So sehen Medienerfolge im Internet aus: Kaum hatte Juliane Leopold, Chefredakteurin des deutschen Ablegers des US-Portals Buzzfeed, den Tweet abgeschickt, verbreitete er sich wie ein Lauffeuer im Internet. Diese Kampagnenfähigkeit muss man erwartet haben, als Leopold vor anderthalb Jahren in Berlin mit einer kleinen Redaktion startete: Viral, schnell, die Massen bewegend. Was auf den Tweet folgte, war atemberaubend. Medienberichte, Debatten, Erregung. Im Stil der journalistischen Bodendecker, für die Angebote wie Buzzfeed stehen, könnte man hier nun plakativ fragen: „Was ist da los?“ Nun, Juliane Leopold liess die Welt wissen, dass sie Buzzfeed Deutschland verlässt und ihren Job nun ein anderer/ eine andere/ einx anderx haben kann.
Die Genderei macht hier durchaus Sinn, denn während das Mutterhaus in Amerika in seinen Anfangsjahren keinen sexuellen Aufreger liegen liess, sofern er nur Klicks und Nutzerinteresse versprach, war Buzzfeed in Deutschland fest in feministischer Hand. Etliche Beiträge waren erkennbar vom feministischen Blog „Jezebel“ inspiriert, und aus der persönlichen Nähe zu den Verursacherinnen des Aufschrei-Hashtags machte niemand einen Hehl. Angetreten, um die von den klassischen Medien abgewanderten Nutzer in sozialen Netzwerken zu beliefern, versuchte das deutsche Team einen Spagat zwischen übersetzten Themen aus Amerika und Eigenentwicklungen mit vielen Bildern und wenig Text. Im Mittelalter nannte man so etwas „Biblia Pauperum“, was manche Kollegen aber nicht hinderte, den Markteintritt von Buzzfeed in Berlin als neue Form des Journalismus zu loben. Nun könnten junge, eloquente Leute den alten Medien endlich einmal zeigen, wie das mit dem Internet wirklich geht.
Allerdings kam Buzzfeed reichlich spät auf den Markt. Mit Heftig.co gibt es eine lang etablierte Konkurrenz, die sich thematisch sehr nah an das amerikanische Vorbild hält, und mit 27 Millionen Visits im Monat zu den grössten deutschen „Nachrichtenportalen“ gehören könnte – wäre da nicht der Eindruck, dass die „Leser“ zwar schnell auf die reisserischen Überschriften und Listen hereinfallen, aber ebenso schnell wieder weg sind. Auch deutsche Blogs wie Nerdcore, Schlecky Silberstein, Dressedlikemachines, Urban Shit, Kraftfuttermischwerk und Blogrebellen liefern für eine junge Boh-ey-krass-Alder-Zielgruppe bildungsdistanzierte, leicht konsumierbare Unterhaltungsangebote, die sich eher an die männliche Kundschaft richten – insofern mag der Schwerpunkt bei Buzzfeed auf Frauenthemen nicht ganz dumm gewählt gewesen sein.
Allerdings hauen auch die laut Welt “absolute Trottelplattform“ Bento.de von Spiegel Online und die eher streberisch anmutende Website Ze.tt von Zeit Online in die gleiche Kerbe – gerade so, als herrschte im aktuellen Medienbetrieb ein akuter Mangel an unzufriedenen Feministinnen, die den Zustand der Welt beklagen. Und dann ist da noch der deutsche Ableger von Vice, der neben Porno, Sport und linksradikaler Demoberichte auch noch viel Raum für Frauen zulässt. Byou von Bild Online setzt dagegen auf klassischen Trash mit sexueller Note – gewissermassen das nackte Mädchen von Seite Drei für Facebookfreunde. Und dann ist da noch der deutsche Social-Media-Überflieger „Der Postillon“, der neben Heftig.co zeigt, wie es wirklich im sozialen Netz geht – allerdings mit selbst erstellten, lustigen Einfällen und ohne Übersetzung amerikanischer Unterschichtenprojekte.
Gemein ist allen Projekten, dass zwar viele schreiben dürfen, deren journalistische Eignung man angesichts von Oktoberfestlügen bisweilen in Frage stellen kann – aber nicht jeder. Das war beim Jugendportal jetzt.de von der Süddeutschen Zeitung anders. Jetzt.de hat die Einstellung des hochgelobten Heftes überlebt, und früher scheinbar unbesiegbaren, heute jedoch längst vergessenen Projekten wie Livejournal, Studivz, Blog.de, Friendster und Myspace standgehalten. Vor wenigen Wochen jedoch sah man sich aufgrund des schwindenden Leser- und Nutzerinteresses gezwungen, jetzt.de einer Neuaufstellung zu unterziehen. Gleichzeitig hat die Süddeutsche versucht, mit einem sehr bildlastigen Mittelteil auf der Website Gestaltungselemente von Jugendportalen zu übernehmen – inzwischen ist dieser Block an den unteren Rand der Website gerutscht. Das Geschäft mit den bilderliebenden, dauernd online verbreitenden Jugendlichen ist offensichtlich doch nicht ganz so leicht, wie viele Medienhäuser sich das noch vor ein, zwei Jahren vorgestellt haben. Entsprechend ernüchternd fallen dann in der Fachpresse auch die Kommentare aus.
