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Frau Guttenbergs Nichten: Wie man den Feminismus und den Netzdiskurs ruiniert

Von der gerechten Sache zum Kampf um die Deutungshoheit: Wenn es um private Vorteile geht, werden Anliegen wie die Gleichberechtigung und der zivilisierte Netzdiskurs schnell bedeutungslos.

Veit Göritz ist politischer Geschäftsführer der Piraten in Brandenburg. Von seiner Person – Mann, seit 2009 bei der Partei, über die Basisarbeit auf einen wichtigen Posten gelangt und im Landesverband durchaus beliebt – nahm bis Ende Oktober 2012 kaum jemand Notiz, schliesslich ist der Verband eher klein und nicht so von spektakulären Affairen und Kleinkriegen zerrissen, wie die Piratenpartei in Berlin. Das änderte sich erst, als die Kandidaten zur Bundestagswahl aufgestellt wurden. Veit Göritz kam auf den Listenplatz 1. Und Anke Domscheit-Berg, die auch in dieser Zeitung als Expertin für Frauenfragen auftritt, kam nur auf Platz 2. Was bedeutet, dass die Piraten schon rund 10% der Stimmen holen müssten, damit die bekannte Aktivistin neben Göritz ins Parlament kommt. Angesichts der Vorgeschichte von Frau Domscheit-Berg – erst vor Kurzem von den Grünen übergetreten und extra vom zerstrittenen Berlin nach Brandenburg gegangen, um dort ein leichteres Ticket für den Bundestag zu bekommen – könnte man dennoch von einem Erfolg für den Neuling sprechen. Statt dessen wurde im Internet über die Brandenburger gesprochen, die es gewagt hatten, nicht die Frauenrechtlerin auf Platz 1 zu setzen. Dabei hatten Mitglieder des Kegelklubs – eine umstrittene Plattform für einen eher radikalen Feminismus der Berliner Prägung – schon davor per Twitter verkündet, wie wichtig es sei, dass dort Frau Domscheit-Berg gewählt wurde. Und danach wurde über das ignorante, zurückgebliebene, männerbündische Brandenburg gelästert, und das Reenactment-Hobby von Göritz negativ herausgestellt, bis jemandem aufgefallen ist, dass auch Piratenikone Marina Weisband diesem Hobby fröhnt. Das sind so die Geschichten, die die Frauenrechtlerin Domscheit-Berg nicht erwähnt, wenn es um Diskriminierung und Mobbing geht: “Piraten nehmen Domscheit-Berg Chance auf Bundestagsmandat”, quasi als Raub mit Tätern und Opfer beschrieb die Berliner Morgenpost nach dem Fäkalgewitter den Vorgang.

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Domscheit-Berg erwähnt bei ihren Klagen über den Hass im Netz auch nicht die Namen der Gruppenmitglieder, die sich bei solchen Gelegenheiten im Netz fast schon traditionell zusammentun, um ihre Leute auf diese spezielle Art zu fördern. Frau trat kurz darauf wieder auf den Plan, als in Bayern die Kandidaten für den Bundestag gewählt wurden. Dort kamen überproportional Frauen auf gute Plätze, nur waren es aus Sicht der Feministinnen bei Twitter die Falschen: Miriam Lakemann, die über beste Kontakte zu diesen Kreisen verfügt, gelangte nur auf einen der hinteren Plätze. Prompt brach das wütende Beklagen der Zustände im als männlich dominiert geltenden und rechts stehenden Landesverband Bayern los. Bei anderen Parteien wäre es vielleicht schon parteischädigendes Verhalten, einen ganzen Landesverband Frauenfeindlichkeit zu unterstellen und gegen eine demokratische Wahl zu agitieren. Im Netz der Piratenfeministinnen ist das üblich, es geht schliesslich um wichtige politische Ziele.

