Deus ex Machina

Deus ex Machina

Über Gott und die WWWelt

Leaks sind mit Trump auch nicht mehr das, was sie mal waren

Gestern Abend wurde ein gelungenes Konzert in meiner Heimatstadt gekrönt, als das Bläserquintett als Zugabe die Arie “Der Vogelfänger bin ich ja“ erklingen liess. Die Musik komponierte Wolfgang Amadeus Mozart, der Text stammt von Emanuel Schikaneder, und als ordentlich frühmusikalisch gebildeter Sohn aus besserem Hause kann ich den Text natürlich auswendig, und sang innerlich mit:

Ein Netz für Mädchen möchte ich.
Ich fing sie dutzendweis’ für mich.
Dann sperrte ich sie bei mir ein,
Und alle Mädchen wären mein!

trumpd

Ähm.

Nun wissen wir natürlich alle, dass Papageno eine Mischung aus grossem Begehren und miserabler Umsetzung ist. Er ist zwar ein Promi und “bekannt bei Jung und Alt im ganzen Land“, aber der Umstand, dass seine Methoden zum Frauenerwerb nicht eben zart sind, weist ihn als Theoretiker der Liebe aus. Erst später in der Oper lernt er, dass seine brutalen und rücksichtslosen Vorstellungen wenig helfen, wenn er eine Papagena und viele Kinder bekommen will. Aber wenn man nur diesen rabiaten Teil seiner Selbstvorstellung betrachtet, die er seinem heute oft jugendlichen Publikum als akzeptabel und angemessen darstellt: Dann ist der Promi Papageno einer, der denkt, Frauen wären Freiwild und er könnte mit ihnen tun, was er will.

Und so etwas wird in deutschen Opernhäusern gespielt! Die können froh sein, dass echte bildungsferne Feministinnen das nicht bemerken, und ihre Kinder auf Empfehlung einer Tagesspiegeljournalistin lieber ins Atze Kindertheater stecken, wo sie lernen, dass rosa und brav für Mädchen ganz schrecklich sind. Denn sonst stünden deutsche Opernhäuser 225 Jahre nach Schikaneders schockierenden Zeilen sicher in der Kritik, und Linksfraktionen würden fordern, die Mittel doch lieber in gendergerechte Refugeeopern befreundeter Autoren zu stecken. Aber Spass beiseite: Papageno ist ein schönes Beispiel dafür, wie man unter Auslassung des Zusammenhangs auch eine hübsche Dreingabe zum gesellschaftspolitischen Problem machen kann – dabei gibt in der Oper auch drei regulierende Damen, so viel wie Heiko Maas, Manuela Schwesig und Anetta Kahane zusammen, die Papageno wegen unerwünschter Äusserungen das lose Mundwerk mit einem Schloss versperren. Sehr modern!

trumpe

Womit wir bei Trump, dem Vielgescholtenen wären, dem nun 11 Jahre alte Aussagen über eine gescheiterte Annäherung an eine Frau und eine übergriffige Aussage bei der Begrüssung einer Schauspielerin zum Verhängnis werden. Trump hat 2005 vor einer Fernsehsendung den Fehler gemacht, gegenüber einem Moderator ins bereits eingeschaltete Mikrophon einige Sätze zu sagen, die nicht gut ankommen: Er hat zuerst in einem verächtlichen Tonfall beschrieben, wie er bei einer verheirateten Frau nicht landen konnte, und behauptete danach, berühmte Personen könnten jede Frau haben und übergriffig werden. Der Sender NBC zögerte, das Material zu bringen, weil es rechtlich zumindest problematisch war: Auch Donald Trump hat Persönlichkeitsrechte, und wenn private Aussagen ohne seine Zustimmung mitgeschnitten und veröffentlicht werden, wäre das in Kalifornien ein Verstoss gegen geltendes Recht. Wie praktisch für den Sender (und für Verschwörungstheoretiker), dass jemand das Material noch während der Rechtsprüfung an die Washington Post weiter geleakt hat, die es als nicht mitschneidendes Medium dann legal veröffentlichte.

