Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Diversität als moralische Hegemonie

Weihnachten naht, und natürlich haben auch Kommunikationsfirmen einige ganz besonders warme Herzenswünsche. Ganz weit oben, knapp hinter “mehr Gewinn” , “mehr Auflage” und “mehr Politiker, die tun, was man ihnen sagt” kommt, typisch für diese bescheidene Branche, der Wunsch nach mehr Diversity. Der alte, weisse Mann ist out, andere feiern schon lange ihre multinationalen und gendergetriebenen Mitarbeiter, die mutig Deutschland für sich reklamieren und Medienhäuser moderner machen.

Anlässe zum Umdenken gibt es genug: So kam es nach der diesjährigen Verleihung des Georg von Holtzbrinck-Preises für Wirtschaftspublizistik zum Eklat, als alle Preisträger männlich waren.  Gabor Steingart, der Herausgeber des Handelsblatts, distanzierte sich daraufhin von der Veranstaltung und kündigte an, das werde in seinem Beisein nicht noch einmal passieren. Kritisiert wurde in diesem Zusammenhang auch die Wahl des mittelalten, skandalerprobten, weissen SPD-Mannes Marc Jan Eumann zum Direktor der Landeszentrale für Medien und Kommunikation in Rheinland-Pfalz  – nicht nur wegen des roten Postengeschachers, sondern auch wegen des Umstandes, dass hier erneut ein Mann zum Zuge kommt, obwohl seine Partei ansonsten für die Frauenförderung eintritt. Diese Partei mit der Andrea “Bätschi” Nahles  sieht sich gerade mit Forderungen nach einer teilweise weiblichen Doppelspitze konfrontiert. Der mittelalte, weisse Chef der Nachrichtenagentur dpa, die eigentlich für die unbestechliche und faktenbasierte Berichterstattung zuständig sein sollte, will „mehr Mahrzan“ und Mitarbeiter mit Migrationshintergrund, und betont den Wert der Ausgrenzungserfahrung.  Über Ausgrenzungserfahrungen bei falscher Meinung könnte dagegen Denise Young Smith, die frühere schwarze, weibliche Vizepräsidentin von Apple für Diversity berichten: Sie hat jüngst den Fehler gemacht zu behaupten; auch weisse, blauäugige Männer könnten sehr wohl divers sein, und musste sich dafür vor ihrer Trennung vom Konzern entschuldigen, denn die Zeiten, da hassgeifernde Mobs eine rein weisse Angelegenheit waren, sind lang vorbei:

Die Gelegenheit scheint also durchaus günstig zu sein, mehr Diversity zu fordern, und dank einiger Zufälle meiner privaten Geschichte, an denen ich keinerlei Anteil habe, könnte auch ich die Zugehörigkeit zu mindestens zwei „marginalisierten Gruppen“ ins Feld führen, und fordern, mir dafür medialen Raum zu geben. Ich sitze auch oft an der Tastatur und denke mir: Ihr habt überhaupt keine Ahnung, wie das wirklich ist, na wartet, euch werde ich es zeigen…

Und das erklärt vielleicht auch schon, warum zwar Diversity in der Theorie eine gute Idee ist, in der Praxis aber, auch wenn es manchmal weh tut, journalistisch problematisch ist. Die Ansicht, man wisse aufgrund der eigenen Erfahrung etwas besser als viele andere, mag nicht zwingend falsch sein. Aber es bedeutet nicht, dass solche Sichtweisen dann ausgewogen oder besser sind. Ein schönes Beispiel ist der Survivor-Bias, an dem ich in meiner eigenen Benachteiligung auch erkrankt bin. Ich habe gelernt, mich trotz diverser Gebrechen und Befreiung vom Schulsport auf die höchsten Alpenpässe durchzubeißen. Deshalb überschätze ich jetzt selbst chronisch den Leistungswillen und den Kampfgeist anderer Leute. Politiker wie Edmund Stoiber und Gerhard Schröder haben sich aus bescheidenen Verhältnissen mit Fleiss und Härte nach oben gekämpft. Es ist bei allen Nachteilen von Hartz IV nachvollziehbar, warum sie bei der Sozialpolitik weniger auf Mitleid und denn auf Leistung gesetzt haben. Survivor Bias ist auch, sich vom Sohn eines Analphabeten aus Anatolien zum Besitzer eines Supermarktes hochgearbeitet zu haben – und der Meinung zu sein, dass die neuen Migranten faul seien und man eigentlich mit dem bosnischen Kumpel aus der Muckibude eine Bürgerwehr machen sollte. Anders gesagt: Nicht jeder, der Diversity selbst kennt, ist der Meinung, dass diese Diversity etwas Positives ist, das man beschönigend oder mit Forderung nach Empathie vermitteln sollte. Folglich kommen mit die härtesten Medienurteile zur Migrationspolitik der Deutschen heute von einer deutschen Bürgerin mit chinesischen Wurzeln.

