Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Elektronische Ermüdungserscheinungen

Flaut die Begeisterung über Facebook, Twitter & Co. allmählich ab? Während die breite Masse diese Welt erst noch für sich entdeckt, werden die ersten Vorturner der dauervernetzten Existenz schon müde.

Ein Gespenst geht um im Web 2.0: Allen Jubelarien über Social Media und die Digitalisierung der Gesellschaft zum Trotz mehren sich die Anzeichen, dass der ganz große Hype ums Thema allmählich zu Ende geht und sich erste Ermüdungserscheinungen zeigen. Bereits 2010 machte bei den gut vernetzten Vorturnern und Early Adoptern das Schlagwort „Social Müdia” die Runde. Inzwischen lässt sich das Phänomen auch in Zahlen fassen. Die in Netzkreisen nicht ganz unbekannte Beratungsfirma Gartner hat in einer international angelegten Nutzerbefragung festgestellt, dass gut ein Viertel aller befragten jungen Menschen unter 30 Jahren soziale Netzwerke weniger nutzen als zu Anfang, und 31 Prozent gaben zu Protokoll, dass der Spaß an Facebook, Twitter & Co. deutlich nachgelassen habe. Dem entgegen steht zwar auch ein stattlicher Anteil von 37 Prozent, die soziale Netzwerke intensiver nutzen als zu Beginn, aber die Zeichen stehen an der Wand: „Unter den Early Adoptern sehen wir durchaus Ermüdungseffekte, und dass nahezu ein Drittel der Befragten vom sozialen Netzwerken gelangweilt ist, sollte die Betreiber motivieren, innovativ zu sein und ihre Angebote zu diversifizieren, um sie für die Nutzer weiterhin interessant zu machen”, sagt Gartner-Forschungsleiter Brian Blau. Die neue Konsumentengeneration sei ruhelos und habe nur eine begrenzte Aufmerksamkeitsspanne, so Blau, und um diese Nutzerschaft signifikant zu beeindrucken brauche es schon ein hohes Maß an Kreativität.

Olaf Kolbrück, Redakteur und Blogger in Diensten des Marketingblatts „Horizont”, hat dem Social-Müdia-Faktor bereits im Januar 2010 nachgespürt und stellt heute fest: „Geredet wird über das Erschöpfungssymptom inzwischen seltener. Es ist beinahe Status quo.” Nun gut, das ist der Gang der Dinge, Aufstieg und Fall, Boom und Ernüchterung. Ein normaler Entwicklungsprozess, den die Gartner Group mit ihrem „Hype-Cycle” seit Jahren beschreibt und genau kartieren kann, wo ein Netz- und Technologiethema grade steht in der typischen Kurve ausgehend vom „technologischen Auslöser” über den „Gipfel der überzogenen Erwartungen” und den „Pfad der Erleuchtung” bis hin zum „Plateau der Produktivität”.

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Im Grunde ist es also business as usual, wenn ein neues Spielzeug die Kinder allmählich langweilt, die als erstes damit gespielt haben. Das wäre auch nicht unbedingt einen eigenen Beitrag hier wert, hinge da nicht noch ein bisschen mehr dran – wie zum Beispiel auch gesamtwirtschaftlich relevante Absatz-Strategien und Geschäftsmodelle. Es sind in den letzten Jahren zahllose Web-Wanderprediger und Social-Media-Evangelisten durch die Lande gezogen, um Unternehmen und Organisationen das hohe Lied des Mitmach-Netzes zu singen und zu warnen, wer hier nicht mitmache im Dialog und seine Geschäftsprozesse digitalisiere, werde binnen weniger Jahre vom Markt hinweggefegt sein. Märkte seien Gespräche, lehrte das vielzitierte Cluetrain-Manifest – und bieten sich mit Blogs, Podcasts, Vlogs, sozialen Netzwerken und ortsbasierten Diensten nicht mannigfaltige Chancen, mit dem Verbraucher ins Gespräch zu treten? Kurzum, wer hier zu spät kommt, den bestraft das Leben, so die Kernbotschaft der Netz-Evangelisten. Nach dem E-Commerce der Nullerjahre jetzt der F-Commerce auf Facebook oder morgen vielleicht der G-Commerce auf Google oder Groupon – „Einsteigen, Dabeisein, Spaß haben”, tönen die Berater allenthalben wie die Schausteller und Losverkäufer auf der Kirmes. Und wenn morgen in Köln die Digitalmarketingmesse dmexco ihre Pforten öffnet, dann sind sie wieder beisammen, die Unternehmen, die Dienstleister und alle, die im Netz was reißen wollen.

