Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Mit grüner Selfiepolitik gegen Erfahrung und Substanz

Eigentlich ist in Österreich gar nicht so viel passiert: Die bisherige Kanzlerpartei SPÖ und das Lager der in Deutschland gefürchteten Freiheitlichen haben ihre bisherigen Ergebnisse in etwa behalten – die Freiheitlichen profitierten dabei von der Aufgabe der eigenen Abspaltung BZÖ. Die ÖVP hat unter dem Jungpolitiker und Balkanroutenschliesser Sebastian Kurz dagegen über 7% dazu gewonnen – also fast so viel, wie seine politische Widersacherin Angela Merkel mit CDU und CSU jüngst verloren hat. Allerdings relativiert sich dieser Sieg, wenn man die Aufgabe der Partei des Autoindustriellen Frank Stronach berücksichtigt, die 2013 noch mit 5,7% erfolgreich war: Das Team Stronach hatte sich schon während der letzten vier Jahre zerlegt, und trat wie das BZÖ nicht mehr an. Kurz ist es offensichtlich gelungen, dessen liberal-konservativ-populistische Wähler an sich zu binden.

Eine relevante Wählerwanderung gab es trotzdem: Die SPÖ verlor einen Teil ihrer Wähler an die FPÖ und ÖVP, und glich diese Verluste durch massive Zugewinne von den Grünen aus. Die Grünen sind die eigentlichen Wahlverlierer – sie verloren über 8 Prozentpunkte und kommen aller Wahrscheinlichkeit mit 3,9% nicht mehr in den Nationalrat. Der Umstand, dass eine Oppositionspartei 2 von 3 Wählern verliert, während eine unbeliebte grosse Koalition herrscht, ist ebenso erklärungsbedürftig wie interessant. Denn die Katastrophe ist selbst verschuldet und kennt einen weiteren Sieger: Die Liste des grünen Urgesteins und Skandalaufdeckers Peter Pilz, der die Grünen kur vor der Wahl verlassen hat, weil diese bei der Listenaufstellung dem Jungpolitiker Julian Schmid den Vorzug gaben. Die Grünen scheiterten an der 4%-Hürde, die Liste Pilz dagegen nahm sie mit minimaler Vorbereitung und wenig Geld ohne Probleme im ersten Anlauf.

Es lohnt sich, den zugrunde liegenden Konflikt zwischen dem Politsenior Pilz und dem Nachwuchsstar Schmid etwas genauer anzuschauen, weil ähnliche Entwicklungen auch bei deutschen Parteien des linken Lagers erkennbar sind. Pilz hat in der Migrations- und Heimatpolitik deutlich vertretene Ansichten, die von den Grünen als rechts und populistisch kritisiert wurden. Er ähnelt dabei grünen Parteirebellen wie Winfried Kretschmann und Boris Palmer, deren politische Vorstellungen ebenfalls von den migration- und integrationspolitischen Vorgaben der grünen Parteibasis abweichen. Auch die Partei Die Linke erlebt momentan einen derartigen Konflikt, weil das Lager rund um die Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht bei der klassisch sozialistischen Parteiführung rund um Katja Kipping in Verdacht steht, offen für rechte Thesen zu sein. Ähnlich wie die Grünen in Österreich tobt in den linken, deutschen Parteien ein Konflikt um die Ausrichtung der Politik aud die Interessen der jungen, gebildeten, urbanen Wähler, während klassische Protestwählergruppen und sozial Benachteiligte, speziell auf dem flachen Land, eher zu Rechtspopulisten abwandern. Die Liste Pilz hat sich dagegen – ähnlich wie Wagenknecht, Oskar Lafontaine und Boris Palmer – nicht radikal gegen die kritische Hinterfragung von Migration und deren soziale Folgen abgesetzt.

