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Die Piraten als fünftstärkste Partei hinter der FDP

Viele Wählerplätze auf dem Piratenschiff bleiben leer: Trotz blendender Umfragen fallen die Neulinge hinter den Liberalen zurück. Eine Ursachensuche.

“Uns kann nichts mehr passieren”, sagt Piraten-Bundesgeschäftsführer Johannes Ponader Pommes essend im Piratenbus. “Wir können machen, was wir wollen”, fügt er hinzu. “Wir kommen rein.”

Das war eine Äusserung gegenüber Spiegel Online letzten Sonntag in Nordrhein-Westfalen. Die Piraten haben den vierten Landtag in Folge erreicht, hinter SPD, CDU, Grünen und FDP. Auch in Schleswig-Holstein haben sie es ins Parlament geschafft – hinter  SPD, CDU, Grünen und FDP. Sie können machen, was sie wollen. Sie kommen rein. Hinter der FDP.

Anders ausgedrückt: Um die neue Partei in Schach zu halten, braucht man eine bundespolitisch zur Lachnummer abgestiegene Klientelpartei und an deren Spitze einen alten Nörgler wie Kubicki oder einen profillosen Davonläufer wie Lindner mit unschöner Vorgeschichte in der New Economy. Was soll den Piraten da noch passieren? Irgendwie scheint das auch Ponader begriffen zu haben, denn er fragt bei Twitter gerade: „Kann mal bitte jemand für mich rausfinden, wieviel öffentliche Gelder (KfW-Kredit) Lindner in seiner Insolvenz verbrannt hat?“

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Es ist gar nicht so lange her, da hielten sich führende Piraten für die neue Bürgerrechtspartei, die das Erbe der bedeutungslosen FDP antreten würde. In den Umfragen stabilisierten sie sich klar über 10%, 30% der Bevölkerung konnten es sich vorstellen, die Piraten zu wählen. Es wurden Hoffnungen laut, die Piraten könnten sogar noch besser abschneiden, weil die Umfragen dazu tendieren, gewisse Teile der Bevölkerung nicht zu erreichen, die eher den Piraten gewogen sein dürften. Davon ist nach der Wahl in NRW nichts mehr zu hören: In keinem Wahlkreis kamen die Piraten über 9,9% hinaus. Auf dem Weg zwischen den Umfragen und der Wahl müssen es sich einige doch anders überlegt haben. Einige heisst hier: Rund ein Viertel derer, die es vor ein paar Wochen noch anders sahen.

Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass man im politischen Dasein doch nicht alles machen kann, was man will. Die FDP musste das nach ihrem Sieg bei der letzten Bundestagswahl als Möwenpickpartei der spätrömischen Dekadenz erleben, als Versprechen und Ausführung nicht mehr zusammenpassten. Der Aufstieg der Piraten ist mit einigen öffentlichen Personen verbunden; besonders mit Ponaders Vorgängerin Marina Weisband, die als Integrationsfigur nach Innen und Aussen wirkte: Kompetent, freundlich, jung, ehrlich, für alle Themen ansprechbar und letztlich durch ihren Rücktritt und das Bekenntnis, einen normalen Beruf ausüben zu wollen, auch glaubwürdig. Kurz vor den Wahlen wurde dann der Vorstand der Piraten neu gewählt, und Ponader, der vor allem Themen wie das bedingungslose Grundeinkommen bei den Piraten betrieben hatte, wurde ihr Nachfolger. Um dann bei seiner ersten Talkshow zur besten Sendezeit die Piraten zu verkörpern; für die einen als amüsanter Held, der lächelnd und twitternd in Sandalen die Etablierten ins Messer laufen liess. Für andere, ich fasse da mal die Meinung meines gewiss nicht reaktionären Umfeldes zusammen, als arroganter Arbeitsscheuer, der auf Staatskosten lieber mit seinem Handy spielt, als wirklich erklären zu wollen, was für die Gesellschaft bei seinem Treiben als „Gesellschaftskünstler“ herauskommt. Beim ehemaligen Bundervorstand Gefion Thürmer, die nicht mehr als Beisitzerin gewählt wurde, kann man beide Meinungen nachlesen.

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Könnte es eventuell sein, dass so eine Berliner Attitüde, gepaart mit einer „Ihr könnt mir gar nichts“-Haltung bei Menschen, die wirklich wissen, was Arbeit im Sinne des Ruhrgebietes bedeutet, nicht gerade erfreulich ankommt? Vielleicht gibt es auch in NRW welche, die die Vorstellung, den Ponaders dieser Welt die „Existenz sicherzustellen“, damit sie weiterhin frei ihre Gesellschaftskunst auf dem teuren Smartphone betreiben können, nicht allzu ansprechend finden. Die Aussenwirkung von Marina Weisband und Sebastian Nerz war, wenn sie über das Reizthema BGE sprachen, erheblich anders; Eher eine den Sozialstaat fördernde Grundsicherung für alle denn Freifahrtschein für das, was sich da bei Jauch im Sessel niedergelassen hatte, und mit der Basis sprach.

