Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Oans, zwoa, G’Schufa!

Das umstrittene Forschungsprojekt der Schufa im Social Web ist zwar gekippt. Aber die Frage nach der Verwertbarkeit der frei zugänglichen Datenschätze aus dem Netz drängt nach wie vor.

Das umstrittene Forschungsprojekt der Schufa im Social Web ist zwar gekippt. Aber die Frage nach der Verwertbarkeit der frei zugänglichen Datenschätze aus dem Netz drängt nach wie vor.

Die Güllegewitter haben sich wieder verzogen, die Schufa hat ihr umstrittenes Forschungsprojekt in Sachen Facebook-Daten einstweilen abgeblasen. Aber kann die kritische Netzöffentlichkeit, deren massiver Aufschrei das Forschungsvorhaben in Kooperation mit dem Hasso-Plattner-Institut stoppte, sich jetzt eine Kerbe in den Gewehrkolben schnitzen und beruhigt zurücklehnen? Oder wäre es, wie Frank Rieger in dieser Zeitung forderte, jetzt nicht an der Zeit für eine Grundsatzdebatte?

Zumindest ist es frappierend, dass es erst die Verknüpfung mit dem Datenkraken-Mem Facebook brauchte, damit die geneigte Öffentlichkeit den sprichwörtlichen Elefanten im Wohnzimmer überhaupt mal wieder zur Kenntnis nimmt. Im alltäglichen Leben als Konsument und Kreditnehmer haben wir uns schon längst an die Durchleuchtung durch die Schufa gewöhnt, ohne die man heutzutage kein Darlehen, keinen Telefonanschluss und keinen Mietvertrag bekommt. Das Anklicken oder Unterschreiben der Schufa-Klauseln verursacht zwar ein mulmiges Gefühl, weil man nicht so recht weiß, wie die ominösen Scoringwerte zur Bonitätseinschätzung zustande kommen. Aber im Vergleich mit einer Willkürentscheidung eines Sachbearbeiters in der Bank, der uns nach der Haartracht, der Bügelfalte und dem Schuhputz beurteilt, scheint die Schufa nicht notwendigerweise das größere Übel zu sein.

Bild zu: Oans, zwoa, G'Schufa!

Wer soll diese Grundsatzdebatte also führen? Dass eine immer größere Anzahl Menschen aufgrund schlechter Scorewerte beträchtliche Einschränkungen in der Lebensgestaltung hinnehmen muss, ist zu beklagen. Aber für diese gesellschaftliche Entwicklung liefert der Schufa-Score nur ein greifbares Symptom, keine Ursache. Michael Seemann, Verdatungs-Apologet und einst auch Blogger im Dienste dieser Zeitung, sieht durchaus ein Diskrimierungsproblem. Seine Forderung lautet daher, bestimmte Aspekte der sozialen Teilhabe effektiv jeder Diskriminierungsmöglichkeit zu entziehen. Das funktioniere aber nicht, indem man die sozialen Unterschiede, wie sie der Schufa-Score aufzeigt, unsichtbar mache, vielmehr gelte es, die gesellschaftliche Teilhabe bedingungslos zu sichern. Seemanns übergreifenden Ansatz der Plattformneutralität (der vom bedingungslosen Grundeinkommen über Netzneutralität und das Recht auf Wasseranschluss und fahrscheinlosen Nahverkehr reicht) mag man für unrealistisch oder gar utopisch halten. Zumindest nimmt sein Debattenbeitrag die Problemstellung überhaupt mal zur Kenntnis. Und damit hebt er sich wohltuend ab von Einlassungen aus dem Umfeld der datenschutzkritischen Spackeria, welche die gesamtgesellschaftliche Dimension des Themas am liebsten ganz ausblenden und lieber lang und breit von Big-Data, Hadoop-Clustern und technischen Machbarkeiten schwärmen. Oder von dem vorhersehbar affirmativen Gebarme des Netzberaters Thomas Knüwer, der mal wieder den Digitalstandort Deutschland bedroht wähnt, weil Datenschützer wie Thilo Weichert die Vorlage von Schufa/HPI nutzen, um sich ins Gespräch zu bringen.