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Nun haben die Grünen in Österreich mit ihrem Dogmatismus – eines der Wahlplakate lautete “Sei ein Mann – wähl eine Frau. Das ist Grün.” – sicher viele Fehler gemacht, weshalb sie in ihren Hochburgen in den Städten ebenso wie in der Provinz verloren haben. Es gab einen abrupten Wechsel an der Parteispitze, Gerüchte über fragwürdige Kandidatenwahlen und die Abspaltung der Parteijugend. Aber trotzdem sind sie die Partei, die hinter dem auch in Deutschland gefeierten Sieg des Bundespräsidenten van der Bellen gegen den Vertreter der FPÖ steht, und diesen Absturz von der Mehrheitspartei zur ausserparlamentarischen Opposition muss man erklären. Und das ist gar nicht so schwer, wenn man sich einmal anschaut, wie die Grünen sich um die junge, urbane, netzaffine Zielgruppe gekümmert hat.

„Hey! Ich bin Grüner Abgeordneter im Nationalrat, vertrete die Jungen & will mit euch die Welt retten“ schreibt Pilz-Bezwinger Julian Schmid und Platz vier auf der Liste für die Wahl bei Twitter über sich. Dahinter steht gleich seine Whatsapp-Nummer, über die er für jeden erreichbar ist. Als er nach seinem Sieg über Pilz nach seiner Bekanntheit und seinen Methoden in der öffentlichen Darstellung gefragt wurde, sagte er dem Standard:

„Meine Generation kommuniziert anders. Nennen Sie es Augenzwinkern oder Optimismus. Viele Vertreter älterer Generationen können das nicht nachvollziehen, auch in den Medien. Dazu kommt, dass junge Menschen andere Medienkanäle als die klassischen Zeitungen nutzen. Ich habe immer darauf geschaut, dass ich zeitgemäß kommuniziere. Dass das manchmal poppig ist, ist mir klar.“

Damit wurde Julian Schmid schon bei der letzten Wahl in Wien 2015 bekannt, als er sich als “Öffi für alles” mit Lippenstiftküsschen auf einem Wahlplakat zeigte – in einer Zeit, da sich Peter Pilz mit dem NSA-Umtrieben und dem Skandal rund um den Verkauf des Eurofighters an Österreich beschäftigte. Diese Methode hat Schmid in den letzten Jahren perfektioniert: Bei Twitter, Instagram und Facebook präsentiert er sich als Selfie-Politiker, zumeist in einer Schar glücklich lächelnder junger Leute.

Peter Pilz, dessen Blick unbestätigten Gerüchten zufolge bei schlechter Laune Wasser zu Eis verwandeln kann, schrieb dagegen detailliert auf seiner eigenen Seite im Internet über seine Arbeit in Untersuchungsausschüssen und beim Studium staubtrockener Akten. Seine Pressearbeit – oft auch an der eigenen Partei und am Parlamentsklub vorbei – zeigte sich in einer Flut an Pressemitteilungen und Interviews zu schwerer und komplizierter Materie. Pilz hat den Anspruch, die Unregelmäßigkeiten von Politik und Wirtschaft aufzudecken, während bei Schmid mit seinem Bekenntnis zur Klimapolitik im Ungefähren bleibt, wie er mit Facebook und Selfies das hohe Ziel der Weltenrettung erreichen will.

Das ist fraglos poppig, jung, offen und anpassbar, so wie es in den Empfehlungen der modernen Politik-PR steht. Die Weltenrettung ist da keine harte Arbeit und kein Kampf, sondern ein nettes Treffen unter jungen, gut aussehenden Menschen, die auch für Zahnpasta oder Almdudler werben könnten. Keine Demonstration, kein Aufstand, sondern ein Event mit einem Promi, den man liken, retweeten oder folgen kann. Schmid hat den immer gleichen, immer jungen Gesichtsausdruck des Lächelns, es sieht immer so aus, als stünde die Jugend hinter ihm, egal ob in Schulen, bei Lehrlingen oder auf der Strasse beim Wahlkampf. Schmid gibt sich als Mann und Stimme des Jungvolks. Er ist ein Multiplikator und eine Marke.

