Da sitzt man also nichts Böses ahnend daheim, nippt am frisch vom Lieferanten gepressten Apfelsaft und ist zufrieden. Das Wetter ist herbstlich mild, die Ukraine ist fern und Erdbeben hat es hier auch schon etwas länger nicht mehr gegeben, alles sieht nach einem ruhigen, angenehmen Tag aus. Und dann kommt die Meldung der Biblia Pauperum Bild, dass der Öttinger EU-Kommissar für das Internet werden soll und da
reisst es einen natürlich. Wie gut, dass da gerade ein Photograph war, um das Entsetzen abzulichten! „So lacht das Netz über Öttinger“, wird das Medienportal Meedia wie immer berichten, wenn es lustige Bildchen, gehässige Tweets und klickgeile Mitarbeiter gibt, die billig an Content kommen wollen. Natürlich ist das nur ein Mem, ein Witz, das macht man halt so, und ich mache auch mit. So zeigt man, dass man das nicht ganz glauben kann und schockiert ist. Das machen viele und es ist lustig, so lustig, wie Galgenhumor nun mal ist. Aber eigentlich ist das nicht lustig.
Denn Öttinger erscheint vielen als krasse Fehlbesetzung. Da kommt angeblich jemand in ein Amt, das internationale Vernetzung benötigt und nicht nur bezahlte Essen mit den Kofferträgern der Atomlobby, und da sollte man die Lingua Franca des Internets – Englisch – zumindest ansatzweise beherrschen und „besayen“. Zudem ist Öttinger die ideale Verkörperung des älteren, weissen Mannes aus den Apparatschiketagen eines Betriebes, der nicht wirklich zu dem sogenannten Neuland des Internets mit dessen wieselflinken Barbaren und ihren lustigen GTFO-Manieren passen will. Öttinger ist mehr so der Typ, der nach der Politik bei irgendeiner behördenartigen Firma wie der Bahn oder der Baubranche unterkommen, wo viele alte graue Männer die hässlichen Dinge tun, wegen denen man froh ist um ein neues Land, das die weder kennen noch begreifen und auch never bevisited haven.
Und Öttinger hat in seiner Zeit als Energie-Kommissar mit als seinen atomfreundlichen Sprüchen auch nie erkennen lassen, dass er je aus der Rolle des grosskonzern- und behördenstrukturnahen Politikertyps herausgefallen ist. Die meisten seiner Ansagen in dieser alten, grauen Rolle verpufften wirkungslos. Bei uns im Neuland würde man sagen, der Typ ist ein unbelehrbarer Troll, der in Zeiten der Energiewende besser nicht gefüttert werden soll. Konnte ja bei seiner Einsetzung keiner wissen, dass die dafür verantwortliche Neuland-Entdeckerin Merkel angesichts von Fukushima eine Wende hinzulegen hatte, die seinen persönlichen Nachfolger als Ministerpräsident in Altschwabenland über Bord gehen liess. So jemand soll jetzt also hochkomplexe, schnelle und zukünftig sehr wichtigeThemen wie Datenschutz, Netzausbau, Rechtsharmonisierung und die Begehrlichkeiten alter Telcos und neuer Firmen unter sich vereinen. Ob der schon mal einen HTML-Code gesehen hat und weiss, wie man sich Mails ausdruckt?
Deshalb kriegt Öttinger den ganzen Spott ab, der sich in den letzten Monaten durch all den Ärger über eine Politik gebildet hat, die angeblich für die Menschen da sein sollte. Da gab es ja so einiges. Da war etwa eine grosse Koalition, die die anlasslose Vorratsdatenspeicherung haben wollte, bis ihr diese Pläne von höchstrichterlicher Stelle in unsagbare Orte transloziert wurden. Da war die superlasche Reaktion auf den NSA-Skandal und die fehlende Bereitschaft, die deutschen Geheimdienste mal zu rüffeln, wenn man diese Vereinigungen nach all ihrem Versagen schon nicht auflösen will. Da war die Ankündigung eines Internetausschusses des deutschen Bundestags, der dann plötzlich doch nicht so schnell eingerichtet werden durfte. Da war eine Internetagenda der zuständigen Ministerien, die den Verdacht aufkommen liess, das Papier sei allein unter Rücksicht auf Lobbyisten entstanden.
