Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Angst mit Zahlen

Inflation ist die Lieblingsangst der Deutschen, meldet das Datenportal Statista. 58 Prozent fürchten sich davor, dass die Lebenshaltungskosten steigen. Angeblich liegt das an unserer kollektiven Erinnerung an eine Inflation zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Meine Theorie ist ja, dass wir einfach keine Lust haben, mehr Geld für unsere Pferdefleisch-Lasagne zu bezahlen. Dabei stiegen die Preise in letzter Zeit eigentlich immer, bis auf zwei Ausrutscher im Jahr 2009  Verhungert sind wir deshalb nicht.

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Würden wir uns mehr mit Statistiken beschäftigen, müssten wir unsere Ängste grundlegend überarbeiten. Am liebsten sorgen wir uns um unser Geld. Von den Sachen, die wirklich bedrohlich sind, von denen wollen wir lieber nichts wissen. Altersarmut fürchten 38 Prozent, Pflegebedürftigkeit 51 Prozent – und beides droht uns nach OECD-Erwartungen tatsächlich. Dennoch müssen wir zur Altersvorsorge regelrecht gezwungen werden, haben Verhaltensökonomen um Cass Sunstein herausgefunden. Viel lieber beschäftigen wir uns mit Ängsten, die uns nicht den Schlaf rauben. Weil sie irreal sind. Wie Inflation.

Es gibt übrigens gerade gar keine Inflation. Im Moment wird das Leben günstiger. Das liegt allerdings vor allem am Ölpreis. Für den Verbraucher lohnt sich nun das Sparen wieder. Wir könnten das Geld unters Kissen legen oder an die Wand nageln, völlig egal, nächsten Monat haben wir mehr davon, als heute. So ein Verhalten würde die Wirtschaft langfristig vollkommen lahmlegen und Kreditraten unbezahlbar machen. Und dann hätten wir wirklich einen Grund, uns zu fürchten, denn das betrifft auch unsere eigenen Schulden – Altersarmut, wir erinnern uns.

Realistisch ist auch diese Sorge derzeit nicht. Forscher vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IFW) haben für einige Güter mal nachgerechnet und festgestellt: Wir geben unser Geld lieber sofort aus. Das entspricht übrigens voll und ganz der mikroökonomischen Theorie, erstes Semester, Tag eins: Die Preise fallen, die Leute kaufen mehr ein. Und wahrscheinlich wussten die meisten Menschen das auch schon vor der Uni.

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Doch Angst war schon immer ein fantastisches Verkaufsargument. Der Deutsche bekämpft seine Angst am liebsten mit Verträgen. Als ich zuletzt ein Mobiltelefon kaufte, wollte mir der Verkäufer eine Versicherung andrehen. Schon das Geschäftsmodell der Versicherung funktioniert nur, weil die Menschen mehr für ihre Ängste zahlen, als sie am Ende zurückbekommen. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und sagte dem Verkäufer, mathematisch betrachtet lohnten sich Geräte-Versicherungen nicht.

Er sagte: „Für uns schon.“

Dieses Modell funktioniert fantastisch. VWL-Nobelpreisträger Daniel Kahnemann und der Psychologe Amos Tversky fanden schon vor Jahren heraus, dass Menschen nicht in der Lage sind, Risiken angemessen einzuschätzen. Wir haben viel zu viel Angst, etwas zu verlieren. Tatsächlich berührend sind Ängste, die deutlich weniger Menschen plagen: Die Angst vor der Einsamkeit (38 Prozent) und die Angst vor dem zerbrechen der Partnerschaft (18 Prozent). Dabei sind die Fakten frei zugänglich.

Mehr als jede dritte Ehe wird binnen 25 Jahren geschieden, die Zahl der Scheidungen im höheren Alter steigt langfristig betrachtet deutlich an. Die meisten Ehen halten sechs bis acht Jahre; im Schnitt halten es Paare keine 15 Jahre miteinander aus – und wenn sie geschieden werden, dann war die Ehe ja wohl in den Jahren davor auch schon kein Spaß mehr. Statistisch gesehen werden wir alle jahrelang unglücklich sein. Wir werden eher geschieden, als von einem Terroristen enthauptet, von der Inflation enteignet oder von einer Flutwelle fortgerissen.

