Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Wie uns Aktien reich machen

Aktionäre gelten als skrupellose Zocker. Dabei sind sie unverzichtbar für eine Volkswirtschaft. Von Daniel Mohr

Von Daniel Mohr

Aktien sind etwas Unanständiges. Man spekuliert nicht mit seinem Geld. Das gehört sich einfach nicht. Es riecht nach Habgier, und das ist nun mal eine der sieben Todsünden.

Die meisten Deutschen halten sich an diese gesellschaftliche Übereinkunft und meiden Aktien. Vielen mangelt es am Geld, anderen an der Zeit, aber etliche lehnen Aktien auch grundsätzlich ab. Die Deutschen verfügen im Durchschnitt über ein Geldvermögen von 60.000 Euro pro Person – insgesamt fünf Billionen Euro (ohne Immobilienbesitz!). Deutschen Aktiengesellschaften wird derzeit etwa ein Wert von 700 Milliarden Euro zugemessen. Nicht einmal die Hälfte davon ist jedoch in deutschem Besitz. Nur etwa 4 Prozent der Deutschen sind Aktionäre. Dies ist sowohl für die Deutschen als Anleger wie auch für die Deutschen als Arbeitnehmer, Rentner, Steuerzahler und Konsumenten von Nachteil.

Nachbau eines Schiffes der VOC in Amsterdam - Foto: AFPDer Anlegeraspekt ist schnell geklärt: Keine Anlageform ist so ertragreich wie die Aktie. Die Beteiligung am Produktivkapital hat auf lange Sicht über Dividenden und Kursgewinne eine Rendite von 7 bis 8 Prozent im Jahr erbracht. Dies ist mehr als bei allen anderen Anlageformen, allerdings muss der Anleger dafür auch ein höheres Risiko in Kauf nehmen. Einzelne Aktien werden nahezu wertlos, aber auch der gesamte Aktienmarkt war gerade in den vergangenen Jahren erheblichen Kursschwankungen unterworfen.

Um die Bedeutung der Aktie für Arbeitnehmer, Rentner, Steuerzahler und Konsumenten zu veranschaulichen, lohnt ein Ausflug in die Vereinigten Niederländischen Provinzen im frühen 17. Jahrhundert. Der Seeweg nach Indien war gefunden, allerdings beschwerlich und mit enormen Risiken behaftet. Ein einzelner Kaufmann war kaum in der Lage, eine Schiffsflotte zu finanzieren. Zumal die Fahrt oft Jahre dauerte und völlig unklar war, ob die Schiffe jemals zurückkehrten. 1602 wurde deshalb die Vereinigte Ostindienkompanie (VOC) gegründet. Jeder Bewohner der sieben niederländischen Provinzen konnte sich daran beteiligen. Viele machten davon Gebrauch, da der Handel mit begehrten Gewürzen aus Asien wie Zimt, Nelken, Muskat und Pfeffer als lukrativ galten. 1143 Anteilseigner hatte die VOC alsbald und sammelte somit mehr als 6 Millionen Gulden längst nicht nur unter Kaufleuten ein. Es folgten enorm erfolgreiche Jahrzehnte und der wirtschaftliche Aufstieg der Niederlande, oft auch als deren Goldenes Zeitalter bezeichnet.

Der Gründung der ersten Aktiengesellschaft folgte die Etablierung der ersten Aktienbörse der Welt in Amsterdam. Kapitalanleger aus ganz Europa zog es dorthin. Die Vereinigte Ostindienkompanie mit ihrer breiten Kapitalbasis beherrschte alsbald den gesamten Handel in Ostindien und begründete damit den Reichtum der Niederlande. Nicht nur die Anteilseigner der VOC wurden reich, sondern die gesamte Bevölkerung profitierte.

Die geniale Idee der Aktiengesellschaft fand fortan immer mehr Anhänger und beförderte wesentlich die Industrielle Revolution. Kaum jemand hätte je alleine den Eisenbahnbau finanzieren können, zumal dies eine Investition in eine neue und kaum erprobte Technologie war. Erst die Verteilung des finanziellen Risikos auf viele Schultern brachte genügend Kapital für diese bedeutsamen Infrastrukturprojekte zusammen. Einige Investoren wurden damit reich, wie der als Eisenbahnkönig bekannt gewordene Cornelius Vanderbilt. Aber auch die Volkswirtschaften profitierten enorm von dieser neuen Transportmöglichkeit für Kohle und Stahl.

Aber nicht nur bei Infrastruktur-Großprojekten wie dem Eisenbahnbau oder auch zahlreichen Ölprojekten, mit denen zum Beispiel John Rockefeller sein Vermögen machte, war das Kapital vieler Anteilseigner gefragt. Oft galt es auch genügend Geldgeber für die Umsetzung von Erfindungen aufzutreiben. Hier war nicht so sehr der große Kapitalbedarf das Problem, sondern das Zutrauen in die Marktfähigkeit von Erfindungen. Ohne das Kapital vieler Aktionäre wären etliche Erfindungen nie zur Marktreife gelangt. General Electric, American Telephone & Telegraph Company (AT&T), Siemens oder Ford sind bekannte Aktiengesellschaften, die um 1900 entstanden und deren Gründung ein erheblicher technischer Fortschritt zu verdanken ist. Später folgten die Börsengänge von IBM, SAP, Apple, Amazon oder Google, die mit dem Geld der Aktionäre erhebliche Werte geschaffen haben und damit auch ihren Volkswirtschaften dienlich waren.

Die Beispiele zeigen den erheblichen Nutzen der Aktie als Finanzierungsinstrument für Unternehmen, als erfolgreiche Kapitalanlage und als Motor für Fortschritt und Wohlstand. Es soll jedoch nicht verschwiegen werden, dass etlichen Aktiengesellschaften ein solcher Erfolg nicht beschieden war. Viele Erfindungen setzten sich nicht durch oder Geschäftsmodelle waren nicht tragfähig. Zuletzt zu beobachten war dies zu Zeiten des Neuen Markts um die Jahrtausendwende. Von Hunderten Börsenneulingen waren letztlich nur wenige erfolgreich.

Börsengang von Williams in Frankfurt - Quelle: dapdMittlerweile sind deshalb immer weniger Anleger bereit, einem Kapitalmarktneuling Geld zur Verfügung zu stellen. Die Zahl der Börsengänge ist gerade in Deutschland besonders stark zurückgegangen. Und wenn einmal ein Unternehmen in Frankfurt an die Börse geht, wird oft die Mehrzahl der Aktien von Ausländern gekauft und fast keine von deutschen Privatanlegern. Zwar leiden deutsche Unternehmen nicht unter einem Mangel an Risikokapitalgebern, die volkswirtschaftlich wünschenswerte breite Beteiligung der deutschen Bevölkerung über Börsengänge fristet jedoch ein Schattendasein.

Ein solch skeptisches Kapitalmarktumfeld macht Innovationen und damit Fortschritt und Wachstum in einer Volkswirtschaft nicht leichter. Vielleicht wären Eisenbahnschienen, Telefonnetze und Autofabriken in einem solchen Umfeld nie gebaut worden. Damals galten Aktionäre nämlich noch nicht als skrupellose Zocker, sondern als willkommene Risikokapitalgeber.

 

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