Aber Frau Weisband war nicht mehr da, und Sebastian Nerz wurde als Parteichef abgewählt. Manche sagen vielleicht „durch die Basis“, andere sprechen eher von einem „Berliner Putsch“. Schon im Vorfeld hatte der einflussreiche Berliner Pirat Christopher Lauer über die Medien wissen lassen, man sollte Nerz, gegen den er ein Jahr zuvor unterlegen war, austauschen. Als Nerz sich gegen dauernde persönliche Angriffe aus Berlin wehrte und ein Ende der Beleidigungen bei Twitter forderte, reagierte die dortige Piratenfraktion, indem sie ihn mit einem offenen Brief brüskierte. Manche nennen das vielleicht Transparenz. Gemeinhin wirken solche Querelen aber abschreckend, weil für den Wähler angesichts derartiger Zustände schwer ersichtlich ist, wen und was er da wählt. Nerz wäre eine Person gewesen. Was da gegen ihn agierte, was „die Basis“, die bei den Piraten über alles zu befinden hat. Diese schwarmintelligente Basis mag attraktiv für Freunde der maximalen Demokratie sein, aber selbst darüber herrscht bei den Piraten keine Einigkeit: Das Abstimmungssystem Liquid Feedback, das in Zukunft ad hoc Entscheidungsfindungen erlauben soll, ist bislang chronisch anfällig für Fehler, wird nur begrenzt benutzt, ist ein offenes Tor für irre Meinungen jeder Art, und verhindert nicht, dass die privaten Konflikte weiterhin in schönster Offenheit bei Twitter und mit offenen Briefen ausgetragen werden. Sie machen, was sie wollen, denn sie glauben, sie kommen auch so rein, bei 13% in den Umfragen.

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Denkbar ist auch, dass nicht jeder junge Kreative wirklich glücklich mit den öffentlichen Äusserung zum Urheberrecht ist. Die Piraten haben da zwar fundierte Vorschläge, aber im Netz sind vor allem verkürzte Pöbeleien gegen Andersdenkende zu finden. Julia Schramm, die vielleicht lauteste Verbreiterin des Hasses auf Künstler und gleichzeitig Empfängerin von 100.000 Euro Vorschuss für ein Buch, findet geistiges Eigentum „ekelhaft“, und hat es in den Vorstand der Piratenpartei geschafft. Wie auch Klaus Peukert, der als Vertreter der „datenschutzkritischen Spackeria“ eine klare Gegenposition zu den früheren Idealen des Datenschutzes der Partei vertritt, und das Debakel von Liquid Feedback mit zu verantworten hat. Die Wähler der Piraten sind internetaffin. Sie können eine Suchmaschine benutzen. Sie informieren sich vielleicht wirklich über das, was diese Partei so treibt. Nicht nur im Wahlprogramm, sondern auch als Repräsentanten in der Realität. Und da sind zwischen der weitgehend vernünftig klingenden Partei vor dem Bundesparteitag und den schrillen Tönen, die zum Wechsel an der Spitze und danach die Debatte beherrschten, durchaus Unterschiede erkennbar.

Die Partei, die den Höhenflug ermöglichte, ist in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr die Partei, die jetzt hinter der FDP zurückbleibt. Was immer die Piraten vor Ort auf den Marktplätzen treiben, was für Schwerpunkte sie auch legen und welche Aufbauarbeit sie an den Basisstrukturen auch leisten: Im Netz werden zumeist von einer vergleichsweise kleinen Gruppe bekannter Piraten und ihres helfenden Umfeldes andere Schwerpunkte gesetzt. Da geht es um Sexismus, Rechtsextremismus, Beschimpfungen, Privatfehden, Hass auf  Künstler und Terror mit „Basis“-Shitstorms, der nicht von ungefähr ein wenig an das erinnert, was zu Zeiten der chinesischen Kulturrevolution üblich war. Entsprechend demütig waren auch die Anbiederungen an der Basis auf dem Parteitag: Alles werde man tun, was die Basis verlange, man werde sich unterordnen und sich der Weisheit der Masse unterwerfen. Man wählt bei den Piraten keine Politiker, sondern Untertanen von Abstimmungsprozessen, die man im Internet nachlesen kann, wenn sie mal funktionieren sollten, und von offenen Konflikten und Intrigen. Die funktionieren immer.

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Und das könnte, eventuell, also unter Umständen, wenn ich das unterthänigst der allwissenden Schwarmintelligenz der Piraten so dezent wie möglich andeuten darf, in der Kotauhaltung, die sie so lieben und ohne die man dort nichts wird, vielleicht der Grund sein, warum so viele Fehlgeleitete nicht in der Lage sind, das grossartige Paradies der Netzgesellschaft und ihrer Weisheit zu erkennen, und statt dessen was anderes wählen. Ja, sogar die FDP. Die inzwischen kapiert hat, dass sie nicht alles machen kann, was sie will, und trotzdem reinkommt. Die Frage, was eigentlich eine Partei ist, die nach all dem Lob der Medien hinter den alten „Pseudoliberalen“ mit ihrer „Bankrotterklärung“ und „Selbstdemontage“ (so die Ex-Jungliberale Julia Schramm) einläuft, bitte ich den Schwarm erst gar nicht zu bedenken. Er ist sicher schon weise genug, auch schon in dieser public Beta Phase, in der, da ist man sich vermutlich einig, das Problem immer vor den Bildschirmen der Anderen sitzt und nicht erkennt, wie toll das alles ist.