Und dabei ist keine These zu steil, als dass sie nicht gebracht werden könnte. Der Bikini sei die Burka des Westens, verbreitete vor Kurzem die gescheiterte Piratenvorstandsbeisitzerin Julia Schramm im Netz, als ob sich „der Westen“ als solcher jemals Gedanken über die Sommerbekleidung von Frau Schramm gemacht hätte. Er schaue Frauen auf den verlängerten Rücken und sei deshalb Alltagssexist, gestand der Berliner Piratenfraktionsmitarbeiter Stefan Urbach, was den Interpretationsspielraum für so einen gewichtigen Vorwurf recht weit öffnet. Aus dem ideologischen Umfeld dieser Personen reiste dann auch eine Gruppe namens „Flauscheria“ zum Chaos Communication Congress, und schaffte es mit dem Verteilen von bunten Karten und überzogenen Vorwürfen, ihre eigene Agenda auf die Tagesordnung zu setzen. In einem vor Gier nach Aufmerksamkeit triefenden Beitrag wendet sich nun eine am CCC-betrollen Beteiligte an Herrn Jauch mit dem Angebot, ihm für seine Sendung passende Gesprächspartner zum Thema Alltagssexismus liefern zu können.

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Was sie zweifellos könnte, denn Helga Hansen war früher bei der Mädchenmannschaft, einem Blog, das eigentlich als Dialogangebot für feministische Thesen gegründet wurde, nun aber nach einigen internen Kämpfen und Ausschlüssen von einer radikalen Gruppe rund um eine Frau geführt wird, die sich im Internet neben dem wissenschaftlichen Feminismus über ihren Alkoholkonsum und gefühlte Diskriminierung durch heterosexuelle Paare auslässt. Diese Mädchenmannschaft hat es mit der Propagierung einer „Rape Culture“ auf Basis der wissenschaftlichen Genderforschung geschafft, dass man an dieser Stelle kaum mehr von „dem Netzfeminismus“ sprechen kann – vielmehr ist man in dieser Szene auch mit internen Konflikten entlang ideologischer und privater Differenzen bestens ausgelastet, und beim Streit, wer die beste und härteste Feministin ist, kann man sich durchaus an APO-Zeiten erinnert fühlen.

Kommt dann mal ein Thema wie der Twitter-Hashtag #Aufschrei in die Medien, muss man schnell und laut sein: Eine Frau Schramm benutzt das, um alte Rechnungen mit JournalistInnen zu begleichen. Andere rühmen sich mit Medienanfragen. Das Thema bringt vermutlich mehr Aufmerksamkeit als der Versuch – verbunden mit dem Anraunzen von Mitmachunwilligen – eine In-Woche für das generische Femininum bei Twitter kurz vor dem Bundesparteitag der Piraten zu veranstalten, weil das Problem der Rape Culture den Aktivisten zufolge – etwas vereinfacht – schon bei der Sprache und der Diskriminierung durch Endungen beginnt. Wer etwas dagegen sagt, ist der Beweis für die Rape Culture, die sich gerade darin manifestiert, dass Vergewaltigung so normal sei, dass sie gar nicht mehr auffällt. Das müssen die Opfer nicht erklären, die ein Recht auf einen Safe Space haben, sondern die anderen, die Täter, selbst begreifen. Beispiele für Empörung finden diese Gruppen genug. Sobald eine der Meinung ist, Sexismus im Netz gefunden zu haben, kommen die anderen herbei und regen sich in Twitterlawinen darüber auf: So sexistisch ist diesen Internet. Das sagen nicht alle Feministinnen, da gibt es genug, die in Frauenhäusern arbeiten, einen Notruf betreiben, sich um sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel kümmern, Opfer langfristig betreuen und auch im Internet auf einen Bewusstseinswandel hinarbeiten. Aber diese spezielle Gruppe der NetzaktivistInnen hat verstanden, dass man mit Twitteraccount, rastloser Suche, Geschrei in der Echokammer und Anbiederung an die Medien die Debatte dominiert, selbst wenn die eigenen Methoden eher fragwürdig sind. Weil für Medien spektakuläre Netzzusammenrottungen mehr Klicks und Aufmerksamkeit als die Probleme eines Notrufs in der Oberpfalz versprechen. „Netzfeminismus“ ist als Thema innerhalb des Feminismus heute so beherrschend, wie es vor zwei Jahren „Kindesmissbrauch im Internet“ bei der sexuellen Gewalt gehen Minderjährige war.

