Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Hauptsache Milliarden – und nicht mit den Menschen reden

Wie so oft, ist es eigentlich ganz einfach: Es gibt im Winter sogenannte Inversionswetterlagen, bei denen sich warme Luftschichten über kalte Luftschichten schieben. Das sorgt zuerst einmal dafür, dass ich in den Bergen über der kalten Luft im Sonnenschein rodeln und davor stundenlang bräunen kann. Unten dagegen ist es kalt, und einige selbstverstärkende Faktoren sorgen dafür, dass über den Städten Abgase und Staub in einer Art Dunstglocke verdichtet werden. Wenn man auf der Neureuth Richtung München schaut, zeigt sich diese hässliche Abdeckung der Stadt als schwefelgelber Steifen in einer ansonsten makellosen Fernsicht. München bekommt das, was es absondert.

Manchmal, wenn die Luft klar ist, sehe ich die Glocke über München mit kalter, dunstiger Luft auch vom Radweg auf den Höhen über der Donau – sie macht in der Mitte beim Blick nach Süden das Alpenpanorama unscharf. An der Existenz der Inversionswetterlage kann man nicht rütteln. Manche Faktoren wie der Ausstoss von Rauch und Staub sind vom Menschen gemacht, andere, wie Winter, Lage in Tiefebenen, Windstille und ungünstige Luftschichten, sind natürlichen Ursprungs. Inversionswetterlagen gibt es auch ohne menschlichen Einfluss, in Städten jedoch trägt der Mensch mit diversen Abgasen, darunter aus Verbrennungsmotoren, deutlich dazu bei. Dann schrillen die Stationen, die die Belastung messen, Grenzwerte werden überschritten, und die Deutsche Umwelthilfe droht mit Prozessen, und kann sich auch Beugehaft gegen Minister vorstellen. Selbst wenn die, wie im Fall vom CSU-Bayern, nicht voll verantwortlich für die Verkehrspolitik der SPD-Stadt München sind. In meinem CSU-Kaff in den Bergen jedenfalls ist der Schnee weiss und ohne Schadstoffe – sofern nicht der Schadmünchner hierher fährt, weil die Schad-Prantlhausener Zeitung nach dem freundlichen Beitrag über die Umwelthilfe einen Beitrag über die schönsten Frühwinterregionen bringt, die man mit einer kurzen, abgasfördernden Autofahrt erreichen kann.

Ohne dass es übrigens wirklich nötig wäre, denn der Schadmünchner könnte auf schönen und frisch ausgewiesenen Radrouten des Fernwegs München-Venezia zu uns kommen, was er aber nur selten macht. An der Donau hat man übrigens entlang einer Strasse im Westen der ebenfalls smoggeplagten Stadt einen Radweg angelegt, der es den Bewohnern schnell wachsender Dörfer erlauben würde, ins Zentrum zu radeln: Im Sommer machen das einige, aber unter der Woche im Winter sieht man fast nur Radsportler und kaum Radpendler. Ein Meter Radweg kostet 250€, ein Kilometer kostet 250.000. Ohne neue Strassenrandbegrünung haben zwei Landkreise hier in den letzten Jahren weit über eine Million Euro investiert, und es ist klug, weil es helfen könnte, den Schadstoffeintrag aus dem Westen zu verringern – es nutzt nur keiner, wenn das Wetter so ist, dass die Benutzung ein klein wenig gegen die winterliche Smogglocke helfen würde.

Eine Milliarde klingt nach viel Geld, und diese Milliarde wurde beim neuen Dieselgipfel der Kanzlerin versprochen. Im August hatte man den Topf noch von 500 Millionen auf die besagte Milliarde angehoben, jetzt soll die Milliarde jedes Jahr fliessen. Das klingt so lange gut, bis man nachliest, wie sich die Regierung von Frau Merkel das vorgestellt hat: Das Geld wurde im August versprochen. Das Umwektministerium von Baden-Württemberg wollte, dass die Kommunen bis zum 10. September ihre Vorschläge vorstellten. Es ist vollkommen klar, dass diese Vorschläge irgendwie zu weniger Emissionen führen müssen, oder einfach gesagt: Ein paar Leute werden ihre Autos nicht mehr in der bisher bekannten Form nicht mehr fahren können, sondern stehen lassen müssen. Wer das mit einer anderen Infrastruktur erreichen will – absperrbare Radboxen, Radwege, Straßenumwidmung, E-Bikes, was man da halt so machen kann – ist als Kommune verpflichtet, solche Maßnahmen sorgfältig zu planen. Das ist in sechs Wochen nicht möglich, es sei denn, man reicht Vorschläge ein, die schon geplant und nahe der Ausführung sind. Die Informationsveranstaltung für die Kommunen in Baden-Württemberg war am 6. September, also gerade einmal 4 Tage vor der Deadline des Verkehrsministeriums.