Über eines sollten die zu erwartenden Aussteller- und Besucherrekorde dieses Groß-Events allerdings nicht hinwegtäuschen: Nur um des olympischen Mottos „Dabei sein ist alles” willen werden sich nur noch die wenigsten Firmen und Organisationen Präsenzen und Engagements im Social Web an die Backe binden. Zwar hallt noch da und dort die Warnung im virtuellen Raum, Unternehmen mögen das zarte Pflänzchen Social Media nicht mit allzu frühen Forderungen nach einem messbaren Return on Invest (ROI) belasten. Aber inzwischen ist das Thema auf der Hype-Cycle-Kurve schon wieder ein Stück weiter vorgerückt, und die Frage „was bringt mir das” treibt immer mehr Unternehmen ganz konkret um. Nun gibt es hierbei eine ganze Latte von Parametern, anhand derer man Erfolge messen kann: Fans bzw. Likes, Traffic auf der eigenen Seite, Bekanntheit, positive Verbrauchererwähnungen und dergleichen mehr. Aber wenn es um harte Zahlen geht wie verkaufte Stückzahlen oder Umsatz-Entwicklungen, dann ist das Social-Media-Engagement nur ein Faktor unter vielen (Werbedruck auf klassischen Kanälen, Preisgestaltung, Promotionaktionen im Handel etc.). Die Frage nach dem Wirkungsbeitrag einer einzelnen Maßnahme in einem solchen komplexen Mix ist schwer schlüssig und eindeutig zu beantworten, in aller Regel braucht es dazu komplizierte ökonometrische Modellings – und da wäre Ihr ergebener Autor schon ziemlich weit im Spezialgebiet seiner geschätzten Kollegin Sophia Infinitesimalia. Aber misst man im Netz das, was einfach zu messen ist, dann fällt es schwer, in Euphorie auszubrechen. Oder den Evangelisten noch zu glauben, die sich vor kurzem noch hinstellten und sinngemaß behaupteten, Unternehmen, die nicht auf Facebook & Co. präsent sind, wären die klaren Verlierer von morgen. Fakt ist, dass die Interaktionsraten auf den meisten Markenpages ausbaufähig sind, um es mal wohlwollend zu umschreiben. Laut einer IBM-Studie wollen gerade mal 23 Prozent der Nutzer im Social Web mit Marken interagieren, schreibt „Horizont”-Blogger Olaf Kolbrück. So wiederholt sich hier das alte Spiel wie mit den Werbebannern in der Internet-Urzeit: Solange das was Neues war, klickten viel mehr Nutzer auf die bunten Reklameflächen als heute. Genauso geht es mit den Interaktionsraten auf Fanpages stetig bergab – nicht nur bei werbungtreibenden Unternehmen, sondern auch auf den Pages von internationalen Megastars wie Lady Gaga, Eminem oder Shakira.

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Was lehrt das nun? Märkte mögen Gespräche sein – aber nicht jedes Gesprächsangebot ist auch ein guter Marktplatz – „und das müssen wir verdammt noch mal in unsere limitierten Marketingschädel reinbekommen”, sagt Thilo Specht von Cluetrain-PR. Wäre zu hoffen, dass diese Erkenntnis auch in den kommenden Tagen auf der Branchenmesse dmexco die Runde macht.

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