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Methadon, Krebs und das Spiel mit der Hoffnung

Wer Krebs hat, sucht Heilung. Je schlimmer die Krebsart, desto drastischer werden teilweise die Maßnahmen. Viele Krebspatienten und ihre Familien klammern sich an jeden Strohhalm. Jeder Tag, jede Minute, die der Erkrankung abgeluchst werden kann, ist viel wert.

Die Erkenntnis haben auch diverse Quacksalber gemacht. Sie bieten ungeprüfte, nicht zugelassene, Medikamente oder “Naturheilmittel” an – gegen viel Geld, dass privat gezahlt werden muss. Durch die Verbreitung falscher Informationen und Zweifel an der evidenzbasierten Medizin schaffen Sie es, teilweise sogar heilbare Patienten von zugelassenen Therapien abzubringen.

Ein besonderer Fall ist es, wenn es neue Ideen, neue Ansätze zur Behandlung von Krebs gibt, die falsch kommuniziert sowie übertrieben und polemisch dargestellt werden. So geschieht es gerade im Fall Methadon, bei der die Studien einer Chemikerin als von der “Pharmalobby” verschmähte Therapie gehypt wird. Einschlägige Tweets und Diskussionen im Internet beherrschen die Debatte. Kann Methadon wirklich Krebs heilen? Wird Methadon gar Patienten vorenthalten – aus niederen finanziellen Beweggründen?

In Laboratorien weltweit forschen Menschen daran, wirksame Therapien gegen den Krebs zu entwickeln. Unter anderem tat dies auch die Chemikerin Claudia Friesen in Ulm. Sie forschte daran, dass Krebszellen, die mit Methadon behandelt wurden, besser auf eine Chemotherapie mit Doxorubicin ansprachen. Neu ist der Zusammenhang zwischen Opiaten und Krebszellen nicht, jedoch gab bislang es keine eindeutigen Ergebnisse. Friesen zeigte, dass sowohl bestimmte Blutkrebszellen (Akute Lymphatische Leukämie) als auch aggressive Gehirnkrebszellen (Gliom, derzeit nicht heilbar) starben, wenn sie sie mit einer Kombination aus Methadon und Doxorubicin behandelte. Resultate, die in Zellen außerhalb des Körpers, also in vitro (außerhalb des lebenden Organismus) gewonnen werden, sind jedoch wenig aussagekräftig. Sie eignen sich vor allem dafür, Mechanismen isoliert zu betrachten. Für klinische Aussagen eignen sie sich aber überhaupt nicht. Es fehlt ganz einfach der Körper drumherum.

Eine etablierte Methode ist es daher, Krebszellen in Mäuse zu transplantieren und diese dann zu therapieren. Auch hier gelang der Versuch, das Wachstum der Tumoren durch eine Kombination aus Methadon und Doxorubicin zu begrenzen. Nicht jedoch, das Tumorwachstum  aufzuhalten. Auch hier ist Vorsicht geboten. Bei diesen in vivo (im lebendigen Wesen) handelt es sich um „Modelltiere“ mit künstlichen Tumoren. Zudem bekamen die Mäuse eine Dosis von 20 bis 120 Milligramm pro Kilogramm Methadon pro Tag. Auf den Menschen übertragen können bereits 20 Milligramm pro Kilogramm eine Überdosis sein.

Daher sind also mehrere Kriterien und Einschränkungen zu beachten:

  1. Die Antikrebswirkung von Methadon konnte bisher nur bei wenigen Zell- und Tiermodellen gezeigt werden.
  2. In diesen Studien wirkte Methadon nur zusammen mit einem bestimmten Chemotherapie-Medikament (Doxorubicin), andere Wirkstoffe wurden nicht untersucht.
  3. Die Studien geben keine Aussagen darüber, wie gut verträglich eine Kombinationstherapie mit Methadon ist.
  4. Es gab zwar einen großen Teil an sterbenden Krebszellen, jedoch wurden nicht alle Krebszellen getötet.
  5. Die Mäuse erhielten eine sehr hohe Dosis an Methadon.
  6. Diese Hinweise stammen nicht aus klinischen Studien und sind damit nicht am Patienten getestet.

Nichtsdestotrotz, die alten Studien von 2008 und 2014 reichten auf einmal, eine Reportage zu drehen. Ihr Narrativ war deutlich: Mit Methadon sei für die Pharmaindustrie kein Geld zu verdienen, daher seien weitere Studien daran nicht lukrativ. Das Fernsehmagazin plusminus deutete sogar an, ein Krebsforscher würde aus persönlichem finanziellem Interesse eine Forschung an Methadon ablehnen. Kann man Menschen wirklich für so abgebrüht halten, unheilbar erkrankten Menschen die Forschung an einer potentiellen Therapie absichtlich vorzuenthalten, um den weiteren Verkauf eines teuren Medikamentes zu gewährleisten?

Es gebe doch nun Hinweise, eine Behandlung mit Methadon zu versuchen. Mit Methadon könne man nur gewinnen. Das ist aber nicht so einfach. Wir haben in der EU aus gutem Grund eine sehr strenge Regulierung bei der Zulassung von Arzneimitteln. Wir wollen wissen, wie etwas wirkt, wie stark es wirkt und was die Nebenwirkungen sind, damit Patienten eine sichere Behandlung gewährleistet werden kann. Bei Methadon als Ersatzmedikament kennen wir schon die Nebenwirkungen: Atemlähmung und Herzrhythmusstörungen sind dabei die wichtigsten. Beides kann unbehandelt zum Tod führen. Eine Gefahr der Überdosierung ist aufgrund der langen Verweildauer von Methadon im Körper  sehr hoch. Ob sich bei einer gleichzeitigen Krebsbehandlung die Nebenwirkungen verschlimmern oder weitere auftreten könnten, ist derzeit nicht klar.