Im Ergebnis ist, wenig erstaunlich, das Geld nicht geflossen. Jetzt soll das alles leichter werden, man möchte Lotsen anbieten, die Kommunen helfen, ihre Anträge zu formulieren. Laut Frau Merkel stünde das Geld “ab morgen” bereit – ganz erstaunlich, dass man die Förderung solcher Projekte mitsamt Prüfung und Genehmigung hier so schnell umsetzen kann. Infrastruktur, Raumordnung und Verkehrsplanung waren bisher eigentlich die hohe Kunst der Verwaltung: Jetzt soll das alles in ein paar Tagen möglich sein. Zum Vergleich: Der Radweg, auf dem ich in die Alpen schauen kann, hat über 10 Jahre von der Planung bis zur Realisierung benötigt. In einer Stadt, die im Geld schwimmt und in Deutschland sicher zu den besseren Radverkehrsorten zählt.

Ich wollte mir einfach als Bürger mal anschauen, was Kommunen denn so einreichen können, und suchte heute morgen länger nach “Mobilitätsfonds für Kommunen”, “nachhaltige mobilität für die stadt fonds” “Masterplan Green City”, worunter das Milliardenprojekt bekannt ist. Ich habe bei Twitter das Verkehrsministerium gefragt, ob sie so eine Website haben – bei einer Milliarde, die da fließen soll, wäre das doch sicher auch interessant für Parteien, Gruppen und Bürger der 28 Regionen, die sich beteiligen können. Ich würde das gern zeigen – allein, es scheint nichts dergleichen zu geben. Vertreter der Kommunen können vielleicht in Berlin Frau Merkel, Frau Hendricks und Herrn Dobrindt fragen, aber für den normalen Bürger ist es so. dass “ab morgen” angeblich Geld fliesst. Wohin, wofür, wo Flächen für Park-and-Ride-Parkplätze versiegelt werden, Stromtankstellen in die Innenstädte kommen, oder Radfernwege geplant sind, das wird meines Wissens nirgendwo erklärt. Dabei wäre es schon interessant zu sehen, wohin diese Milliarde so geht – ein Parkplatz bevorzugt andere Menschen als eine Stromtankstelle oder ein Radweg. Ich würde da als Bürger gern mitreden. Zum Beispiel darüber, dass wir hier zwar einen Radweg haben, aber der Bevölkerung nicht nahe gelegt wird, den zu benutzen. Hier bei uns wurde das Geld in den Boden betoniert. Und das liegt im Winter so rum. Und wenn das Wetter schlecht ist und der Smog droht und Wasser zu Eis gefriert, wenn man also radeln sollte – dann macht keiner das Eis weg. Dann wird der Radweg erst mal die Schneeräumablagerungsfläche. Darüber würde ich gern reden.

Ich sage das, weil ich es auch anders kenne, aus Städten, in denen man sich wirklich Mühe gibt. Turin liegt nahe der Alpen und hat auch oft übles Schmuddelwetter. Aber in Turin gibt es auch eine Bürgermeisterin, die sich dann an ihren Twitter- und Facebookaccount setzt und die Bürger über die Lage und Probleme direkt informiert. Sie sagt ihnen, dass es jetzt fein wäre, wenn mehr Leute das Rad benutzen würden, und weist darauf hin, dass es angesichts des Smogs an den Verleihstationen billigere E-Bikes gäbe. Sie wäre dankbar, wenn die Menschen das tun würden. In Mantua, das im Winter unter Nebel leidet, wirbt der Regionalpräsident für sich mit einem Video, mit dem er durch die Stadt radelt. Der Radweg München-Venezia, seit kurzem beginnend in einer jahrzehntelang rot-grün regierten Stadt, ist nur eine gerade erst eingeführte Verlängerung eines Radwegenetzes in Südtirol, das bereits in den 90er Jahren eingerichtet wurde. Ich kann mich darüber in Südtirol an eigens eingerichteten Stationen informieren. In Südtirol, in Mantua, in Ferrara bin ich König.