Knüwers bahnbrechende Feststellungen, dass die Schufa erstens ein privates Unternehmen ist und zweitens eine wichtige Funktion erfüllt, werden ja nicht mal von fundamentalistischen Aluhut-Ayatollahs und beamteten Datensparkommissaren bestritten. Aber dann kommt’s: „Dabei darf es nicht um Einzelfallentscheidungen gehen wie ‚Die Schufa darf das nicht‘, es geht um größere, komplexere Zusammenhänge.” Aha, wo steht denn das geschrieben, dass Einzelfallentscheidungen verboten sind, wo finde ich das im BGB, dem Grundgesetz oder dem 5. Buch Mose? Natürlich kann Internetguru Jeff Jarvis interessante Bücher darüber schreiben, was der digitale Wandel alles für Fragen aufwirft. Eine Verpflichtung, für all diese Fragen die einzige und allgemeingültige Lösung zu suchen, erwächst uns daraus aber nicht. Die Frage etwa, ob ein potenzieller Arbeitgeber Informationen aus dem privaten (aber öffentlichen) Facebook-Profil eines Bewerbers heranziehen darf zur Entscheidungsfindung bei der Jobvergabe kann man durchaus anders beantworten als die Frage, ob die Schufa Profilinformationen und andere personenbezogene Angaben aus dem Netz in ihre Bonitätsberechnung einfließen lassen sollte. Hier wäre für viele wohl eine Grenze klar überschritten, und selbst wenn das angeblich ergebnisoffene Forschungsprojekt von Schufa und HPI formaljuristisch nicht zwingend zu beanstanden wäre, ist die Schufa gut beraten, entsprechende Sensibilitäten in der Bevölkerung ernst zu nehmen.

Bild zu: Oans, zwoa, G'Schufa!

Aber machen wir uns nichts vor: Der letzte Versuch der Kreditwirtschaft, die im Social Web vermuteten Datenschätze zu heben, wird das nicht gewesen sein. In den USA (Vorsicht: Platitüdenalarm) ist man da nämlich schon etwas weiter. In einem Gastbeitrag für das US-Blog Mashable beschreibt Ken Lin, CEO beim bankenunabhängigen Kreditdienstleister Credit Karma, was heute schon so alles an Verwertbarem über die Kundschaft aus dem Netz gefischt wird und auf welche künftigen Erkenntnisinteressen sich der Netzbürger schon mal einstellen kann: „Vielen US-Bürgern wird es nicht bewusst sein, dass ihre Social-Media-Konversationen Banken und anderen Kreditoren sehr wertvolle Informationen liefern.” Diese Informationen würden in großen Datenbanken gesammelt und analysiert, um Kreditgebern Entscheidungshilfen sowohl im Marketing als auch in der Bonitätsbewertung zu liefern. Wonach genau wird also gesucht? Nach allem, was auf eine Änderung der finanziellen Verhältnisse schließen lässt (also Informationen wie Jobwechsel, Arbeitsplatzverlust etc.), wie es um das Social-Media-Umfeld finanziell bestellt ist und ob sich generell größere Umbrüche in der Lebenssituation andeuten, die zum Beispiel auf Heirat/Familiengründung und ähnliches hinweisen.

Bild zu: Oans, zwoa, G'Schufa!

Allerdings erwartet Lin im Marketing (also dem genaueren Erkennen von Kundensegmenten und die entsprechende Ansteuerung mit zielgenauen Werbebotschaften) schnellere und größere Effekte als in den konkreten Kreditvergabe-Entscheidungsprozessen. Wobei Lin offen lässt, ob das an der erzielbaren Datenqualität liegt oder vielleicht eher daran, dass eine auf Social-Media-Auswertungen basierende Kreditverweigerung schlecht zu kommunizieren wäre. Wie auch immer: Die von Christian Köhntopp geäußerte Sorge, groß angelegte Social-Media-Analyse gefährde das Geschäftsmodell und damit auch die Existenz der Schufa, teilt vermutlich nicht mal die Schufa selbst. Denn die sitzt als privilegierter Partner von Kreditwirtschaft und Handel auf einem einzigartigen Datenschatz, der sich auch aus nichtöffentlichen Quellen speist. Liegt eine Einwilligung vor, speichert die Schufa neben Name, Geburtsdatum, derzeitigen und früheren Anschriften auch Daten über Aufnahme und vertragsgemäße Abwicklung von Geschäftsbeziehungen („Positivmerkmale”) sowie Daten über nichtvertragsgemäßes Verhalten und gerichtliche Vollstreckungsmaßnahmen („Negativmerkmale”). Das sind derzeit 514 Millionen Informationen zu 66,2 Millionen Privatpersonen. Darüber hinaus erfasst die Schufa auch knapp 5 Millionen Selbständige, Freiberufler und Kleingewerbetreibende – und alle im Handelsregister eingetragenen Unternehmen.

Angesichts dieser umfassenden Durchleuchtung Deutschlands kann man sich natürlich schon fragen, ob das Abgrasen von irgendwelchen personenbezogenen Infos aus dem Netz auch ohne klaren Bezug zu irgendwelchen Transaktionen und Geschäftstätigkeiten einen erkennbaren Zusatznutzen verspricht. Aber selbst wenn nicht: Man spürt die Absicht und ist verstimmt.

 

Bild 1 und 3: Schufa Holding AG, Bild 2: Screenshot von facebook.de