Renner bei den sozialen Medien sind dagegen angesichts der Flüchtlingskrise nicht Analsextips von Bento.de, sondern auch die Vertreter der politisch voreingenommenen Publizistik. Irgenwo zwischen obskur, rechtslastig und verschwörungstheoretisch tummeln sich der Kopp-Verlag, die Junge Freiheit, die Deutschen Wirtschaftsnachrichten, die russischen Propagandaprojekte Russia Today und Sputnik News – oder gleich knallrechte Agitationsseiten wie unzensuriert.at, wenn nur genug Nutzer aufsprimgen. Der Umstand, dass soziale Netzwerke schon lang keine Medien nur für konsumfreudige Jugendliche mehr sind, und zunehmend auch von Älteren und Minderbemittelten aufgrund der unterkomplexen Handhabe bevorzugt werden, mag bei diesen doch eher überraschenden viralen Erfolgen eine gewisse Rolle spielen. Betrachtet man die zu den Extremen neigenden Reaktionen des Netzes, könnte man fast befürchten, der Mainstream werde sowohl von linkslastigen Jugendprojekten als auch durch rechtslastige Gegenöffentlichkeit kannibalisiert.
Gemäss dem Dictum, dass zwar nicht jeder im Netz ein Irrer, aber jeder Irre im Netz ist, muss so eine fatalistische Ansicht nicht zutreffen. Der Verfasser folgt bei Twitter sowohl linken wie auch rechten Linkschleudern, die offensichtlich viel Zeit haben, Argumente für ihre Standpunkte dem jeweiligen Publikum nahe zu bringen. Dort lesen sich dann auch fünfstellige Followerzahlen imposant. Real bleiben auf den Seiten bei einer Verlinkung aber oft nur ein paar hundert Leser übrig. Das mag erklären, warum ein durchschlagender Erfolg bei den Reaktionen nicht zwingend bedeutet, dass derartige Beiträge mit ihren nach Aufmerksamkeit heischenden Titeln auch gelesen werden. Vielbesuchte Plattformen wie Spiegel Online und Zeit können ihren Töchtern mit Platz auf der eigenen Website helfen, die Leserzahlen nach oben zu treiben. Das sind dann allerdings nur Leihleser. Ob sie dauerhaft bei den Projekten bleiben und echte – und damit auch für Werbung interessante – Stammkunden werden, ist eine andere Frage.
Offensichtlich ist jedoch, dass es momentan auf diesem Markt eine qualvolle Enge bei gleichzeitig eher geringer thematischer Spannbreite gibt. Es muss vor allem überraschend und emotionalisierend sein. Die meisten Projekte neigen dazu, Shitstormwellen zu reiten und sich an Randale im Netz zu hängen. Angenehmes publizistisches Umfeld, wie es die werbende Industrie mag, sieht anders aus. Bezeichnenderweise hat sich Buzzfeed in den letzten zwei Jahren mit zweistelligen Millioneninvestments vom Clickbait-Anbieter zum Videoproduzenten und teilweise journalistischen Angebot gewandelt, ist aber dennoch gezwungen, für seine Werbekampagnen grössere Beträge an Facebook abzuführen, damit ihnen die nötigen Nutzer zugeführt werden. Es sind solche Einblicke in das von Abhängigkeiten und Tricks geprägte Mediengeschäft, die dafür gesorgt haben können, dass Vergleiche zwischen New York Times und Buzzfeed mittlerweile selten geworden sind. Die deutschen Projekte, die mit Juliane Leopold nun einen ersten, spektakulären Abgang zu verzeichnen haben, sind noch sehr weit von einer derartigen Marktstellung entfernt, und stagnieren öfters wie etwa Heftig.co schon seit einiger Zeit.
Bei Älteren werden da Erinnerungen an Zoomer.de wach: Holtzbrinck wollte damals ein junges Medium extra für seine Plattform StudiVZ schaffen. Beide Projekte erwiesen sich als teure Fehlschläge. Die aktuellen Nachfolger sind dagegen eher kleine Projekte. Sollte sich das Nutzerinteresse von Wackelbildern und geistig anspruchslosen Listen wegbewegen, wäre für die Betreiber vermutlich nicht viel verloren.