In Deutschland sitzen die Minister in Berlin und sagen, dass eine Milliarde ab morgen fließt. Sie sagen aber nicht, dass die Umsetzung schon mal 10 Jahre oder länger dauert, und man bis dahin auch 10 Jahre unverändert die Inversionswetterlagen hat. Und die Belastung noch länger anhält, wenn die Menschen die mehr oder weniger sinnvolle Infrastruktur einfach links liegen lassen, weil “der Staat” von der Bundeskanzlerin über die Minister und Staatssekretäre bis zu den Bürgermeistern es nicht auf die Reihe bekommt, den Menschen zu sagen, dass sie mitspielen müssen – und zwar, bevor die Inversionswetterlage die Messwerte hochtreibt. Das würde den Staat dank Internet übrigens praktisch nichts kosten, denn die Kanäle sind da. Es wird halt, im Gegensatz zu teuren Plakatkampagnen zugunsten der Dämmstoffindustrie, nicht gemacht. Das Milliardenversprechen ist bequemer. Die Kanzlerin sagt “eine Milliarde ab morgen” anstelle von “es sind eure Abgase, ihr hättet gestern schon das Rad nehmen sollen”. Ab morgen kann es durchaus sein, dass wieder ein ominöser Grenzwert überschritten wird, auf den man sich vor Jahren einigte, weil man dachte, die Industrie wird das schon machen. Dann gibt es wieder Schlagzeilen über die Belastung der Luft und erst recht keinen Grund, in diesen Abgasen auf das Auto und die Klimaanlage zu verzichten.

In der Privatwirtschaft wäre es undenkbar, einen Milliardenfonds mit solchen Zielen aufzulegen, ohne verbindlich und nachvollziehbar gegenüber dem Geldgeber – in diesem Fall uns allen – festzuschreiben, was durch welche Maßnahmen erreicht werden soll. Vor allem hätte man bei diesem Fonds das Zielpublikum im Auge – und das sind zig Millionen Menschen, die in den betroffenen und geförderten Ballungszentren leben. Infrastruktur allein ist weder eine Garantie für die Nutzung wie mein Radweg, noch eine Garantie für eine auch nur halbwegs vertretbare Umsetzung, wie die scheiternden Riesenprojekte BER und Stuttgart21. In der Privatwirtschaft würde man Projekte aufzeigen, die messbare Erfolge brachten, und die erweitert werden sollen. In der Spätphase der Regierung Merkel fliesst Geld “ab morgen”, und vielleicht auch in Zukunft jedes Jahr. Mit dem Klima und dem Feinstaub ist es dabei wie mit dem Fortschritt und dem Atom der 60er Jahre: Man muss es nicht mehr begründen oder erklären, es wird einfach gemacht, und Mitsprache und Kommunikation ist wegen des guten Zwecks überflüssig, die reine Luft kommt aus der Förderung wie früher der Strom aus der Steckdose.

Ich habe diesen Tweet, ähnlich wie er on Turin verbreitet wird, vor vier Stunden, als ich mit dem Schreiben begann, abgesetzt. 77 Retweets, 8,216 Impressions. Das mag nicht viel sein, aber es hat 8.216 Leser mehr als die nicht existierende Empfehlungsseite der Bundesregierung oder des Verkehrsministeriums zum Milliardenfonds und zur Frage, was denn das angemessene Verhalten der Bürger beim kommenden Wintersmog wäre. Und 8.216 Leser haben die Schönheit meines Radweges gesehen, der pro Kilometer eine viertel Million Euro kostete, und dennoch nicht von denen genutzt wird, die lieber daneben Auto fahren. Weil die Infrastruktur da ist, aber nicht die Erkenntnis, dass nicht “die Autoindustrie” den Smog macht, sondern alle zusammen: Diejenigen, die einfach stur Auto fahren und diejenigen, die ohne jede Kommunikation einfach stur Milliarden ins Blaue hinein ausschütten – und jeder, weil man das in dieser Epoche der Erstarrung halt schon immer so gemacht hat.