Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Kleine Kulturgeschichte des Digitalbildhasses

Feinde der Bildschwemme im Netz befinden sich in bester Tradition: Auch kleinbildkameras und Farben aus Tuben galten Kennern früher als verabscheuungswürdiger Tand der Ignoranten.

Seien wir echt, auch wenn wir hässlich sind.
Gustave Courbet

Stellen Sie sich vor, es ist Frühling. Sie nehmen Ihre Staffelei und eine frische Leinwand und die Pinsel, und gehen an den See. Die Sonne scheint, das Motiv ist prächtig, Sie geben sich alle Mühe, und so entsteht langsam ein Bild in kräftigen Farben, das Licht und die Wärme des Tages einfängt. Sie tun keinem etwas zu Leide, und bereiten, denken Sie sich zumindest, jemandem eine Freude, der Ihnen dann ein Lächeln schenkt für Ihre Anstrengung. Gut, es ist kein El Greco und auch kein August Macke, aber das ist ja auch nicht Ihr Anspruch, sondern einfach nur ein hübsches Bild, und etwas kulturelle Betätigung. Sie denken, als Sie den Inhalt der Farbtube ausdrücken, also an ihre Bekannte, lächeln –

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und dann kommt einer daher und pöbelt sie an. Kein Skinhead, kein Unterprivilegierter, kein Yachtbesitzer, dem sie den Weg zu seinem Boot versperren, nein, ein Künstler. Was Ihnen denn einfallen würde, hier Farbtuben zu verwenden und damit auf der Leinwand herumzuschmieren. Das gehe ja wohl überhaupt nicht. So dürfe man nicht malen. Man müsste auf die Linien und die Form achten, die Farbe sei als Kolorierung nachrangig. Also, sagt er und stösst die Staffelei um, zeichnen Sie gefälligst erst einmal auf Papier vor, machen Sie Skizzen, gehen Sie dann nach Hause ins Atelier und malen Sie dort. Dann haben Sie auch genug Zeit, am Bild zu arbeiten. Allein das Anmischen der Farben, das Mörsern der Pigmente, das Grundieren der Leinwand, das gute Jahr Trocknungszeit, bevor die Firnis aufgetragen werden kann – das alles gehört dazu. Was zum Teufel, ereifert er sich, fällt Ihnen überhaupt ein zu denken, Sie könnten mit diesen vorgefertigten Tubenfarben irgendwas machen? Hä?

Das klingt jetzt vielleicht reichlich übertrieben, ja, vielleicht sogar verrückt, aber die Erfindung der Tubenfarbe – und in ihrer Nachfolge der Aufstieg der Freiluftmalerei und der Erfolg des Impressionismus – führte im Frankreich des 19. Jahrhunderts zu dergleichen erbitterten Reaktionen. Unter Führung des Malers Ingres wehrte sich die akademische Strömung der Malerei gegen die – Ihres Erachtens – schnell hingepfuschten Farbkleckserein, die nicht im Mindesten der langwierigen, harten Arbeit des Bildermachens entsprach: Ein geheimnisvolles Kunsthandwerk mit vielen Arbeitsschritten, die plötzlich alle verzichtbar waren, als es fertig grundierte Leinwände und Tubenfarben zu kaufen gab. Wie. Konnten. Sie. Es. Wagen. Wer sich nicht an die alten Regeln halten wollte, wurde bei Ausstellungen ausgeschlossen, verlacht, und runtergeputzt. Es dauerte ein paar Jahrzehnte, bis man den pastosen Auftrag der Farben mehr als genau gemalte Locken des Klassizismus schätzte, bis das scheinbar Nichtswürdige von den besseren Schichten akzeptiert wurde. Ob die Farbe aus der Tube kommt, oder in einem fast alchimistischen Prozess hart erarbeitet wird, ob das Bild an einem Tag gemalt wurde, oder jahrelang durch Verzögerungen den Auftraggeber zum Verzweifeln brachte, ist später nicht mehr so entscheidend.

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Solche Debatten sollte man sich stets vor Augen führen, wenn es um den angeblichen Niedergang einer Kunstgattung durch das Digitale geht. Führende Publikationen – auch diese hier – gefallen sich immer wieder mal im Kritisieren von Nutzern, die einfach Unmengen von schlechten Bildern und Videos ins Netz stellen, ohne vorher um Erlaubnis gefragt zu haben. Über Modeblogs, in denen junge Frauen Kleider, Flohmarktfunde und Bücher vorführen, ohne dafür eine Lizenz zu besitzen. Aber dafür digitale Gerätschaften, die ihnen helfen, das mühelos und ohne jede Ausbildung und Kenntnis der journalistischen Kriterien zu bewerkstelligen. Wie. Können. Sie. Es. Wagen. Damit stehen die Kritiker in einer, für sich genommen, durchaus respektablen Tradition, und wenn sie das in einer guten Zeitung verkünden, ist meist auch ein Photograph vor Ort, der sie kenntnisreich und schwarzweiss in Szene setzt. Auf Film natürlich, 24×36 Millimeter. Digital? Niemals!