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Es ist jetzt fast zwei Jahre her, dass dieser Versuch scheiterte, das Netz als Abgrund des Schlechten darzustellen: Zusammen mit ihrem Mann verschwand auch Stephanie von und zu Guttenberg weitgehend von der Bühne der Öffentlichkeit, und mit ihr auch der Verein „Innocence in Danger“, und teilweise auch der Wunsch nach umfassenden Netzsperren und Internetüberwachung. Der Umstand, dass das Internet beim Komplex Kindesmissbrauch eine vergleichsweise unbedeutende Rolle spielte, die meisten Täter im privaten Umfeld zu finden sind, und der Lösungsnsatz deshalb erheblich breiter sein müsste, spielte für die Argumentation dieser Gruppe keine Rolle. Frau Guttenberg bekam ihre bekannte Sendung bei RTL2 und ihre Charity-Galas, und die kleine Gruppe, die Innocence in Danger betrieb, erschien als bedeutendes Projekt innerhalb der von vielen Projekten getragenen Arbeit gegen sexuelle Gewalt. Einzelfälle wurden herausgegriffen oder selbst fingiert, um dann die Frage zu stellen: Bist Du gegen Kindesmissbrauch? Dann musst Du auch für Netzsperren sein. Aber statt der Netzsperren kam Guttenbergs Ende und der Skandal des massenhaften Kindesmissbrauchs an Schulen und kirchlichen Einrichtungen – also im persönlichen Umfeld, wie es die Kritiker von Netzsperren gesaht hatten.

Heute sind es die extremen Ausformungen des Netzfeminismus, die einen Safe Space für Frauen fordern, amüsanterweise in der Art, wie Innocence in Danger das Projekt „Smart-User.eu“ gestalten wollte. Und natürlich muss etwas Radikales gegen den Sexismus getan werden: Der Berliner Piratenabgeordnete Simon Kowalewski schwärmt am Tag des Holocaustgedenkens von einer Welt, die frei von einem bestinmmten Journalisten wäre, dem er Alltagssexismus unterstellt. Je nachdem, wie man Sexismus definiert und zuweist, ist es ein leichtes Mittel, um Gegner damit auszugrenzen und sich selbst auf der richtigen Seite zu verorten, solange das Thema heiss ist. Domscheit-Berg, Schramm, Kowalewski dienen damit ihrem Anliegen, kommen damit sogar in die Medien und können ihren Namen lesen.

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Aber es trägt nicht wirklich zu einer Debatte oder gar einem Lösungsansatz bei. Einzelne haben ihre 15 Minuten Ruhm im Internet, andere werden vielleicht beschädigt, und viele wenden sich bei diesen Kämpfen um die Deutungshoheit ab. Das Thema hat dann die Seriosität vom Antisemitismus, wenn Herr Broder ihn beklagt. Oder Frau Guttenberg den Kindesmissbrauch im Netz. Oder die Polizei die fehlenden Möglichkeiten zur Vorratsdatenspeicherung. Es macht keinen Spass, sich mit solchen Gruppen zu streiten, denn sie interessieren sich weder für einen Kompromiss noch für eine andere Meinung. Das macht das Netz manchmal so unangenehm, und Feminismus und seine Anliegen nach dem Ende dieser kurzen Aufmerksamkeit weiterhin zum Schlachtfeld der DogmatikerInnen. Man kann niemanden zwingen, mit unangenehmen Menschen darüber zu reden, oder sich Gedanken zu machen, die andere vorgeben wollen. Und die kurze Aufmerksamkeitsspanne der Nutzer trägt sicher auch nicht dazu bei, dass er unter all dem Geschrei die eher sinnvollen Gesprächsangebote herausfindet. Das Netz und das Thema hätten etwas Besseres verdient.