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Tot und lebendig: Schrödingers Katze

Zum Wohle aller Hauskatzen entzieht sich die Quantenmechanik bis heute in vieler Hinsicht der vollständigen Vermessung wie auch dem Verständnis - nicht nur der Autorin, sondern auch vieler Physiker.

Zum Wohle aller Hauskatzen entzieht sich die Quantenmechanik bis heute in vieler Hinsicht der vollständigen Vermessung wie auch dem Verständnis – nicht nur der Autorin, sondern auch vieler Physiker.

Irgendwo habe ich vor kurzem gelesen, daß sich alle Menschen in zwei Dimensionen einordnen lassen: klug und dumm, und faul und fleißig. Über die dummen, fleißigen wurde gesagt, sie seien die schlimmsten, die immer nur Unheil anrichteten. Unheil habe ich bisher hoffentlich nur wenig angerichtet, aber zweifellos hätten mich meine sämtlichen Lehrer naturwissenschaftlicher oder mathematischer Fächer in genau diese Kategorie eingeordnet. Ich habe wenig begriffen, bin aber mit sturem Auswendiglernen so leidlich durch sämtliche Klausuren durchgekommen. Retrospektiv frage ich mich, wie ich das geschafft habe, denn mein Verständnis vieler physikalischer Grundbegriffe ist bis heute mehr als lückenhaft. Damit bin ich auch denkbar ungeeignet, über gerade solche Themen zu schreiben, aber der Leserwunsch ist auch in dieser Angelegenheit mein Wille. Denken Sie sich aber bitte einfach hinter jedem zweiten Satz ein einschränkendes “so wie ich es verstehe”. Und halten Sie im Hinterkopf, daß klügere Köpfe als ich über die Quantenmechanik gesagt haben: wer behauptet, sie zu verstehen, hat sie nicht verstanden.

Vor einigen Jahren pflegte ich eine sehr spannende Mail-Korrespondenz mit einem jungen Neurophysiker. Der junge Mann nahm regelmäßig beiläufig auf allerlei Dinge Bezug, die ich erst bei Wikipedia nachschlagen mußte, wollte ich mich nicht durch dumme Fragen kompromittieren. In einer dieser Mails machte ich auch Bekanntschaft mit Schrödingers Katze. Ich habe es damals wohl nicht sehr gründlich nachgelesen, denn all die Jahre beschränkte sich mein sehr rudimentäres Verständnis dieser bekannten Anekdote darauf, daß eine beobachtete Katze sich allein durch die Beobachtung schon anders verhält als sonst – man kann sie also niemals in ihrem unbeobachteten Zustand beobachten, denn dann weiß sie sich beobachtet und ändert ihr Verhalten. Das übertragen auf irgendwelche physikalischen Teilchen, denn Schrödinger war Physiker.

Bild zu: Tot und lebendig: Schrödingers Katze

Obwohl ich mit dieser katastrophalen Verdrehung bisher nicht unangenehm aufgefallen bin, mußte ich nun beschämt feststellen: es ist alles ganz anders. Was Schrödinger nämlich eigentlich meinte, ist unendlich viel differenzierter und komplizierter. Die Katze des Schrödingerschen Gedankenexperiments sitzt tatsächlich in einem Kasten, in den man nicht hineinschauen kann, aber sie ist nicht allein. Mit ihr im Kasten sind auch ein kleiner Geigerzähler, ein Giftfläschchen und ein instabiler Atomkern, der irgendwann in nächster Zeit zerfallen wird.

Setzt man nun eine Zeitspanne als Beobachtungszeitraum fest, so könnte der Atomkern in dieser Zeit zerfallen, oder auch nicht. Wenn er zerfällt, setzt er durch einen Mechanismus das Gift frei und die Katze stirbt. Zerfällt er nicht, überlebt die Katze. Nach den Annahmen der Quantemechanik befindet sich der Atomkern während dieser Stunde im Zustand der Überlagerung, er ist damit gleichzeitig zerfallen und nicht zerfallen. Überträgt man diesen quantenmechanischen Zustand auf die Katze, wäre diese in Analogie zum Atom sowohl tot als auch lebendig. Zur gleichen Zeit. Wenn man den Kasten jedoch öffnet, endet der Zustand der Überlagerung, einer von zwei Zuständen tritt ein, manifestiert durch eine tote oder eine lebendige Katze. Hört sich spinnert an? Hat aber mit den Grundannahmen der Quantenmechanik zu tun.

In der klassischen Physik war man weitgehend der Auffassung, Licht bestünde aus Teilchen. Zwar gab es Gegenstimmen, wie zum Beispiel Huygens im frühen 17. Jahrhundert, der die Wellenoptik begründete, aber er konnte sich – mangels experimenteller Beweise – nicht behaupten. Erst m 19. Jahrhundert konnten verschiedene Forscher zeigen, daß das Licht sowohl Wellen- als auch Teilcheneigenschaften hat.