Dabei liegt der Mangel an Diversity nicht nur darin, dass Medien oft eine Art geschlossene Gesellschaft sind. Mein türkischer Bürgerwehrfreund kann durchaus erklären, warum er das so sieht – er könnte es aber nicht aufschreiben, und wenn ich es für ihn täte, würde man es nicht veröffentlichen. Die Ausgrenzungserfahrung beginnt aber nicht an den Toren der Medien, sondern bei den Familien, die mit der Bildung der Kinder sicher den grössten Einfluss auf das spätere Leben haben. Natürlich kann man unter denen, die sich bis zum Volontariat durchbeissen, eine Art Quote vereinbaren: Es ändert aber nichts am Umstand, dass die entscheidenden Weichenstellungen lange davor getroffen werden. Und zwar oft genug von Eltern, die ihre Kinder „etwas Anständiges“ lernen lassen wollen. Ich merke das, wenn mich der Bürgerwehrfreund etwas abwertend als „FAZ-Mann“ anspricht, und nicht etwa als „Mitarbeiter des Feuilletons der F.A.Z.“: Die Selbstbeurteilung der Branche als Krönung der sozialen Karriere wird noch nicht einmal von meinem Klempner geteilt. Es wäre also vorab zu klären, ob die Vorstellung von Diversity und ihren Quoten in den Medien wirklich den Berufswünschen derer entspricht, denen damit geholfen werden soll. Und ob die Geförderten wirklich für jene stehen können, die sie angeblich repräsentieren – auch daran habe ich öfters mal Zweifel, aber vielleicht kenne ich auch nur die falschen Minderheiten.

Und wenn doch jemand unbedingt seine Benachteiligungserfahrungen einbringen will? Es gab in dieser Hinsicht schon einige Versuche. Die Tageszeitung taz ist damit ein Nischenprodukt geblieben. Die Teen Vogue wurde eingestellt. Der Guardian wollte das in den USA gross aufziehen – und musste massiv Stellen streichen. Der Freitag steht dem Vernehmen nach vor einer Entlassungsrunde, die Krautreporter sind sehr klein geblieben, und außerdem sind „sozial issues“ nun schon etwas länger in Mode, speziell bei den öffentlich-rechtlichen Medien: Es ist für den geneigten Betrachter überhaupt kein Problem, sich intensiv und umfassend mit den Belangen von Minderheiten zu beschäftigen. Der Mainstream verdaut inzwischen so gut wie alle Minderheiten, gefühlt gibt es mehr Beiträge über transsexuelle Kinder als über das Spielen im Schlamm. In meiner Lebensrealität spielen diese Minderheitenthemen aber kaum eine Rolle. Wenn Minderheitenthemen gut laufen sollen, und nicht nur durch Trollerei und Clickbait der Leser, müssen sie auch die Mehrheit erreichen, und besser als der Durchschnitt dargestellt werden. Ich kenne paar wenige Beispiele wie die Österreicherin Melisa Merkurt. Bei den meisten habe ich als Leser eher den Eindruck, dass hier Autoren für ihre eigenen Moralräumen und Echokammern mit Holzhammermethodik Anerkennung und Anhänger fordern. Das hier ist ein Screenshot des Jetzt-Projekts der Süddeutschen Zeitung der letzten Woche: Drei von vier Themen sehen in Männern den Übergriffigen, das vierte feiert einen Mann, der Trump bei Twitter abgeschaltet hat. Diversity verkehrt sich in ihr Gegenteil:

Welcher Jugendliche will nur solche Schwerpunkte? Natürlich können Medien Sichtweisen und Erfahrungen sehr unterschiedlicher Menschen brauchen, um möglichst viele Menschen anzusprechen. Nur ist „Diversity“ momentan ein rein linkes Projekt, das im Extrem die Sprachpolizisten der Neuen Deutschen Medienmacher erklären lässt, dass Bezeichnung „deutsche Dreckskultur“ aus der Berliner taz durch eine Diversityautorin keine Diskriminierung sei. Die real existierende Diversity wünscht sich nicht die Knochenbrechereinstellung des bosnischen Muckibudenbesitzers und den Umstand, dass bei meinem türkischen Lebensmittelgeschäft die Jungs „saure Kamelhoden“ zum Lutschen und die Mädchen Überraschungseier mit Tannenbaum bekommen. Sie will klare Meinungen zum weißen Patriarchat und Hijab-Barbies. Man will quotiertes Fachpersonal, so eine Art Söldnerschreiber, die die Richtigkeit der eigenen Weltsicht unterfüttern, und helfen, die moralische Oberhoheit zu bewahren.

Man kennt dieses “Einige meiner besten Freunde sind Juden und die sagen auch”-Spiel zum Überfluss aus der Debatte um den Nahost-Kriegsprozess. Niemand aus den Kreisen der Diversity fordert dagegen eine Quote für Necla Kelek oder ein Interview mit meinem fachkundigen Bosnier, wohin man Ausgrenzungserfahrungen treten sollte, damit es weh tut. Niemand will einen Beitrag, warum der Diversitybefürworter Benjamin Netanjahu auf eine maliziöse Art manchmal, naja, nicht ganz uncharmant ist, oder ein Interview mit einem Araber, warum in Berlin bei Xhamster nach “arab” gesucht wird, und was das über die Integration sagt. Diversität muss gefallen, sie muss sich an die Forderungen anpassen, und wenn sie nicht genug Klicks bekommt, kann sie auch schnell mal entbehrlich werden. Schlecht für die Quotengeförderten, wenn sie dann keine alternativen Themen anbieten können, und der Weg in die Redaktionen auf dem Abstellgleis endet.