In einer kleinen, rückwirkend durchgeführten Studie an Patienten, an der Friesen beteiligt war, fand sich zunächst einmal, dass Methadon zusammen mit einer Chemotherapie gegeben werden kann. Das ist nicht überraschend, denn Methadon wird wie andere Schmerzmittel in Palliativmedizin eingesetzt. Über eine Wirksamkeit ließen sich in der Friesen-Studie jedoch keine Rückschlüsse ziehen: In der Analyse waren nur 27 Patienten mit unterschiedlichen Gehirntumoren in unterschiedlichen Stadien eingeschlossen. Dies ist keine gute Ausgangsbasis für solide und statistisch aussagefähige Resultate. Es müsste also eine breit angelegte klinische Studie nach internationalen Zulassungsstandards  durchgeführt werden, und jene, die Friesen glauben, sammeln bereits Geld dafür.

Allerdings gibt es von anderen Forschern des MD Anderson Cancer Centers eine klinische Studie, diesmal mit über 900 Patienten, die keine Vorteile mit Methadon gegenüber anderen Schmerzmitteln zeigt. Ebenso gibt es auch eine prä-klinische Studie, die den Anti-Krebs-Effekt von Methadon in mehreren Zelllinien als deutlich geringer einschätzt als den anderer Opioide und auf diverse Mängel der vorhergehenden Studien hinweist.

Zusätzlich gibt es natürlich zahlreiche Anwendungsstudien  zu Methadon als reines Schmerzmittel  in der Krebstherapie. Spontane, außergewöhnliche Heilungen oder Besserungen hätte man hier sicherlich bemerkt.

Methadon wirkt nicht, nur weil man daran glaubt. Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie warnt vor unrealistischen Erwartungen und möglichen Gefahren: Bei Menschen in Suchttherapie war bei Methadon das Risiko zu versterben 46 % höher als unter Morphin. Groß ist auch die Gefahr des illegalen Erwerbs und Einsatzes von Methadon. Dies ist nun ein gefundenes Fressen für Wunderheiler und Scharlatane, die den Menschen mit falscher Hoffnung das Geld aus der Tasche ziehen wollen.

Warum hält Friesen dennoch so an ihrer Idee fest? Ein möglicher Grund ist, dass sie zusammen mit zwei Kollegen ein Patent auf die Anwendung von Methadon bei Krebserkrankungen hält (Methadon als Krebsmedikament war also sehr wohl patentierbar). Dieses wurde 2008, also bereits vor 9 Jahren, angemeldet und wird voraussichtlich 2028 auslaufen. Das Patent wurde außer in Europa auch in mehreren Ländern angemeldet und die Gebühren hierfür werden mit der Zeit immer höher. Insgesamt können dies höhere 5-stellige Beträge pro Jahr werden. Nach nunmehr 9 Jahren befindet sich das Patent nun in einem Alter in welchem  Patentgebühren exponentiell ansteigen. Denn nicht kommerziell genutzte Schutzrechte sollen die Innovation nicht blockieren.

Das Patent auf Methadon in der Krebstherapie ist für die Erfinder und Besitzer  derzeit ein Verlustgeschäft. Damit sich

ein Patent lohnt muss es entweder auslizensiert oder aber gewinnbringend verkauft werden. Das ist im Fall Methadon jedoch gar nicht nötig, da zugelassene Medikamente Off-Label genutzt werden können.

In einem gewissen Sinne hat Friesen also recht: Für ein Pharmaunternehmen wäre es nicht lohnend, Methadon als Krebstherapie zu erforschen und zuzulassen. Der potentielle Käufer oder Lizenznehmer müsste eine komplette klinische Entwicklung und Zulassungsstudie finanzieren, die zwischen 500 und 800 Millionen Euro kosten und 5-10 Jahre dauern kann. Ein Rückfluss dieses immensen Investments ist allerdings mehr als unsicher, selbst wenn die Therapie mit Methadon wirklich funktionieren würde. Zusätzlich wäre das Patent von Friesen und Kollegen bis zur Neuzulassung von Methadon als Krebsmedikament eventuell schon ausgelaufen oder die verbleibende Laufzeit wäre zu gering, um zumindest noch das investierte Geld zurück zu bekommen. Auch Generika-Hersteller würden schon im Markt warten.

Die emotional geführte Debatte um Methadon mit ihren Vorwürfen von Profitgier und Menschenverachtung fördert aber vor allem eines: Sie untergräbt das Vertrauen in Ärzte, die Arzneimittelhersteller und damit in die evidenzbasierte Medizin. Sie treibt Patienten geradezu in die Arme der Quacksalber, welche medizinische  Ergebnisse nach ihren Gunsten auslegen und sich falsche oder falsch interpretierte Informationen zunutze machen. So ist der Fall Methadon nah an einer Verschwörungstheorie, nicht zuletzt gefördert durch die einseitige und unkritische Berichterstattung.