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Mit zunehmender Erforschung quantenmechanischer Phänomene stellte sich heraus, daß man für die dort beobachteten sehr kleinen Teilchen – wie zum Beispiel Licht – nicht mehr (wie in der klassischen Physik) mit absoluter Sicherheit Ort und Geschwindigkeit bestimmen kann, weil der Messvorgang die Teilchen beeinflusst. Dasselbe Experiment (hier Beschreibung für Dummies wie mich) zeigte auch, daß Teilchen sich jenseits der normalen physikalischen Prinzipien gegenseitig beeinflussen, und sich gleichzeitig an verschiedenen Stellen aufzuhalten schienen, beschrieben durch eine sogenannte Wellenfunktion. Darunter kann man sich etwas ähnliches wie eine besonders komplizierte Wahrscheinlichkeitsfunktion für verschiedene Teilchen-Aufenthaltsorte vorstellen, nur daß es sich bei diesem Phänomen der “Überlagerung” eben nicht um klassische Wahrscheinlichkeiten handelt sondern um eine vollständige Beschreibung. Die Teilchen sind nicht mit gewissen Wahrscheinlichkeiten an verschiedenen Orten, sondern tatsächlich gleichzeitig an verschiedenen Orten. Bedauerlicherweise kann man das nicht messen, weil ja die Messung den Aufenthaltsort beeinflußt, die Wellenfunktion “kollabiert” bei Messung, d.h. die Teilchen entschieden sich sozusagen sprunghaft für einen Aufenthaltsort.

Die Theorie der Quantenmechanik erklärt sozusagen ein Phänomen, das sich anders nicht erklären ließ, wobei die zentralen Eigenschaften nur schwer beweisbar, weil nicht meßbar sind. Eben diese Eigenschaften führten auch dazu, daß Heisenberg das Wort von der “Unschärfe” prägte, weil den Teilchen in ihrem sonderbaren Quantenzustand ihrer Natur nach nicht mit Meßmethoden beizukommen war, auch nicht mit Computern – sie sind einfach unscharf. Punkt.

Die arg verblüfften Physiker trafen sich 1927 in Kopenhagen, um diesem Problem zu Leibe zu rücken. Einige vertraten die Meinung, es gebe einen X-Faktor, die sogenannte “verborgene Variable”, die das sonderbare Verhalten erklären könnte. Nachdem diese aber bis heute nicht gefunden werden konnte, geht man inzwischen davon aus, daß die oben skizzierten Phänomene einfach Eigenschaften einer physikalischen Mikro-Ebene sind, eben der Quantenmechanik.

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Zurück zur Katze. Da Teilchen sich wie Wellen gewissermaßen an mehreren Orten gleichzeitig aufhalten können, und dieser Aufenthaltsort obendrein auch noch mit Meßvorgängen interagiert, ist Schrödingers Gedankenexperiment nur die logische Konsequenz der Annahmen über die Quantenmechanik, übertragen auf größere Objekte. Die Teilchen in ihrem Überlagerungszustand mit verschiedenen Aufenthaltsorten führen dazu, daß die experimentelle Katze sich in ihrem uneinsehbaren Karton während der Beobachtungszeit in verschiedenen Zuständen befinden müßte, weil sich die Unschärfe des Atomzerfallteilchens auf seine Umgebung überträgt. Öffnet man hingegen den Kasten, kollabiert die Wellenfunktion, die Überlagerung endet, die Teilchen entscheiden sich für einen Aufenthaltsort und die Katze ist beobachtbar entweder tot oder lebendig.

Das ist natürlich ziemlich weit hergeholt und eben das wollte Schrödinger mit seinem Gedankenexperiment zeigen. Warum aber beobachten wir keine gleichzeitig toten und lebendigen Wesen? Gemäß der “Kopenhagener Deutung”, weil mit der Messung bzw. bewußten Beobachtung die Teilchen sich für einen Zustand und Ort entscheiden. Gemäß der Dekohärenztheorie hingegen liegt es daran, daß Überlagerungen nur bei sehr kleinen Objekten auf atomarer Ebene auftreten, sich jedoch mit zunehmender Größe/Masse des Objekts die Überlagerung von Wellen immer schwieriger gestaltet und irgendwann einfach nicht mehr stattfindet – zum Beispiel bei Katzen. Und umso fetter die Katze, umso weniger Überlagerung. Die Wellenfunktion kollabiert nicht erst mit der Beobachtung, sondern schon durch die Interaktion mit größeren Systemen (also zum Beispiel der Katze).

Die ganze Theorie ist reichlich abstrakt – und wann wäre dieses Wort angemessener als bei einer solchen Theorie, die sich quasi per Definition des meßbaren Beweises entzieht – und zum Besten aller Katzen dieser Welt kann ich nur hoffen, daß es niemals jemand mit einer Katze umgesetzt hat.