Deus ex Machina

Deus ex Machina

Über Gott und die WWWelt

Prügel, Pranger, Pöbeleien: MeToo hasst kritische Autorinnen

Es ist der große Traum vieler Journalisten, einmal so viel Aufmerksamkeit im Netz zu bekommen, dass ihre Arbeit weltweit Beachtung findet, und sie auf die Titelseiten der Medien bringt. In den letzten 24 Stunden ist dieses Kunststück gleich zwei Autorinnen gelungen. Aber beide hatten eigentlich gar nicht vor, Gegenstand eines solchen Erfolgs zu werden – und eine der beiden erlaubt jetzt einen phantastischen Einblick in die Dynamiken, die das Netz ermöglicht.

Eine Beteiligte ist Katie Roiphe. Sie ist Autorin führender Medien, Professorin für Journalismus, und eine emanzipierte und eigenständige Frau vom Alten Schlag. Sie hat seit den 90er Jahren in erfolgreichen Büchern und Essays die Rolle der Frau in der Gesellschaft analysiert, ohne sich dabei ideologisch festlegen zu lassen. Ihr bekanntestes Buch behandelt das Problem sexueller Übergriffe, und hat ihr bei jüngeren Feministinnen den Ruf eingebracht, bei den Opfern eine Mitschuld zu suchen. Ungeachtet dessen hat Roiphe nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Harvey Weinstein beim Magazin Harpers begonnen, einen Beitrag über eine besondere Episode der MeToo-Bewegung zu schreiben: Die Shitty Media Men Liste, ein anonymes, von vielen Personen im Internet zusammengetragenes Prangerdokument, das im Oktober 2017 nach nur 12 Stunden die Namen von über 70 mehr oder weniger bekannten Journalisten und ihre angeblichen Vergehen enthielt. Das Dokument machte schnell die Runde und schaffte es in kurzer Zeit zu einer Weltnachricht, und Roiphe recherchierte dem Fall für die März-Ausgabe von Harper’s Bazaar hinterher.

Brianna Wu ist im Gegensatz zu Roiphe eine Feministin vom Neuen Schlag. Bekannt wurde sie durch ihre führende Rolle in der Gamergate-Kontroverse, die zwischen Feministinnen und verbündeten Medien einerseits und wütenden Gamern und Breitbart andererseits in eine Reihe von gegenseitigen Vergewaltigungswünschen, Mordphantasien und Bombendrohungen mündete. Wu hat den Internetkampf inzwischen auf eine politische Ebene gehoben, und kandidiert mit ihrer feministischen Agenda auf Seiten der Demokraten für den US-Kongress. Gestern schaffte Wu es schlagartig wieder in die Medien, als sie anbot, sich an den Kosten einer Boykottaktion gegen Harper’s zu beteiligen: Im Internet kursierte das Gerücht, Harpers würde den Namen der Initiatorin der Shitty Media Men Liste veröffentlichen. Die TV-Autorin und Feministin Nicole Cliffe hat Journalisten angeboten, ihre Beiträge für Harper’s zu bezahlen, wenn sie diese Texte zurück ziehen.

Brianna Wu bot an, sich an den Kosten zu beteiligen, und spätestens ab diesem Moment und dem Eintritt einer Prominenten war allen Beobachtern klar, dass aus einem simplen Bericht bei Harper’s die nächste, große MeToo-Eskalation werden würde. Harper’s sah sich in der Folge einer wütenden Twitterkampagne ausgesetzt: Feministinnen forderten, das Blatt dürfte auf keinen Fall den Namen der Initiatorin bringen. Aktivistinnen verlangten eine Trennung von Kathie Roiphe und eine Entschuldigung des Magazins, und angeblich waren auch einige Autoren bereit, ihre Beiträge für Harpers zurück zu ziehen.

Die nächste Eskalationsstufe war eigentlich keine: Die New York Times setzte sich mit Katie Roiphe in Verbindung, und die Autorin versicherte, es hätte nicht beabsichtigt, den Namen der Erstellerin der Shitty Media Men Liste zu veröffentlichen. Lediglich ein Fact Checker, der die Inhalte der Geschichte prüfte, hatte die mutmaßliche Initiatorin angeschrieben und um die Bestätigung einer Angabe im Text gebeten.