Auf der gleichen Art Film, in der gleichen Art Spiegelreflexkamera übrigens, die vor einem halben Jahrhundert mit bösen Worten von Andreas Feininger verdammt wurden. Ohne Zweifel war Feininger einer der wichtigsten Photokünstler des 20. Jahrhunderts, und seine Lehrbücher zur Photographie sind bis heute grundlegend und amüsant zu lesen. Allerdings war Feininger auch ein Anhänger jener Haltung, die, soweit möglich, mit Lichtmessgerät und Mittelformatkamera unterwegs war, und alle Einstellungen von Hand und aus langjähriger Erfahrung vornahm. Als „Die neue Foto-Lehre” erschien, kamen die ersten Spiegelreflexkameras auf den Markt, die dem Besitzer mit Belichtungsautomatik viel Arbeit abnahmen: Die Konica Autoreflex war in ihrer Zeit das für die Photographie, was 100 Jahre zuvor die Farbtube für die Malerei gewesen ist. Eine Revolution. Die einen sagten mit Feininger, dass hier eine Kunst ruiniert wird. Andere verwiesen schon damals darauf, dass die Technik eine Reihe von Aufgaben übernehme, und deren Besitzer sich deshalb anderen Aufgaben wie der Bildkomposition zuwenden könnte. Nachträglich muss man wirklich fragen, ob ein Bild weniger Gefallen erregt, wenn das Motiv vorher nicht von Hand mit dem Belichtungsmesser untersucht wurde, der, offen gesagt, ja auch nur ein technisches, vereinfachendes Instrument ist, für ein Ergebnis, das unbegrenzt vervielfältigt werden kann – übrigens fanden auch Kupferstecher und Lithographen die Knipserei und ihre Verwendung in Zeitungen ganz, ganz schlimm.

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Diese beiden Stiche aus der Zeit um 1750, die wie Kreidezeichnungen aussehen, stammen übrigens Francios Boucher, der für die Verbreitung solcher leichten Sujets zu seiner Zeit bekannt war. Und beliebt. Und sehr verhasst bei den Traditionalisten. Boucher war das herzlich egal, er liess seine Entwurfe auch auf Tapeten drucken, als Gobelins weben und damit Porzellan verzieren, sehr zum Ärger der Kulturpessimisten katholischer oder aufklärerischer Natur. Boucher erzählte mit seinen Bildern ausgesprochen leichte, man könnte fast sagen, seichte und belanglose Geschichten. Bei Boucher ringt kein Held ein Ungeheuer nieder, er malte auch keine geistliche Erbauung. Er machte das, was der Markt wollte, und nicht das, was seine Gegner verlangten.

So ähnlich ist das auch mit all den Bildern und Videos im Netz: Es geht, es findet ein Publikum, es muss nicht allen gefallen, aber die Kreativität macht den Erstellern Spass. Sie bemühen sich. Sie könnten auch Ballerspiele spielen, Pr0n herunterladen oder die Rechner noch Kulturpessimisten hacken. Ihre Vorstellungen entsprechen nicht dem, was Medien vielleicht gerne abdrucken. Ihre Neigung zu Inszenierung der eigenen Person mag seltsam wirken, aber wer Portraits des 18. Jahrhunderts kennt, wird davon ebenso wenig schockiert sein, wie von der mangelnden Bildkomposition – auch das 18. Jahrhundert neigte dazu, Gesichter mit dem Pinsel zu photoshoppen und dann bei den kleinen Details, die keiner so genau anschaut, weil daneben das Inkarnat der fast nackten Brust ist, zu schludern.

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Alles wie gehabt, der Zweikampf der unbedarften Macher und der Kulturpessimisten darf weiter gehen. Wobei man vielleicht neben der schwindenden Qualität der Bildersteller nicht übersehen sollte, wie auch die Qualität der Pessimisten abnimmt: Boucher wurde von Diderot kritisiert, die Impressionisten von Ingres, Leica-Kleinbildfreunde wie Capa von Feininger –

und heute beklagen uns plaudernde Blogger die Medienwissenschaftler und Journalisten. Da würde man sich von den Menschen mit hängenden Mundwinkeln, bevor man das nächste hübsche Blog mit Mädchen und Rädern oder Retromode besucht, ein klein wenig mehr Qualität wünschen.