommentarspalte von carta.info betont: “Guttenplagg war wichtig. Der Rest des Internets nicht. In Berlin interessieren die Shitstorms, die Facebook-Like-Seiten, etc. niemanden. Viel wichtiger war, dass sich die FAZ vom ersten Moment an *klar* gegen Guttenberg positioniert hatte (weil sie kopiert wurde? Weil die Doktoren in der Leserschaft sauer waren?). Das dürfte die Union deutlich stärker beeinflusst haben als das Internet.”

Gleichwohl bleibt festzuhalten: Die Medien ihrerseits hätten den Druck auf den Minister nicht unbedingt aufrecht erhalten ohne die schnelle und kollaborative Fleißarbeit der Plagiat-Jäger in dem eigens aufgesetzten Wiki. Die Bedeutung des Faktors Zeit – oder genauer gesagt Geschwindigkeit – kann man dabei gar nicht hoch genug ansetzen. Nicht nur dürfte zu Guttenberg selbst ziemlich kalt erwischt worden sein von dem Tempo, mit dem sich die öffentlich einsehbare Plagiatsgraphik minütlich und stündlich zu seinen Ungunsten veränderte; das Wiki hat “die informationschronologische Hegemonie des politisch-medialen Komplexes aufgelöst”, heißt es bei hackr.de unter den schönen Überschrift “Am Ende der Guttenberg-Galaxis”.

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Aber ist diese eine Krümmung in unserer gewohnten medialen Raumzeit tatsächlich schon eine Singularität, das Ende des Netzes, wie wir es kennen? Ralf Schwarz diagnostiziert in seinem Blog mediaclinique.com einen massiven Umbruch sowohl in der Politik als auch im Internet, wobei er die eigentliche Zäsur nicht in den wissenschaftlichen Wühltätigkeiten der Guttenplag-Wikinger sieht oder in dem vielbeachteten offenen Brief der Doktoranden. Das eigentliche Novum ist vielmehr, dass sich jetzt auch verstärkt die Fankurve des verkrachten Kurfürsten Karl-Theodor im Netz zu Wort meldet. Das Netz ist somit kein homogener Resonanzraum mehr wie zu Zeiten des Protestes gegen die Netzsperren und Zensursula. Der Riss geht vielmehr mitten durch die digitale Öffentlichkeit: auf der einen Seite das Guttenplag-Wiki und die #guttbye-Kampagne auf Twitter, und auf der anderen Seite die Facebookgruppe Wir-wollen-Guttenberg-zurück, die in den vergangenen Tagen mehr als eine halbe Million “gefällt mir”-Bekundungen einsammelte. Auch wenn Zweifel angebracht sind, ob die ganzen Profile und Likes durch die Bank echt sind, die Zeichen stehen an der Wand: Mit der alleinigen Lufthoheit der alteingesessenen Netizens und Gadget-Guys, der Piratenpartei-Unterstützer und digitalen Bohemiens ist es vorbei. Jetzt reden auch seitengescheitelte Pullunderträger mit, die vielleicht im Ortsverein der Jungen Union engagiert sind. Und es bringt auch nichts, die Gutti-Groupies nur als Facebook-Phänomen abzutun und sich damit zu trösten, dass Twitteure und Twitteusen alles in allem resistenter zu sein scheinen gegen die Infektion mit der Gutti-Gutfinderitis.

Mit den traditionellen demoskopischen Maßstäben wie der Sonntagsfrage und der Frage “welcher Politiker sollte Ihrer Meinung nach künftig eine größere Rolle spielen?” ist das Phänomen zu Guttenberg jedenfalls nicht hinreichend zu beschreiben. Die eigentliche Zäsur sieht Michael Spreng, einst Berater im Dienste von Edmund Stoiber, darin, dass mit zu Guttenberg die Popkultur in die politische Kultur eingebrochen sei: “Das ist ein völlig neues Phänomen, das man bisher allenfalls von Berlusconi und den italienischen Wählern kannte. Der “Popstar”, der “Superstar”, wie zu Guttenberg genannt und gefeiert wurde, hat Millionen Fans wie ein wirklicher Pop- oder Rockstar.” Nun lag Spreng neulich zwar (ebenso wie Ihr ergebener FAZ-Blogger in seiner privaten Dunkelkammer) grottenfalsch mit seiner Einschätzung, der Popstar-Status könnte den Minister davor bewahren, zurückzutreten oder geschasst zu werden. Aber wer die Einträge in der Facebook-Unterstützergruppe liest, sieht Sprengs restliche Analyse aufs schönste bestätigt: “So, wie Enthüllungen über Drogenexzesse den Fan eines Rockstars nicht erschüttern können, so kann eine gefälschte Doktorarbeit den Guttenberg-Fan nicht von seinem Idol trennen. Im Gegenteil: ihre Liebe und Verehrung wird umso stärker, je mehr ihr Idol angegriffen wird, weil sie glauben, es beschützen zu müssen.”

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Aber wie hieß es hier in diesem Blog, als es um die Rolle von Twitter und Facebook bei den politischen Umstürzen in Tunesien und Ägypten ging? “Wichtig ist auf dem Platz.” Einen “gefällt mir”-Button klicken, einen Tweet oder Forenkommentar absetzen ist eine Sache, ganz real für seine Auffassung auf die Straße zu gehen, eine andere. Gemessen an dem Facebook-Hype darf man die Bilanz der Pro-Guttenberg-Demos am Wochenende in mehreren deutschen Städten durchaus enttäuschend nennen. Gingen in seiner oberfränkischen Heimatgemeinde Guttenberg nach Veranstalterangaben immerhin rund 2000 Unterstützer auf die Straße, blieben andernorts die Teilnehmerzahlen zwei- oder dreistellig. Und zum Teil hatten die Guttenberg-Gutfinder gegen die ebenfalls anwesenden Spötter und Spaßguerilleros einen schweren Stand mit ihrem Kampfruf “Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns den Gutti klaut.” Aber zumindest wurden dem Vernehmen nach keine Kuscheltiere geworfen.