Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Porno-Glanz und iranisches Elend der Social Bots

Neben Hate Speech und Fake News gehören “social Bots” zum Triumvirat der politisch geächteten Propagandawaffen: Programme, die gefälschte Accounts bei Twitter erstellen und dort mit automatisierten Aussagen die Meinung der Internetnutzer beeinflussen, gelten manchen Beobachtern als wichtiges Mittel der Stimmungsmache bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen. Eingesetzt wurden sie von beiden grossen Parteien, ihre tatsächliche Wirksamkeit ist jedoch umstritten. In den von Wikileaks veröffentlichten Mails des demokratischen Wahlkampfleiters John Podesta spielen sie keine Rolle. Podesta hat offensichtlich vor allem auf die Macht der klassischen Medien gesetzt, während Trump mit seinem viel beachteten Twitteraccount mit Grossbuchstaben und Ausrufezeichen sein eigenes, durchschlagendes Medium betrieb.

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In Deutschland haben dennoch alle grossen Parteien erklärt, auf solche Methoden bei der anstehenden Wahl verzichten zu wollen. Dabei wäre das Problem eigentlich gar keines, wenn sich Twitter nur an seine eigenen AGB halten würde: Die Firma, die immer wieder Exempel an politisch umstrittenen Personen wie Milo Yiannopoulos oder Anhängern der Alt-right-Bewegung statuiert, ist erstaunlich tolerant, wenn auch grobe Verstösse durch Bots begangen werden.

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Das hier etwa ist die grosse Familie Holm: Dutzende von Accounts angeblicher Mädchen, die den Nutzer in schneller Folge dazu einladen, auf Links zu klicken, hinter denen sexuelle Handlungen in Filmen zu sehen sein sollen. Die Familie Holm bekommt nur selten korrekte Sätze über die Lippen, vermischt Sprachen und agiert mit beliebten Schlagworten. Fast minütlich erschweren sie Journalisten die Suche, die wissen wollen, was über den Berliner Politiker Andrej Holm im Netz geschrieben wird. Die Verstösse gegen die Regeln sind offensichtlich. Irgendwer benutzt Twitter als Basis für die Bewerbung seiner fragwürdigen und unsicheren Seiten im Netz. Die Grossfamilie Holm wäre leicht zu identifizieren und zu löschen, aber Twitter lässt sie gewähren. Statt dessen hat der Konzern ein Gremium installiert, das den Wünschen der Politik und Lobbys nach Einfluss auf die Löschpolitik entgegen kommt. Von deren Fixierung auf Hate Speech, Feminismus und Antirassismus profitieren dann andere Botbetreiber:

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In den letzten zwei Jahren wurde Twitter nach islamistischen Anschlägen im Westen von Bots geflutet, die an zwei Hashtags erkennbar waren: #commonworry und #letter4you. Dahinter verbergen sich offensichtlich Helfer der schiitische Staatsführung in Teheran, die einen digitalen Mehrfrontenkrieg um die Deutungshoheit führen will: Einerseits im Kampf gegen die USA und die “Zionisten”, die in ihren Augen Aggressoren sind, und andererseits gegen sunnitisch geprägte Staaten und ihre Verbindung zum wahabitischen Terror des IS, den der Iran im Syrienkonflikt auf der Seite Assads auch mit Waffen und Soldaten bekämpft. Nach jedem grösseren Anschlag klemmten sich die digitalen Handlanger des Iran hinter die populären Hashtags wie #Parisattacks und erklärten den westlichen Lesern, es gäbe einen Brief des iranischen Revolutionsführers – letter4you – für sie. Darin schreibt Sayyid Ali Khamenei der europäischen Jugend, dass der Terror eine gemeinsame Sorge – commonworry – und man im Schmerz vereint sei. Der Iran verstehe das Leiden, schließlich sollen die Muslime auch unter dem Terror der Koalition des Westens und seiner Terrororganisationen leiden.

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Die Figuren, die diese Propaganda mit drastischen und teilweise sicher den Twitter-AGB widersprechenden Bildern verbreiten, sind entweder religiöse Fanatiker, oder Accounts, die nichts anderes tun, als Khamanei als Führer der islamischen Welt und dessen Ziele zu preisen. Oft haben sie viele Follower, die ebenfalls nichts anderes tun. Es sind offensichtlich zumindest Fake Accounts, vermutlich aber gesteuerte Bots, und es geschieht so offen, dass auch eine Agentur dahinter erkennbar ist: Purestram-Media ist für viele der bunten Bildchen verantwortlich, die das Netz überfluten, und man macht aus der eigenen Vision keinen Hehl:

Spread the message of Prophet & Ahlulbayt (A)
Pave the path for the reappearance of Imam Al-Mahdi (ATFS)
Form An Islamic Ummah based on the spirit of true Islamic Unity
Destroy the system of Global Arrogance, starting with the illegitimate Zionist entity
Propagate the Islamic Awakening
Motivate all true seekers of justice to act, expose, weaken, and destroy the enemy
Export the Islamic Revolution
Introduce Pure Islam to those who have been fooled by the media
Be an alternative voice to the “mainstream” deceptive media
Introduce & establish Islamic Civilization

