Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Menschenexperimente mit dem Internet of Things

Jüngste Aufschreie aus dem Automobilbereich haben gezeigt, dass Versuche mit Affen und Menschen für Empörung sorgen, und vielleicht sollte ich warten, bis etwas Gras über die Sache gewachsen ist, aber:

Ich habe auch Menschenexperimente mit Technik gemacht.

Und zwar ist das so: Momentan werden hier aufgrund von ein paar Zufällen umfangreiche Bauarbeiten durchgeführt, und in nächster Zeit sind daher ein paar Wohneinheiten zur Vermietung fertig. Ich wohne in einer absoluten Boomregion des Landes, bei uns ist die Immobilienblase daheim, wir haben in der Altstadt bei WG-Gesucht Mietangebote, die deutlich über 30€/m² im Monat liegen.

Sprich, ein gewisser Reichtum ist empfehlenswert, wenn man hier ernsthaft wohnen will, und auch jenseits der WG-Vermieter liegen die Quadratmeterpreise in dieser Lage deutlich über 10€/m² bei der Miete und 5000€ beim Kauf – Businessapartmentlöcher für die reisende Elite dieser Welt kosten auch schon mal das Doppelte. Kennen Sie den Frankfurter Markt, kennen sie auch unseren, und dazu kommt, dass die Stadt ein Weltzentrum der technischen Innovation ist. Auch Ingenieure müssen irgendwo wohnen, und weil die Baustelle so offensichtlich ist – und nebenan eine Schule für höhere Töchter – komme ich vermehrt mit potenziellen Mieterinnen und Mietern in Kontakt. Und lasse, das ist der Menschenversuch, natürlich auch fallen, dass wir den EEBUS natürlich in keinster Weise berücksichtigen können.

Den was?

Den EEBUS.

Kennen sie nicht.

Niemand kennt den EEBUS, obwohl er die moderne Kommunikationsschnittstelle des Internet of Things ist. So eine Art USB-Anschluss für Gerätekommunikation, und enorm wichtig, damit alle Geräte miteinander reden können, und natürlich per App steuerbar sind. Die frisch verbaute Heizung hat natürlich keine EEBUS-Schnittstelle, sage ich, und ernte ein

Aha.

So ein Aha, wie man es auch hört, wenn man gegenüber dem gemeinen Volk über stilistische Unterschiede zwischen Duccio di Boninsegna und Giotto di Bondone spricht. So ein “Oh Gott, ein Nerd, wie kann ich mich schnell aus dem Gespräch verabschieden”-Aha. Ich kriege dann die Kurve und erkläre, warum ich den EEBUS gerade nicht will: Das sei zwar Stand der Technik, aber man müsste eben jedes Gerät, das man steuern möchte, mit dieser Schnittstelle erwerben, und niemand wisse da wirklich, wo die Reise hinginge. Ich, betone ich, sei da ja nicht so, aber weil das eben ein grosses Thema ist, erwähne ich das eben. Nur zur Vorsicht.

Aha.

Tatsache ist, niemand, mit dem ich gesprochen habe, vom Geschäftemacher einer Asylunterkunft bis zum Fahrwerksentwickler, kannte das. Eine, in Zahlen 1 Person, die viel mit Programmierung zu tun hat, konnte den Begriff einordnen.

Wer überhaupt keine Ahnung davon hatte, waren dagegen die Handwerker. Unter anderem eben auch die Heizungseinbauer, die das Kernstück des angeblichen Smart Homes liefern: Die Heizung, deren ferngesteuerter Betrieb per App immer als Paradebeispiel der tatsächlichen Anwendung gilt. Der jungdynamische Singlemanager ruft nicht seine Nachbarn an, damit die nach seinem einwöchigen Trip zu den Produktionsanlagen von Vietnam rechtzeitig die Heizung aufdrehen. Er macht das per Smartphone aus Hanoi, damit es schön kuschelig ist, und er gleich nach der Ankunft in den vorgefüllten Jacuzzi steigen kann, während die Mikrowelle schon mal das georderte Conveniance Food erhitzt – so sieht die Vision aus. Die Praxis ist bei der Frage nach der Vernetzung des Boilers ein Kopfkratzen, und die Ansage, man werde da mal in der Firma fragen, ob und was es da gibt. Hinweis: Unsere Heizung kommt von einem anerkannt guten Fachbetrieb, und gefragt habe ich auch den Schornsteinfeger, den Kaminbauer, und die normalen Handwerker. Keiner kennt sich damit aus. Keiner machte den Eindruck, als ob er etwas damit zu tun haben wollte. Im Gegenteil, ich wurde gewarnt, man wisse ja nie, wie die Technik sich entwickle und wo die Reise hingeht.

Bei meiner Immobilie in München gab es übrigens jahrelange Debatten, ob man die Heizungen modern per Funk ablesen sollte, was inzwischen auch geschieht, aber bei meiner Immobilie am Tegernsee wehrt man sich nach Kräften gegen Umrüstung. Stromablesung am Tegernsee geht so, dass ein Brief kommt, in dem ein Formular ist, dann geht man in den Keller, liest selbst ab, schreibt die Zahl in das Formular und schickt es briefpostalisch zurück an den Anbieter, wo vermutlich eine Fachkraft das Geschmier entziffert und manuell über Tastatur in das Verwaltungssystem einträgt. Das ist Stand der Technik 2018 in einer der besten Wohnlagen des Landes. Es ginge sicher inzwischen anders. Der Druck, es zu ändern, ist nur nicht gross genug. Oder anders gesagt, der Gewinn durch die Einrichtung scheint die Kosten nicht zu rechtfertigen.

