Deus ex Machina

Deus ex Machina

Über Gott und die WWWelt

Netzpolitik nach dem Untergang der Piraten

Querelen statt Inhalte: Nachdem sich die Internetpartei erfolgreich im Netz selbst unwählbar gemacht hat, werden sich andere hoffentlich besser um die Belange und Rechte der Nutzer kümmern müssen.

Christopher Lauer sitzt in seinem Büro im Abgeordnetenhaus und wütet. Kennt man seinen Twitteraccount, ist man die Bissigkeiten gegen seine Parteifreunde gewohnt; ist man Journalist, bekommt man von ihm schon mal unverlangt Informationen über einen Kollegen seiner Piratenfraktion zugeschickt, unter anderem wegen angeblich illegaler Parteienfinanzierung. Andere Kollegen helfen ihm dabei, seine persönlichen Probleme mit dem ehemaligen Parteivorsitzenden Sebastian Nerz auszutragen. Es ist eigentlich der Normalzustand, Lauer wütend, verärgert, unzufrieden und krawallig zu erleben. Denn Lauer ist Politiker.

Bild zu: Netzpolitik nach dem Untergang der Piraten

Früher mochte Lauers Vorbild vielleicht Wolfgang Kubicki zu Beginn der Legislaturperiode im Bund gewesen sein: Ein Wadlbeisser, der in einem Bundesland fest im Sattel sass und mit seinen ständigen Eigenmächtigkeiten und Zwischenrufen dafür sorgte, dass sich in der Partei etwas in seinem Sinne bewegte. Jetzt aber sitzt Lauer in seinem Büro und ist nicht mehr der Antreiber einer Partei, die das System umkrempelt, sondern einer in internen Konflikten ruinierten Bewegung, deren Mitglieder – und Lauer als Idealbeispiel – vor allem die eigenen Leute bekämpfen. Und darüber von 13 auf 3 Prozent in der Wählergunst gefallen ist. Früher galt Lauer als Frontmann und Vordenker der Piraten. Inzwischen hat er vielleicht verstanden, dass er nur noch eine zerstrittene und durch Peinlichkeiten auffallende Fraktion inclusive Pöstchen für die Freundin leitet, und das für eine Partei, die keinerlei mächtige Landesfürsten mehr benötigt. Scheitern die Piraten bei den Wahlen des Jahres 2013, wird Lauer nur noch ein führender Restbestand eines politischen Irrtums sein, der seinen Teil dazu beigetragen hat, dass es so kam. Ein Abwickler. So kommt man in keine Talkshow. So will man natürlich nicht in die Geschichtsbücher eingehen, und so erzählt der Lauer in seinem Bonker Büro per Podcast, wer seines Erachtens alles schuld ist: Jeder, den er nicht leiden kann. Alle ausser Lauer.

Andere fertig machen, ausgrenzen und verleumden: Das bekommen die Piraten auch 2013 im Netz noch hin. Die Kommunikationsbeauftragte dieser Fraktion heisst Monika Belz und schreibt in ihrem Blog wenig diplomatisch, dass man mit Themen wie denen des Sebastian Nerz in Berlin gar nicht antreten sollte: Die Partei sollte mutiger werden, klare Entscheidungen treffen und ein schärferes Profil entwickeln. Besonders die Linken aus Berlin hätten gern eine Kaderpartei, die anderes ausschliesst, denn mit gesäuberten Strukturen und mit Themen wie dem Bedingungslosen Grundeinkommen oder der Aufhebung der Schulpflicht können sie in Berlin punkten. Dass derartige Vorschläge und die Berliner Spendenexperimente des Johannes Ponder der Stoff sind, die die Piraten in wirtschaftlich stabilen Bundesländern mit Leben jenseits von HartzIV und Rütli eher unwählbar machen, und dass die Erfolge in Berlin mit dem Untergang auf dem flachen Land erkauft werden, stören die Lauers und Belzs der Piratenpartei nicht. Aus diesem Geiste erwächst das Lauer’sche Vorpreschen in Sachen Urheberrecht, das weit hinter den Forderungen einer Partei zurückbleibt, die eigentlich angetreten war, dem Kriminalisieren von Downloadern etwas entgegen zu setzen. Eine moderne Bürgerrechtspartei des digitalen Zeitalters ist diese Partei nicht geworden. Eher eine heillos zerstrittene Gruppierung unter einem gemeinsamen Namen, die aber ausgerechnet als Internetpartei an den steinalten Gegensätzen zwischen Nord und Süd, Stadt und Land, Linkspartei und sozialliberal, Berlin und Bayern und jede Menge Hybris, Mauschelein, Lagerbildung und Intoleranz einer selbsternannten Shitstorm-Elite innerhalb angeblich basisdemokratischer Strukturen scheitert.

