Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Allgemeiner digitaler Anwender-Club

Brauchen wir Netzbürger unbedingt einen Club von Campaneros zur Interessensvertretung? Der Versuch von Markus Beckedahl, der digitalen Gesellschaft eine Stimme zu geben, stößt in der Netzöffentlichkeit jedenfalls nicht nur auf Gegenliebe.

Um es gleich vorweg zu sagen: Nein, ich war nicht auf der re:publica. Im Zweifelsfall könnte man mich zwar als Mitglied einer wie auch immer gearteten Netzgemeinde betrachten, aber daraus folgt ja nicht, dass ich auch auf ihrem alljährlichen Kirchentag in der Berliner Kalkscheune präsent sein muss. Einen Programmpunkt der Veranstaltung hätte ich aber womöglich doch ganz gerne live miterlebt: die Verkündung von Markus Beckedahls neuem Projekt, dem Verein „Digitale Gesellschaft e.V.” Es hätte mich nämlich interessiert, ob dieses Vorhaben bei den anwesenden Konferenzteilnehmern genauso kontrovers rezipiert wurde wie es die anschließende Welle von einschlägigen Blogberichten vermuten lässt.

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Aber nochmal für Normalsterbliche und Nicht-Insider kurz zusammengefasst, worum es eigentlich geht: Markus Beckedahl, Betreiber des Berliner Blogs netzpolitik.org, hat mit einigen Mitstreitern einen Verein ins Leben gerufen, der nach eigenem Bekunden die Interessen der Internet-Nutzer effektiver als bisher in den netzpolitischen Debatten einbringen will. Die „Digitale Gesellschaft e.V.” versteht sich als eine „kampagnenorientierte Initiative für eine bürgerrechts- und verbraucherfreundliche Netzpolitik”, wie es auf der Website des Vereins heißt. Kampagnen habe es in den letzten Jahren zwar durchaus zahlreich gegeben, gegen die Vorratsdatenspeicherung, das Zugangserschwerungsgesetz oder für den Erhalt der Privatkopie. Aber stets stand man vor dem Problem, erst einmal Infrastrukturen und ein Unterstützernetzwerk aufzubauen. Dazu fehlten oft Menschen, die Zeit haben, diese Kampagnen zu betreuen – und manche Kampagnen hätten nur bereits Informierte erreicht. Das wolle man ändern, dabei auch auf Erfahrungen aus anderen sozialen Bewegungen wie der Umweltbewegung aufbauen und diese digital weiterdenken. Also mehr in Richtung Greenpeace und Campact als hin zu einem Internet-ADAC, wie Initiator Beckedahl betont.

Das liest sich auf dem Papier (oder genauer gesagt: auf dem Datenträger) eigentlich ziemlich knorke. Und gegen eine Art Online-Greenpeace kann doch keiner was haben, oder? Ich meine natürlich außer den profitgierigen Content-Kartellen mit ihren mannigfaltigen Bezahlschranken und Urheberrechts-Daumenschrauben, irgendwelchen kontrollsüchtigen Internet-Ausdruckern in Bundestagsfraktionen, Länderparlamenten und Staatskanzleien sowie den notorischen Datenkraken und Zensur-Providern, welche die Netzneutralität abschaffen wollen. Aber so eindeutig und klar verlaufen die Konfliktlinien in dieser Angelegenheit nicht. Soweit ich das bisherige Echo ausloten konnte, haben die bezahlten Büttel der Content-Kartelle von ARD über Heise und FAZ bis hin zu Spiegel Online und ZDF eher neutral bis aufgeschlossen berichtet, wohingegen die erste Resonanz auf Blogger- und Twittererseite schon fast Shitstorm-Qualitäten aufweist.