Und er hat sein Mandat damit verloren, während sein alter, weisses, nicht gekussmundeter und menschlich nicht ganz einfacher Gegner Pilz mit Sicherheit im neuen Nationalrat sitzen wird. Es zeigte sich, dass 64.000 Wähler der Grünen überhaupt kein Problem mit der Islamkritik haben, und auch gut damit leben können, wenn ein Grüner seine Bewegung für Vertreter nichtgrüner Überzeugungen öffnet, solange sie ehrlich und nicht skandalbelastet sind. Die Grünen haben versucht, Schmid gegen den Nimbus des unbestechlichen Pilz zu setzen. Schmid sei “0% dirty, 100% Grün.”

Sachmid sei der “sexy Posterboy” der Grünen, jubelte das Jugendmagazin Vice. Schmid verwendete in seiner Kommunikation modische Emojis und sprach mit Worten, die jeder urbane, junge Buchstabierer von Bento und Buzzfeed verstehen kann: “Wer Grün im Parlament will, muss auch Grün wählen!” Schmid schrieb nicht wie Pilz detailreiche Bücher über Machenschaften, sondern so epische Sätze wie: “Gemeinsam mit Cem Özdemir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN  #dasistgrün #Klimaschutz #Europa #Bildung #Solidarität #Respekt” Darunter lächelnde Politiker. Was daran Respekt, Klimaschutz, Europa, Bildung, Solidarität und Respekt sein soll, und was das in der konkreten Umsetzung bedeutet – egal. Rother, Anna Yesilyurt, Magdalena Elkmann und 49 anderen gefällt das.

Von solcher Zustimmung in sozialen Netzwerken können andere Politiker nur träumen, aber es ist wie bei den Piraten in Deutschland: Die Zustimmung in der eigenen politischen Filterblase im Netz deckt nicht die Realität ab. Von der Realität hatte Pilz offensichtlich mehr Verständnis als das Spitzenpersonal seiner früheren Partei. Die hat immer noch den sexy Posterboy Schmid, und Vice ist sicher nicht das Netzmedium, das jetzt freundlich über die Liste von Pilz und deren islamkritische Töne schreiben wird.

Schmid flogen nur die Sympathien und Herzen derer zu, die sich für ein Selfie mit ihm zeigten. Schmid kommt bei Facebook gut an und weiss, wie man sich dort inszeniert. Damit ähnelt er den Resten der Piraten, die inzwischen bei Grünen, SPD und Linken angedockt haben, und dort im Bereich Netzpolitik aktiv sind – und inzwischen auch bei Debatten helfen, um Personen wie Wagenknecht, Lafontaine, Palmer und Kretschmann zu isolieren. Auch sie haben Freunde bei Vice und Bento, die sie als Stimme der Jugend, speziell der gut ausgebildeten und trotzdem unzufriedenen, linken, urbanen Millenials präsentieren können.

Man muss das fatale Ergebnis dieser Bemühungen nicht mögen, aber in Österreich hat sich gezeigt, dass die Wähler solcher Parteien nicht im Mindesten ein ideologisch gleichgeschalteter Block sind, der genau das will, was im Parteiprogramm und in bildungsreduzierter Form und leichter Sprache bei Facebook steht. Ein erheblicher Teil der früher grünen Wähler stimmte für die Liste eines Kritikers des politiuschen Islams. Und was geblieben ist, zwingt den sexy Posterboy zum Abtritt von der Karriere als jener grüne Weltenretter, der immer lächelt. Es ist nicht so, dass diverse Medien die Grünen in Östereich nicht deutlich vor diesem Kurs gewarnt hätten. Sie haben sich trotzdem für den Netzprotagonisten und die lächelnde, ideologisch zuverlässige, urbane, junge Filterblase entschieden. Schmid schweigt seit der Wahl auf seinen Netzkanälen, sieht aber im Interview nicht die Schuld für das Debakel bei sich selbst.

Wieviele Prozente die Linke und die Grünen wohl ohne Wagenknecht und Kretschmann noch bekämen?