(Ubrigens hat auch ein islamistisch motivierter Sprengstoffhersteller Persönlichkeitsrechte. Es ist legal, ihn festzuhalten und vielleicht auch, ihn mit einem Kabel zu fesseln. Ihn dann aber noch in den Schwitzkasten nehmen und ein Photo zu machen und das ohne sein Einverständnis einer Boulevardzeitung zu geben, ist eine eindeutige Verletzung seines unabhängig von seinen Taten bestehen bleibenden Persönlichkeitsrechts. Man sollte sich schon überlegen, ob man diese polizeilich-mediale Gesamtleistung wirklich mit dem Bundesverdienstkreuz würdigen möchte)

trumpa

Schon 2012 hatte ein geleakter Mitschnitt Trumps Vorgänger Mitt Romney alle Wahlchancen gekostet, als er auf einer Veranstaltung vor geladenen Gästen und einem verräterischen Barkeeper einen Vortrag hielt und offen darüber sprach, dass 47% der Wähler ihm nie ihre Stimme geben würden: Sie seien abhängig von staatlichen Transferleistungen, weshalb sich Romney um die Vermögenden und die Schwankenden dazwischen kümmern würde. Das war immerhin noch eine offizielle Veranstaltung innerhalb des Wahlkampfes mit Aussagen zur Politik, die die Wähler im Falle seines Sieges erwarten würde. So denkt er wirklich politisch gegenüber seinen Anhängern, konnte man bei Romney die Veröffentlichung erklären. Bei Trump ist es eine 11 Jahre alte Aussage im Vorfeld einer seichten Unterhaltungssendung über fraglos hässliche, aber private Ansichten, die nun vermutlich wahlentscheidende Bedeutung bekommen. Obendrein hat die Geschichte auch seinem Gesprächspartner Billy Bush die Anstellung gekostet – weil seine Reaktion vor 11 Jahren nicht den heutigen Wünschen des Senders entsprach.

Nun ist es nicht ganz ohne Ironie, wenn Trump vermutlich von einem alten Sager zu Fall gebracht wird, während er alle jene neuen Sager über Folter, Mauerbau und Kriegsdrohungen schadlos überstand, die bei Amerikas Konservativen im Gegensatz zum Mangel an Familienwerten vertretbar sind. Man kann dort offensichtlich anderen Menschenrechte aberkennen, aber nicht mit verheirateten Frauen schlafen wollen. Dass Trump aber wegen so einer alten, durchgestochenen Geschichte scheitert, und nicht wegen der regulären Auseinandersetzung um die Richtlinien seiner geplanten Politik, und dass man solche Mittel braucht, wo herkömmliche Mittel versagen – ist nicht gerade ein Zeichen der Stärke von Trumps Gegnern. Gegner, die momentan gegen ihn genau jene populistische Emotionalisierung ins Feld führen, die Tump vorgeworfen wird. Es geht bei der Wahl nicht mehr um Politik von Migration bis zu Steuern, sondern um ein Referendum um die Rechte der Frau und Sexismus. Es ist die Geschichte, bei der die ansonsten nicht gerade Emotionen auslösende Clinton emotional wirken kann.

trumpb

Auf den ersten Blick mag es so scheinen, als hätte die Kultur der Leaks und die daraus entstehende Empörung im Netz ein neues Opfer gefunden. Nur: Es gab auch die Iraq War Logs, die Embassy Cables, der NSA-Skandal und die Panama und Bahama Papers. Lauter emotionale Leaks mit grosser Erregung und geringer Auswirkung auf das Wahlverhalten. Parallel zum Sexskandal gibt es bei Wikileaks auch die gehackten Emails von John Podesta, Clintons Wahlkampfleiter: Es wird weitaus mehr über die Verwerflichkeit von Wikileaks als über die Aussagen Podestas gesprochen, jetzt, wenn Wikileaks nicht mehr die Bush-Administration vorführt – von der Behandlung Chelsea Mannings unter Obama ganz abgesehen.

Was soll nach diesem äussersten Mittel noch kommen, wenn es bei den Republikanern eine Art Papageno-Effekt gibt, und Wähler solche Skandale gar nicht mehr ernst nehmen, wie auch ihre Entstehung durch angebliche, früher die Wahrheit versprechende Leaks? Was passiert, wenn Wählern die Absage an das aktuelle politische System wichtiger ist, als eine Serie sexistischer Sprüche vor einer Fernsehsendung? Was ist, wenn Politik nur noch aus der Zuschauerposition erlebt wird, und man den Papageno bevorzugt, weil er trotzdem anders ist und gute Unterhaltung verspricht?

trumpc

Und was ist, wenn der nächste bunte Vogel aus den Pleiten von Trump, Romney und Palin lernt und den für den Wahlerfolg richtigen Mittelweg aus Provokation und scheinbarer Aufrichtigkeit findet? Denn auch nach der Wahl werden die Leute, die Trumps Vorschläge und auch einen grossen Teil seiner Eskapaden gut fanden, noch da sein, und auf den nächsten lustigen Papageno nach ihrem Geschmack hoffen.