Und da war auch noch eine Internet-Botschafterin der Kanzlerin namens Gesche Joost, die man bei der Sache erst gar nicht gefragt hat. Warum auch, wer fragt schon Feigenblätter, die sind dafür nicht zuständig. Da war die Beauftragung eines gewissen Herrn von und zu Guttenberg, seines Zeichens im Internet aufgekommener Doktorarbeitsplagiator, durch die EU als Berater für das Internet, dessen Überwachung er selbst gefordert hatte. Und dann, als Erinnerung an den zur Rüstungsindustrie gewechselten Dirk „fliegender Teppich“ Niebel, der Chef eines Ministeriums wurde, das er eigentlich auflösen wollte: Die Versorgung einer Datenschutzbeauftragten des Bundes, die oft als Abgeordnete oft genug bewies, dass sie sich mehr Überwachung wünscht. Man könnte angesichts dieser Entwicklungen allenfalls noch sagen: Hey, wenigstens ist nicht einer der ungarischen Faschi Rechtskonservativen Kommissar für das Internet geworden, oder einer der Netzsperrenhysteriker aus England, und der Dobrindt ist es zum Glück auch nicht, der hat schon ein anderes Amt, nämlich – ooops.
Neuland trifft es eigentlich ganz gut, denn so wie ich müssen sich Inder gefühlt haben, als das britische Empire seine verlotterten, soziopathischen und sonstwie in die britische Gesellschaft nicht integrierbaren Sadisten in die neue Kronkolonie geschickt hat, um sie auszubeuten und nach den kranken Vorstellungen irgendwelcher weltfremden und bigotten Bürokraten in London umzubauen. Man schickte auch nette Pastoren zu Missionierung nach Indien und heute leistet sich auch jede Partei einen politisch bedeutungslosen Vorzeige-Experten und lädt Wilde wie mich zu Kongressen ein, um zu erfahren, wie diese Halbaffen des Neulands so drauf sind. Und ob sie nicht vielleicht ein wenig zahmer werden möchten, wenn die immer noch staatsnahe Telekom mehr Filmchen ins Netz einspeist und Voice over IP macht, das immer mal wieder grobe Aussetzer hat wie letzthin bei meiner Mutter UND JA ICH HABE MICH DARUM GEKÜMMERT ABER ES KANN NICHT SEIN DASS MAN EINER ÄLTEREN DAME DIESEN *******DRECK ANDREHT AN DEM ICH AUCH DREI STUNDEN ALS EXPERTE FLUCHE.
Wo war ich ach so ich wollte erzählen dass es im Internet jede Menge gäbe, was man tun könnte. Man könnte Konzerne wie Kabel Deutschland, die Drosselkom, Vodafone und wie sie alle heissen zwingen, mit jenem Kontinent voll zu kooperieren, auf dem sie sich befinden, und jeden Geheimdienst und privaten Schnüffeldienst für jeden Rechtsbruch so hart rannehmen, dass sie quieken – bei kleinen Delikten geht das ja auch. Man könnte die Nutzung des Internets, wenn man darin schon die Zukunft sieht, von den Abmahnräubern befreien und aufhören, Nutzer mit den immer gleichen Vorwänden Terror und Kinderpornographie unter Generalverdacht zu stellen. Und weil nicht jeder ein Betriebsapparatschik ist, gibt es in der EU auch Leute, die sich mit dem Internet inzwischen gut auskennen, Erfahrung im Umgang mit dessen Chancen und Problemen haben und nicht nur auf die Lobbyisten hören, sondern auch auf das, was die Wilden da draussen so sagen, wenn sie nicht gerade die nächste Facepalm machen.
Insofern, nichts für ungut, ich könnte dies entsetzte Bild praktisch täglich bringen, wenn wieder Internet im Sinne einer Wählerzielgruppe gemacht wird, die auf den nächsten Musikantenstadel wartet. Alles in allem wird Herr Öttinger auch nicht verheerender als Dobrindt sein, und solange es höchste Gerichte gibt, mache ich mir auch wegen diesem Herrn Juncker keine Sorgen, der in seinem Wahlprogramm sagte:
Meine erste Priorität ist eine Politik, die den Schwerpunkt auf Wachstum und Beschäftigung legt. Ein Kernelement davon, ist die Schaffung eines digitalen Binnenmarktes für Verbraucher und Unternehmen. Es gilt, das Potential digitaler Technologien auszuschöpfen, die keine Grenzen kennen. Dazu müssen wir den Mut aufbringen, bisher national isolierte Systeme in der Telekommunikationsbranche, im Urheber- und Datenschutzrecht zu durchbrechen.
Durchbrechen, soso. Und dann sitzt vielleicht der Öttinger an dieser Stelle.
OMG GTFO OF NEULAND.
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