Deus ex Machina

Deus ex Machina

Über Gott und die WWWelt

Ecce homo ignotus: Der Netzkollege

In der Blütezeit des Netzlebens entwickeln sich Arbeitsverhältnisse, ohne sich jemals begegnet zu sein. Den Netzkollege gibt es nur per Email, ohne Stimme oder Körper. Was recht angenehm ist.

Seit ein paar Jahren schon erleben wir die berufliche Freiheit, die das Internet an den heimischen Schreibtisch brachte; es war ein wenig so wie bei Prometheus und dem Feuer, das er den Menschen schenkte. Mit nur einem Netzstecker ging sie auf: die weite Welt des Internets. Plötzlich schien alles vereinbar. Sogar das scheinbar Unvereinbare, die Quadratur des Kreises: Beruf und Familie. Oder auch: auf dem platten Land leben und gleichzeitig das Geschäft führen. International. Digital. Überall erreichbar. Von überall her zu steuern.

Dabei sammelt der Home-Officer stetig mehr Kontakte in seinem jeweiligen Arbeitskreis/Netzwerk. Über Blogs geht das besonders schnell, schließlich fordert ein gutes Blog auf, dem Web-Logbuch (we-BLOG-uch) etwas beizutragen; dass man kommentiert, diskutiert oder sich bisweilen auch verliert. Das ist der Unterhaltungsfaktor dabei. Und darüber kommen die Leser und Menschen und Kontakte.

Doch aus Spaß kann Ernst werden. Dann, wenn sich berufliche Kontakte entwickeln. Mir ist es gerade passiert: Ich wurde angesprochen, ob ich bei so einem Kunstblog mitschreiben möchte. Aus Spaß an der Freude und leider nicht, um NOCH MEHR Geld zu verdienen. Ich ließ mich also hinreißen und bin eingestiegen. Dabei sollte man als freie Autorin keine unbezahlten Jobs machen. Was mache ich denn jetzt mit den Kosten der verlorenen Zeit? Schreibe ich sie als Hobby ab? Schreiben, als Hobby? Das hat das Portemonnaie nicht  gern.

Trotzdem war alles bald beschlossen, und nun liefere ich alle zwei Wochen einen Beitrag aus der Kunst- und Kulturszene Frankfurts. So hab ich es mit Fie De abgemacht, der die Seite parallel zu seinem Studium in London gestartet hat. Ich bin also eine jobähnliche Beziehung mit Fie De eingegangen. Ohne Vertrag. Ohne Handschlag.

Wie sollte das auch möglich sein? Ich habe Fie De ja noch nie gesehen. Seine Stimme kenne ich auch nicht. Wer greift schon noch zum Telefonhörer? Läuft doch alles per Mail. Seine Partnerin, sie heißt Johanna, kenne ich noch weniger. Ich erkenne ihren Namen nur aus der Signatur. Mehr weiß ich nicht. Immerhin sind wir schon facebook-freunde. Als stärkstes Zeichen unserer Verbundenheit kennen wir beide Fie De.

Als sie mir zum ersten Mal eine Email schrieb, habe ich mich sogar vor dem unbekannten Absender erschrocken. Die Email habe ich ähnlich skeptisch geöffnet, wie man einen Anruf mit unterdrückter Nummer annimmt. Dann war ich aber schnell erstaunt, eine so verbindliche Email von einem mir fremden Menschen zu lesen. Es kam mir bald so vor, als würden wir uns schon lange kennen. Schließlich kennt sie Fie De und Fie De ist sympathisch. Dann muss Johanna auch cool sein. Dabei weiß ich nicht mehr über Johanna, als Google über Johanna weiß. So beginnt also eine Zusammarbeit gänzlich ohne jede akkustische oder visuelle Begegnung. Das ist fast normal im Jahr 2013. Das ist doch ein Ding, oder?

Kann es sein, dass meine Feststellung die alten Blogger der ersten Stunde weniger erstaunt? Höchstens noch an an alte Zeiten erinnert, damals, als sie selbst neu dabei gewesen sind, und man noch mühselig jedes HTML-Tag von Hand eingegeben hat? Damals kannten sich vielleicht alle erstmal nur übers Netz, das war vollkommen normal. Aber was ist das für einer, der heute schon zehn oder fünfzehn Jahre durch Netz schwirrt?

Doch bleibt die Frage, ob ich mit einem solchen Tür an Tür arbeiten wollte. Und er mit mir? Ich arbeite schließlich am liebsten mit niemandem Tür an Tür. Ich bin dankbar für die Ruhe, und möchte meinem Bedürfnis nach autonomen Handeln gerecht werden. Das wird anderen Bloggern ähnlich gehen. Sonst wären sie ja nicht Blogger geworden. Kein Wunder, dass wir uns gut verstehen. Unterm Strich, finde ich, gewinnt man über das Netz tolle Kollegen, die man sich auf gesunder Distanz halten kann. Und alle sind glücklich.

Solange sie nicht wissen, was die anderen wirklich von ihnen denken; der Flurfunk ist ja nicht virtuell. Vielleicht sind sie auch ganz froh, dass die Soziopathen und Soziophobiker weit, weit weg sitzen, und niemanden mit ihren Neurosen belästigen. Vielleicht wird man daheim auch wunderlich. Schräg. Sozial inkompetent. Weil man niemanden mehr ausserhalb des Bildschirms kennt. Der Irre mit dem Internet, denken sie vielleicht woanders. Und sind froh, dass nur ein dünnes Glasfaserkabel die Welten verkettet, durch das niemand kriechen kann. Nur Kommentare schicken, wie man ein bissiger Tier füttert, mit einer langen Stange und vorne dran rohes Fleisch.

Am besten lästert es sich nun mal über die, die nicht da sind, und im Dunklen heimlich ihre Netze spannen.