Bild zu: Netzpolitik nach dem Untergang der Piraten

2013 sind Wahlen zum Bundestag, da sind seitens der sog. „Altparteien” eher Geschenke für das Wahlvolk angesagt, denn polarisierende Gesetzesinitiativen. Die Piraten waren als Partei, die vor allem die Jugend anspricht, ein Problem für alle anderen Parteien. Da gingen die Erstwähler hin, da war Politik kein Anlass zur Verdrossenheit, sondern sexy, und die Themen kamen an – da wurde den anderen schnell klar, dass eine verschlafene Enquete Kommission des Bundestages zum Internet nicht reichen würde, und sie reagieren mussten. Dass es durch Leute wie Lauer und Ponader so einfach werden würde, hätten sie vermutlich nicht in ihren kühnsten Träumen erwartet. Im Moment müssen sie netzpolitisch nur die Füsse stillhalten, und die Piraten weiter ihre internen Kämpfe austragen lassen. Der glücklose Vorstand will, soweit er nicht zurückgetreten ist, bis nach den Wahlen weitermachen. Besser kann es für die Konkurrenz gar nicht laufen; der Bundesvorstand der Piraten wird selbst gewusst haben, wieso er Johannes Ponader um Zurückhaltung bei öffentlichen Auftritten gebeten hat.

Doch auch im Scheitern haben die Piraten ihre Spuren hinterlassen: So hat der Parteiübertritt des Urheberrechtsspezialisten Bruno Gerd Kramm von den Grünen zu den Piraten in seiner Ex-Partei ausgerechnet jenen Flügel um die Kulturpolitikerin Agnes Krumwiede gestärkt, deren stockkonservative und nicht wirklich fundierte Haltung zum Urheberrecht (laut Krumwiede geht es dabei eher um ein Menschenrecht) eher für Besitzstandwahrung denn für das Erarbeiten neuer Regeln in einer veränderten Welt stehen. In der SPD ist gerade erst ein Mitgliederbegehren gegen die umstrittene Vorratsdatenspeicherung am nötigen Quorum und einer sehr unwilligen Parteibürokratie gescheitert: Wem das Thema wirklich wichtig war, engagierte sich eher bei den Piraten.

