Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Reiseführer ins Neuland

Einmal im Jahr öffnet das Neuland seine Pforten, hier, zwischen den Jahren, in Hamburg. Ein  Touristenvisum war dieses Jahr beliebter denn je. So beliebt, dass die digitale Infrastruktur des kleinen Landes 33C3 mehrfach unter der Last der Anfragen zusammenbrach. Zu den Feiertagen haben die Einwohner des Neulands noch Computer und Handys ihrer Familien in Deutschland und anderswo repariert. Auch ich habe noch kurz vor Weihnachten Toolbars von Familienrechnern geschmissen, Systeme neu aufgesetzt und Daten auf Handys gesichert. Allerdings nach dem Motto “Unter den Blinden ist der Einäugige König“, denn oft gerate auch ich an meine Grenzen. Hier, im Neuland, im Congress Center Hamburg, auf dem Chaos Communication Congress, ist das anders. Hier scheint alles grenzenlos, alles machbar und alles, mit nur genug Liebe zum Lernen, verständlich.

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Es ist mein drittes Mal hier auf diesem Congress, und wer hier durch die Türen schreitet, den umweht unweigerlich die Luft der Heimat. So sagen es die Ankommenden. Sie seien “zu Hause“. “daheim“, und „endlich unter normalen Leuten“. Zukunft soll hier nicht einfach nur passieren, die Einwohner des Neulands wollen sie gestalten. Was als schöne neue Welt eingeführt werden soll, wurde von den Mitgliedern des Chaos Computer Clubs schon immer auf Herz und Nieren geprüft und in seine Einzelteile zerlegt. Wer das Neue verstehen will, der muss sich damit auseinandersetzen. Hier geschieht dies auf viele Arten.

Aktuell wird die Debatte um die Fake News, die in Facebook wachsen wie Unkraut, kritisch diskutiert. Die Falschnachrichten sind unter anderem ein Symptom des weltweiten digitalen Trackings: Facebook und andere Datensammler schneidern nicht nur Werbung, sondern auch Beiträge nach Maß zu. Wer häufig Nachrichten einer gewissen Art teilt, wird mehr davon erhalten. Dadurch entsteht ein sich immer weiter selbst verstärkender Tunnel.  Laut der Vortragenden mit den Pseudonymen Fraulutz und Noaveragerobot ist der einzige Weg aus diesem Tunnel die Erkenntnis über den Prozess und die Software. Oder um es für Nichtneuländer zu erklären: So müsse ein Teich auch nicht kindersicher gemacht werden, sondern Kindern das schwimmen beigebracht werden.

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Den Bedarf an diesen Erkenntnissen sah man bereits in der Eröffnungsveranstaltung: Ein Großteil der Teilnehmenden besucht den Congress dieses Jahr zum ersten Mal, viele sind jung, immer weniger sind die klassischen Computernerds. Dieser Trend gefällt hier nicht allen, doch das Credo des Clubs hieß schon immer alle Kreaturen willkommen. Wer ins Neuland einziehen will, der muss den Wandel willkommen heißen.

Das Neuland blinkt bunt, seine Einwohner ebenso. Das chaotische Gewusel auf vielen Ebenen scheint zunächst schwer zu überblicken. Es wirkt vielleicht für manche befremdlich, wenn Menschen mit regenbogenfarbenen Plüschohren sich mit dir unterhalten, oder ein Mann mit zwei geflochtenen Zöpfen souverän Anweisungen gibt. Erwachsene reden sich mit Spitznamen wie “Neun“, “Nett“ und “Obelix“ an. Ein Großteil der Toiletten wurde in Unisex-Toiletten umgewandelt, wichtiger als Geschlechtertrennung ist hier die Internetverbindung, die mit einem Sternesystem an der Tür bewertet wird. Im Neuland zählt nicht. wie man aussieht. Name, Herkunft, Geld sind egal. Der einende Gedanke ist, gemeinsam vier Tage einer Utopie zu schaffen. Vier Tage Heimat.

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Der CCC vertraut dabei, mit großem Erfolg, auf den Schwarm. Freiwillige organisieren den Event, Freiwillige stehen an der Bar, Freiwillige patrouillieren als Ersthelfer die Flure, Freiwillige übersetzen und untertiteln die zahlreichen Vorträge. Helfer bekommen keinen Rabatt, trotzdem platzte das System zur Koordinierung der Helfer, hier Engel genannt, aus allen Nähten. Vortragende erhalten lediglich freien Eintritt, sonst nichts: Anderen das eigene Wissen zu vermitteln ist ihnen Lohn genug. Damit auch Daheimgebliebene teilhaben können, werden die meisten Talks gestreamt und anschließend ins Netz gestellt. Frei nach den Worten Jean-Luc Picards von der Enterprise ist die Schaffung von Wohlstand nicht die treibende Kraft, stattdessen wollen die Teilnehmenden des Congresses sich selbst und die Menschheit verbessern.

Das bunte Chaos funktioniert ohne Probleme, und schafft damit einen politischen Kontrapunkt zu den Forderungen rechter Bewegungen nach Ordnung und Anpassung. Die Helfenden haben Spaß dabei, auch, weil ihnen ohne Nachfrage vertraut wird, pünktlich zu den Schichten zu erscheinen und diese gewissenhaft auszuführen. Der Chaos Computer Club ist lediglich der Veranstalter, der Congress wird getragen durch die Besucher.

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Entsprechend der nocturnen Natur des Nerds sind die großen Talks erst nach Mitternacht zu finden. Am ersten Tag macht eine szenische Lesung aus dem NSA-Untersuchungsausschuss den Anfang der abendlichen Galas. Hier werden die Zeugenaussagen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses nachgespielt, der die NSA-Affäre aufklären soll. Die Lesung darf als einzige der großen Shows aus rechtlichen Gründen nicht gestreamt werden. Die Absurditäten des Ausschusses werden hier dramaturgisch dargestellt, der Saal ist voll, die Zuschauer begeistert und gleichzeitig entsetzt. Sind unsere Kontrollgremien überhaupt in der Lage, die Machenschaften des BNDs aufzuklären, wenn die Bundesregierung die Aussagen der Zeugen beschneidet?

Die Teilnehmenden des Congresses wollen aber nicht daran verzweifeln, dass das System nicht funktioniert. Sie möchten es verbessern oder revolutionieren, nachdem sie es genau ergründet haben. Wie eben jedes System, das man ihnen vorsetzt. So ist der Congress politisch geworden. Die diplomatischen Beziehungen von Neuland zu Deutschland sind angespannt, aber sie könnten zu einem Systemupgrade führen, dass beiden Seiten nutzt. Der interkulturelle Austausch beginnt hier, auf dem Congress, zwischen bunten Menschen, blinkenden Lampen und ja, Computern. Ich stehe mittendrin und verkaufe als Helfer-Engel Getränke, weil es mir Spaß macht.

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„Du bist so nett zu Fremden“, sagte ein Mann mit Dreispitz, Offiziersmantel und schweizer Akzent.

„Natürlich“, antworte ich, “ich kenne Sie ja noch gar nicht.“