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Erinnern Sie sich an die Schweinegrippe? Die Pandemie (ja, das Wort haben wir alle benutzt) ist jetzt tatsächlich mehr als fünf Jahre her. Erst hatten alle Angst vor der Krankheit, dann vor dem Impfstoff. Stichwort: Hunde-Krebszellen. Die Massenpanik war ein Millionengrab für Steuergelder und ein grandioses Konjunkturprogramm für Pharma-Konzerne.

VWL-Studenten haben einer nichtrepräsentativen Überlegung innerhalb meines Kopfes zufolge übrigens am meisten Angst vor der Statistik an sich. Intuitiv würde ich sagen, ich hege die größte Angst vor Spinnen. Das ist nicht lustig, ich bin in einem alten Haus aufgewachsen und habe wirklich Angst vor den Krabblern. Rational ist das nicht, wahrscheinlich aber genetisch bedingt. Vor einigen Jahren rief mich mal eine Leserin an; sie fürchtete sich vor einer Marienkäferplage. Ob sie für den Menschen gefährlich seien? Ich telefonierte mich quer durch die Welt der Entomologie und lernte: Marienkäfer sind nur dann gefährlich, wenn man sehr viele davon isst.

Wenn ich ernsthaft darüber nachdenke, habe ich wohl mehr Angst vor Verstümmelung. Acht Beinchen wie bei einer Spinne sind zu viel, aber meine zwei Beine und zwei Arme möchte ich wirklich unbedingt behalten. Also wähle ich als Lieblingsangst: Verkehrsunfälle. Weil ich aber ungern über Verstümmelung nachdenke, bleibe ich im Kopf lieber bei den Spinnen. Und das ist ein Problem. Wir haben alle nicht genug Angst vor Verkehrsunfällen. Langfristig betrachtet steigt die Zahl, hat das statische Bundesamt ermittelt. Das muss man sich mal durch den Kopf gehen lassen. Wir haben immer sicherere Autos. Die parken sogar für uns ein. Sie halten den Wagen in der Spur. Sie bremsen, wenn wir nur mal kurz mit dem Fuß wippen.

Die Verhaltensökonomik spricht von Versicherungseffekten: Uns fehlt die Motivation, einen Verkehrsunfall zu verhindern. Die Grundidee „Ich möchte lieber nicht verstümmelt werden“ funktioniert nicht mehr. Uns fehlt die Angst. Während die Zahl der Unfälle nämlich steigt, werden so langsam etwas weniger Menschen verletzt. So wenig Verkehrstote wie im Jahr 2013 gab es nicht, seit die Statistiker mit dem Zählen angefangen haben. Das klingt total toll, es waren aber im Schnitt neun Tote am Tag, dazu kamen knapp 800 Verletzte.

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Glaubt man dieser Destatis-Darstellung, dann starben im Jahr 2013 sogar mehr 18-Jährige, als eigentlich da sind. Stimmt natürlich nicht, liegt nur an der komischen Skalierung. Und egal, wie weit sie zurückschauen: Es sind in Zeiten der Sozialversicherung noch nie so viele Menschen an Inflation gestorben, wie an Autounfällen. Aber die Werbung hat doch erzählt, die Autos seien jetzt so sicher?

Ja, das stimmt auch, das belegen die sinkenden Opferzahlen deutlich. Sie brauchen keine Angst zu haben. So lange Sie im Auto sind und nicht darunter. Sie können mit den modernen Autos fahren wie ein Irrer im Schlauchboot und sich dabei von mir aus super mutig fühlen. Und wenn Sie dann ein neues Auto kaufen müssen, dann kurbeln Sie sogar die Wirtschaft an.