Bild zu: Netzpolitik nach dem Untergang der Piraten

Vergleichsweise parteinahe, auf Internetpolitik spezialisierte Organisationen wie D64 für die SPD oder Digitale Gesellschaft für die Grünen weichen zwar teilweise deutlich von den offiziellen Standpunkten ab, aber der Einfluss auf politische Entscheidungen ist nicht überwältigend. Gerade bei D64 spielt heute wieder Nico Lumma eine wichtige Rolle, der schon einmal beim beratenden Gesprächskreis Netzpolitik des SPD Parteivorstandes dabei war, einer wirkungslosen Plauschrunde mit Internetpromis, die sich wegen der Vorratsdatenspeicherung unter Protest auflöste. „Das Bohren ganz dicker Bretter” wäre für diese Art der Sensibilisierung einer Partei eine vorsichtige Umschreibung. Dass D64 und DigiGes durch einen hohen Ausstoss von Pressemitteilungen mit ihrer Interpretation des Geleisteten die Medien bestürmen und versuchen, so etwas wie eine Deutungshoheit über die Netzpolitik zu erlangen, gehört zu diesem Geschäft – in dem auch ein Herr Guttenberg von der EU zum Internet-Berater der Kommission geadelt wurde. Immerhin sind diese Organisationen schon dort, wo manche Piraten erst hin möchten: Bei der intransparenten, geschlossenen Gesellschaft, bei der nie ganz klar ist, um was es letztlich geht; Politik, Parteiinteresse oder Einflussnahme zugunsten von Agenturen, Startup-Investoren oder Einzelpersonen, die gern ihren Namen in der Presse lesen möchten. Netzpolitiker kann man so einfach werden wie Social Media Berater, man braucht eigentlich nur eine Website, etwas Arroganz und Kontakte zu den Medien, um mit einem der vielen Teilbereiche einen Platz in der Öffentlichkeit zu kommen: Netzfeminismus, Postprivacy, Anti-Google- oder Anti-Leistungsschutzrecht-Aktivismus, alles ist nur eine Frage der richtigen Marktnische und des nötigen Selbstvertrauens. Eine Weile schien es, die Piraten könnten allen eine Heimat geben; jetzt geht man eher wieder eigener Wege.

Auf denen andere schon länger und konsequent unterwegs sind. Von bekannten Mitgliedern des Chaos Computer Clubs weiss man, dass sie stark umworben wurden, den Piraten beizutreten, die sich gern als politischen Arm der Hackerszene sehen wollten. Mit Jahrzehnten kontinuierlicher Arbeit hat der CCC keinen Hypezyklus wie die Piraten mitgemacht, und nachdem es dort auch keine dotierten Mandate, Posten, Gehälter und Pensionsansprüche zu verteilen gibt, war man bislang von Trittbrettfahrern vergleichsweise unbelastet. Beim diesjährigen Kongress 29C3 verkündeten bei Twitter auffallend viele selbstgestaltete Ex-Hoffungsträger der Piraten (und einige bewusste -Innen, die aber nicht wirklich gut ankommen), dass sie auch teilnehmen würden. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Es gibt weiterhin die Big Brother Awards und den Verein Digitale Courage, es gibt Datenschutzbeauftragte wie Thilo Weichert, die sich rechtlich fundiert auch mit Konzernen wie Google und Facebook anlegen. Es gibt Leute wie Wolf Haas, die sich auf ein spezielles Thema konzentrieren und es ins Bewusstsein bringen. Und all die Demonstranten, die gegen ACTA auf die Strasse gingen, sind immer noch da und haben auch Internetzugang, um sich zu informieren. Es gibt alternative Medien wie Fefes Blog, und generell ein hohes Empörungspotenzial: Nur weil die Piraten es nicht verstanden haben, den Interessen der Nutzer eine Heimat zu schaffen, sind diese Belange nicht verschwunden. Sie müssen sich nur neu organisieren, und das kann im Internet schnell geschehen. Als 2012 versucht wurde, den Verkauf von Daten der Meldeämter rechtlich festzuschreiben, bekam die Politik einen Vorgeschmack, wie sich das auch ohne Partei und feste Struktur vom Internet aus in die Hauptnachrichten entwickeln kann.

Bild zu: Netzpolitik nach dem Untergang der Piraten

Die notwendigen Zutaten für ein unterhaltsames Jahr in der Netzpolitik sind also weiterhin vorhanden, auch wenn die Piraten den Hoffnungen und Wünschen nicht gerecht werden. Die Partei mag verschwinden, die politischen Defizite alter, weisser Männer mit Twitterösterreichern und Verständnis für Verfassungsschutz,Überwachungsphantasien und Staatstrojaner bleiben. Vermutlich sogar länger als Herr Lauer in seinem Büro.