Das wäre möglicherweise der Moment gewesen, um den grossen Knall noch zu verhindern: Die eine Seite hat der anderen das Recht zugestanden, anonym und sicher zu bleiben, und die andere Seite hat sich mit dem Verlangen durchgesetzt, sich ohne Bedrohung und Gefahr im Internet über Probleme austauschen zu können – so wie die Liste ursprünglich als klandestines Netzwerk geplant war. Aber offensichtlich ging es Cliffe und ihren Mitstreiterinnen um deutlich mehr – nämlich um die bei ihnen verhasste Katie Roiphe, in der es angeblich keinen einzigen ehrlichen Knochen gäbe:

Und prompt wurde der Vorwurf laut, Katie Roiphe hätte gelogen – von einer Person, die angab, sie hätte bessere Kentnisse über den wahren Ablauf der Dinge und die Erlebnisse der Betroffenen:

Damit war für die Anhängerinnen der Shitty Men Liste klar, dass Roiphe die Unwahrheit gesagt hat, und aus dem Fall der bis dahin noch anonymen Autorin ein Fall Roiphe und Harper’s werden sollte:

Zu diesem Zweck schwappte der laute Twitteraktionismus dann aus dem Netz zu den Telefonanschlüssen von Harper’s, damit das Magazin den Namen nicht nennen würde:

Aber Cliffe, die zusammen mit Wu den Fall erst richtig groß und bekannt gemacht hatte, um die Identität der Initiatorin zu schützen, fand es auf einmal gut, wenn sie sich nach all dem Geschrei doch selbst äußern würde.

Was eine gewisse Moira Donegan dann unter dem enormen Druck der Ereignisse auch tat. Die Geschichte hinter der Liste und ihrem enormen Erfolg, die sie selbst erzählt, ist aber weder eine wütende Anklage gegen Katie Roiphe, noch Jubel über das eigene Tun: Es ist vielmehr die Geschichte einer jungen Frau, die ”unglaublich naiv” war und denkt, man könnte mit einer still zusammen getragenen Liste den ein oder anderen unschönen Fall verhindern. Größere Gedanken um moralische Implikationen oder die unerwartet schnelle Verbreitung hatte sie sich nach eigenen Angaben vorab nicht gemacht: Sie schildert sich ruhig und klar als Opfer einer Wirkung, die sie nie erwartet hätte. Für den Kampf der jungen Feministinnen gegen eine alte Feministin bietet der Text eher wenig Munition, denn der Fact Checker fragte sie nach Donegans Eigenangabe lediglich, ob sie eine – und nicht die einzige – Person hinter der Entstehung der Liste sei, “wie weithin angenommen werde“. Donegans Befürchtung war inzwischen, dass der Aufschrei im Netz schon vorab ihre Identität bekannt machen würde:

The outrage made it seem inevitable that my identity would be exposed even before the Roiphe piece ran.

Dafür schildert der Text anschaulich die Dynamiken, die in Zeiten der MeToo-Erregung nicht nur über mögliche Täter, sondern auch über Randfiguren hinweg rollen können. Donegan hat den eigenen Angaben zufolge Freunde und später auch eine Stelle verloren, nicht alle in ihrem Umfeld waren mit der Liste einverstanden – offensichtlich hat sie ihre Urheberschaft nicht allzu gut geheim gehalten. Es ist ein reflektierter Text über ein Ereignis, ganz anders als die ruppigen Anklagen und Großkonflikte, die sonst das Thema beherrschen. Sie hat Angst, findet die Liste und das, was daraus wurde, aber weiterhin gut:

Like a lot of feminists, I think about how women can build power, help one another, and work toward justice. But it is less common for us to examine the ways we might wield the power we already have. Among the most potent of these powers is the knowledge of our own experiences. The women who used the spreadsheet, and who spread it to others, used this power in a special way, and I’m thankful to all of them.

Ungeachtet dessen läuft der eigentliche Konflikt um anonyme Listen und Kritiker wie Katie Roiphe mit aller Härte und Verbissenheit weiter.

Das feministische Portal Jezebel macht aus der Recherche den Vorwurf des Doxxings gegen Harper’s.

Und nachdem sich Amy Siskind von The New Agenda, einem wichtigen Frauennetzwerk um Hilary Clinton, auch noch einmischt und obendrein Nicole Cliffe für ihr Engagement dankt, das mit dem Shitstorm letztlich erst zum Selbstbekenntnis von Donegan führte

ist der Kampf Frauen gegen Frauen, neue Feministinnen gegen alte Feministinnen, Twittermob gegen etablierte Journalistin auch in den oberen politischen Sphären angelangt.

Warum? Weil eine Journalistin ihre Arbeit gewissenhaft gemacht hat und zutreffend die Hintergründe einer Weltnachricht recherchierte, und einer Person zweimal die Gelegenheit gegeben hat, sich zu äußern. Katie Roiphe hat keinen erkennbaren Fehler gemacht, Moira Donegan sagt selbst, dass sie zu naiv war – aber der Mob hat entschieden, dass Harper’s und Roiphe dafür bestraft werden müssen.

Eigentlich sollte es bei MeToo mal um den Schutz von Frauen gehen, aber das gilt offensichtlich nur, wenn es die richtigen Frauen mit der richtigen Einstellung und ohne kritische Fragen sind. Denn bei Jezebel spricht sich jemand offen dafür aus, Roiphe für ihre Arbeit zusammenzuschlagen.

Möglicherweise dachte Catherine Deneuve bei ihrer Kritik an MeToo an solche Aktivisten.