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Dafür gibt es auch eine Kategorie “Death to Amerika”. Das wird nicht heimlich in einem verborgenen Bürogebäude in Teheran propagiert. Es steht ganz offen im Internet. Diese Leute dort kombinieren das Hakenkreuz mit dem Davidstern, möchten islamische Revolution exportieren, hassen die herkömmlichen Medien, und wollen im 21. Jahrhundert und mit dessen Methoden dem Mahdi den Weg bereiten. Sie tun das, indem sie reichlich pietätlos bei Anschlägen behaupten, dahinter stünde der Feind Israel. Und Twitter könnte das Problem ganz leicht lösen, indem es auf seine Regeln verweist und jeden Account suspendiert, der die fraglichen, eindeutig Propaganda und Hate Speech verbreitenden Hashtags verwendet – zumal der Iran ohnehin versucht, seine Bürger von der Benutzung von Twitter abzuhalten. Offensichtlich lässt Twitter Teherans Helfer gewähren.

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Und möglicherweise ist das auch nicht wirklich schlimm, denn so viel Mühe sich die Helfer des  Iran sich auch geben, die westliche Jugend zu erreichen: Der erkennbare Effekt der Viralkampagne ist minimal. Solche Einlassungen werden meist nur von Accounts retweeted, die selbst derartiges Material verbreiten. Es gibt keine westlichen Twitteraccounts, die das nach Anschlägen aufgreifen und Khamenei für seine Weisheit loben, oder den Mahdi erwarten. Vermutlich wird das iranische Regime Opfer einer Fehleinschätzung: Im Westen werden sunnitische und schiitische Strömungen und ihre erbitterten Konflikte mehr als “Ummah”, als islamische Einheit aufgefasst, als ihnen lieb sein kann. Es ist zwar zutreffend, dass der Terror des IS von radikalisierten Sunniten begangen wird, aber auch der Ruf der radikalen Schiiten und ihrer Terrororganisationen ist im Westen nicht viel besser. Die Führung im Teheran möchte sich mit den Methoden des Internets von Al Kaida und IS absetzen. Sie dringt damit aber nicht durch. Ausser vielleicht mal bei einem verwirrten Antifa-Account, der seine Botschaften im Trump-Stil verbreitet.

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Der Iran hat wie viele Organisationen begriffen, dass er etwas für seinen Ruf im Netz tun muss. Man investiert in Graphiksoftware und Übersetzer, und hängt sich wie ein Spammer an Hashtags dran, die die Weltöffentlichkeit erreichen. Die Kampagne erschafft eigene Hashtags und versucht, die Nutzer auf ihre Seite zu ziehen. Es ist nach allem, was man erkennen kann, eine krachende Pleite, und es ist gleichzeitig möglich, weil Twitter es übersieht, toleriert oder erlaubt. Es ist wirklich harte Propaganda, es vereint gezielt Hate Speech, Fake News und social Bots. Die Agentur hinter Purestream-Media nennt sich Purvutek und hat noch mehr Projekte für internationale Zielgruppen, und sogar bunte Leistungsbeschreibungen mit abgerundeten Ecken.

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Das kann laufen, weil die Löschpraxis und Suspendierung von Accounts bei Twitter erkennbar nur dann funktioniert, wenn es im Westen Druck von Politik, von der Politik bezahlten NGOs und mit den NGOs teilweise verbündeten Medien gibt. Twitter reagiert auf gesteuerte Kampagnen, einzelne Nutzer durch massenhaftes Blocken auszuschalten, und Twitter hat durchaus Möglichkeiten, Texte mit fragwürdigen Hashtags unsichtbar zu machen. Das funktioniert, wenn Wikileaks im Wahlkampf unerquickliches Material über die Demokraten verbreitet, aber es funktioniert nicht, wenn der Iran bei Terroranschlägen unerquicklichen Hass auf Israel und die USA verbreitet.

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Zum Glück sind die Nutzer offensichtlich schlau genug, solchen Bestrebungen nicht auf den Leim zu gehen. Der Twitteraccount von commonworry hat über 31000 Tweets abgesetzt – und nur 40 Follower. Vermutlich hat das auch der Iran mittlerweile verstanden, denn beim Anschlag auf dem Breitscheidplatz verzichtete er darauf, Nutzer mit seinen Briefen zu belästigen. Manchmal regelt sich so etwas von selbst, ohne Gremien, Task Forces und Medienberichten, die begrenzte Netzphänomene als neue, schreckliche Bedrohung der Demokratie aus dem Internet darstellen. Leute, die auf unsichere Pornolinks klicken oder am Wegesrand des Mahdi stehen wollen, wird es immer geben. Aber die Meinungsbildung in Gesellschaften ist reichlich komplex, und speist sich aus vielen Informationsquellen. Und da sind social Bots möglicherweise nicht effektiver als deutsche Abwehr-Organisationen wie Correctiv oder Schmalbart, die bei der Bekämpfung von Fake News und Hate Speech ebenfalls Letter4you mit der richtigen Weltsicht haben, und als humanoide social Bots eine politisch gewünschte Agenda zur Steuerung von Meinung bedienen.