Was also haben Teile der Netzöffentlichkeit für ein Problem mit der Initiative des netzpolitischen Klassensprechers von eigenen Gnaden? Da zuckt zuvorderst ein tiefsitzender anarchischer Abwehrreflex gegenüber jedem, der sich zum Vorturner aufschwingt, ganz gleich, ob der Betreffende eine provokativ-rote Irofrisur trägt wie Sascha Lobo oder eher pastorensohnmäßig und politisch grün angehaucht unterwegs ist wie Beckedahl. „Hier wird so getan, als ob, aber letztendlich wird ein Vehikel geschaffen, das Markus Beckedahl, Markus Beckedahl und Markus Beckedahl als Thema haben wird”, schreibt Nico Lumma. Das gehe auch völlig in Ordnung, aber dann möge man den Verein doch bitte anders nennen, etwa Berlin-Mitte Nerds e.V. Nicht minder schwer wiegt der Vorwurf, dass der Verein nicht mal im Ansatz die offenen Strukturen des Netzes mit all seinen kollaborativen Möglichkeiten abbildet und zur Einbindung möglichst Vieler nutzt. Stattdessen präsentiert sich der Verein als eine geschlossene Gesellschaft mit intransparenten und hierarchischen Strukturen. Der frühere SPD-Politiker Jörg Tauss schreibt in seinem offenen Brief an Beckedahl & Co.: Die Leute zum Spenden und Einbringen von Zeit und Arbeitskraft aufzufordern, ihnen aber ansonsten weitere Mitarbeit in dem Verein zu verwehren, das gehe so gar nicht. Stattdessen empfiehlt der über den Besitz von kinderpornografischem Material gestolperte Netzexperte, die Vereinsaktivitäten der „Digitale Gesellschaft e.V.” auf Eis zu legen und erst mal die nötige Öffentlichkeit herzustellen und tatsächliche Notwendigkeiten zu diskutieren.

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Diese Notwendigkeit sehen Beckedahl und seine Mitstreiter freilich nicht. Auf der Vereinswebsite haben sie in der Zwischenzeit zu gängigen Fragen und Vorwürfen Stellung bezogen. Die von anderen netzpolitischen Initiativen abweichenden Strukturen habe man bewusst gewählt, weil der Verein andere Stärken ausspielen soll: „Wir haben uns an Campact.de, Greenpeace und Lobby Control orientiert. Diese Organisationen sind so strukturiert, weil sie eben keine basisdemokratische Grundlagenarbeit (die es schon gibt), sondern Kampagnenarbeit machen wollen.” Die Themen für die Kampagnen kämen aber auf alle Fälle aus der Community. Da darf man schon mal gespannt sein. Wie Detlef Borchers in dieser Zeitung bereits anmerkte, ist es im digitalen Leben nicht möglich, mit virtuellen Schlauchbooten vor schwimmenden Facebook-Freundschaftstankern zu kreuzen oder den Schlot einer Serverfarm von Google zu erklettern. Ein Protestbutton à la „Stasi 2.0″ ist schnell ins Blog kopiert, ein geharnischter Tweet in Null komma nichts retweetet, aber wie die Aufstände in Tunesien und Ägypten gezeigt haben, verlaufen die entscheidenderen politischen Prozesse immer noch in der analogen Kohlenstoff-Sphäre.

Für die Netzgesellschaft wäre es jedenfalls recht blamabel, wenn ihren Kirchentags-Fürbittensprechern nichts besseres gelänge als jenes zu Recht schnell vergessene Internet-Manifest von 2009, das den Springers, Burdas und WAZ-Männern mal so richtig heimleuchten sollte, wo journalistisch im Netz der Hammer hängt (und das von Plattitüden und substantivistischem Schwurbel nur so strotzte). Übrigens hat unser geschätzter Bloggerkollege Don Alphonso seinerzeit vorhergesagt, dass nach diesem Manifest eine Vereinsgründung der üblichen Verdächtigen der nächste logische Schritt wäre. Einen zugkräftigen Namen für die Veranstaltung hatte er auch schon: Mittelalte Adabeis Für Internet Angeberei M.A.F.I.A. e.V..

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Ganz so negativ würde ich Beckedahls zartes NGO-Pflänzchen vom Start weg nicht bewerten. Aber es wird entscheidend darauf ankommen, diese Plattform nicht als Vehikel für noch mehr Ego-Marketing überzustrapazieren, sondern wirklich für die Interessen breiterer Nutzerschichten in den Ring zu steigen. Der Versuch des Vereins, die Nutzer auf der Website mit ihren Fragen zu Netzthemen einzubinden, mutet in diesem Zusammenhang allerdings eher wie eine nette interaktive Spielerei an. Initiator Beckedahl selber hat übrigens auch eine Frage vorgelegt: „Warum gibt es nicht 1 Prozent der Rundfunkgebühren fürs Netz?” Tja, gute Frage. Man möchte, bevor man sich in Föderalismus- und Rundfunkrechtsdetails verliert, mit einer Gegenfrage antworten: Wen genau hätte er denn da als Empfänger im Auge, wie lautet die richtige Kontonummer des Internets?