Wir hatten hier im letzten Herbst einen Wasserrohrbruch, und wenn man zwei Tage lang wieder Eimer in Wohnungen des 3. Stocks schleppt, merkt man, wie toll fließend Wasser ist – bis in die 50er Jahre war das bei weitem nicht Stand der Technik in vielen Altbauten. Vor ein paar Jahren erwischte es einmal die Stromversorgung im ganzen Komplex, und das macht das moderne Leben tatsächlich schwer. Die Telekom versagt seit über einer Woche beim Versuch, mir nach erfolgter Ankündigung neue Zugangsdaten für meinen Internetzugang am Tegernsee zu schicken. Das ist nachteilig. Und manche wollen tatsächlich Lautsprecher mit Rückkanal, die es erlauben, verbal von zu Hause aus Bestellungen aufzugeben – man wird sehen, ob das Bestand hat, oder sich die Privatinsolvenzen häufen. Aber bei diesen ganzen Smart-Home-Angeboten trifft die Innovation auf eine extrem kostensensible Kundschaft, die in ihrer ganz großen Mehrheit ohnehin schon japst, wenn sie Mieten und Kaufpreise hört, und in aller Regel am unteren Ende der eigenen Erwartungen einziehen muss. In der Realität trifft man auf Leute, die sich erst vor 6 Jahren einen neuen Herd und Kühlschrank geleistet haben, und keinesfalls alle technischen Geräte erneuern wollen. Das machen sie Stück für Stück, wenn Geräte obsolet werden, aber so lange müssten sie die grundsätzlichen Kosten für die Vernetzung des Hauses tragen. Wir als Vermieter könnten theoretisch Heizungssteuerung und elektrische Jalousien anbieten, der Rest müsste vom Mieter kommen. Wenn der Mieter es aber nicht nachfragt – und es tut wirklich niemand – machen wir das auch nicht. Und damit steigt auch der Mieter nicht mit ein. Diese verteilten Rollen sind der Unterschied zwischen dem Internet of Things und der Installation of Toilets oder der Heating of Rooms. Es müsste einen gemeinsamen Willen von Handwerkern, Besitzern und Mietern geben. Aber zwei von drei Beteiligten finden alles ohnehin schon viel zu teuer. Weshalb die Handwerker erst gar nicht das nötige Fachwissen haben.

Dazu kommt noch etwas anderes: Auch bei uns merkt man deutlich die gestiegenen Ansprüche an den verfügbaren Raum: so wenige Leute wie momentan werden auch nach der Sanierung weiter Teile des Anwesens nie pro Wohnung gelebt haben. Das Haus war früher ein gesellschaftlicher Kosmos mit diversen Älteren und Familien – heute leben hier durchwegs mitteljunge Menschen. Und seit drei, viel Jahren werden die Mülltonnen zu klein, obwohl wir Wertstofftrennung mit dem gelben Sack haben. Die simple Wahrheit ist, dass wir für Pizzakartons und ähnliche Essensverpackungen allein die ganze Papiertonne verbrauchen. Früher roch das ganze Haus am Mittag und am Abend nach Essen, heute merkt man es sofort, wenn doch mal jemand kocht. Kochen ist bei weitem nicht mehr alternativlos, es ist eine schwindende Kulturtechnik und wird im städtischen Raum – also dort, wo die jungen Innovativen leben – zunehmend als komplette Dienstleistung an Restaurants ausgelagert. Und die Ökoeinkäufer, die ich vom Wochenmarkt kenne, sind zumeist auch eher zukunftsfeindlich, angefangen bei der Impfung bis zur Freude, dass der McDonalds in der Innenstadt, dieser Schandfleck, jetzt endlich verschwindet. Die idealtypische SUV-Fahrerin mit gut verdienendem Mann, die nach dem Yoga ihre Tochter bei der Schule gegenüber abholt, indem sie mein Hoftor zuparkt, fährt nachher zu den fleißigen Italienerinnen, die hier Pasta machen, genau zu den Zeiten, wenn die Schule aus ist, und wirft die Nudeln daheim ins Wasser auf dem Induktionsherd. Genau diese Frauen wären aber auch die Innovationstreiberinnen, die ihre Männer auf die neuen Möglichkeiten hinweisen müssten. Ist das wirklich so begehrenswert wie zwei Wochen Wellnessurlaub, die wegen des Smart Homes eingespart werden müssten?

Ich weiß es nicht. Ich habe nur anekdotische Menschenexperimente gemacht und festgestellt, dass es in meiner kleinen, dummen Stadt an der Donau von den Handwerkern über mich bis zu den potenziellen Kunden weder Wissen noch Interesse am Smart Home und seinen Möglichkeiten gibt. Mag sein, dass es irgendwann kommt, weil es ohnehin überall verbaut ist, und jedes Gerät versucht, Daten über den Besitzer nach Hause zu funken. Da wird dann nicht mehr mit Geld, sondern mit Informationen – sofern es Internet gibt. Wie das Menschenexperiment des Smart Home Erfrierings jetzt bei mir am Tegernsee wäre, wo die Telekom meine Internetzugangsdaten nicht per Mail zu schicken in der Lage ist, will ich lieber gar nicht wissen, und streichle liebevoll mein manuelles Thermostatventil an der Heizung.