Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Der Grieche zieht nicht gerne um: Die Theorie optimaler Währungsräume

Die Theorie optimaler Währungsräume passt auf die Vereinigten Staaten, aber nicht auf Europa. Von Patrick Welter.

Von Patrick Welter

Im Jahr der griechischen und anderer Tragödien in Euroraum entbehrt dieses Jubiläum nicht der Ironie: Vor fünfzig Jahren veröffentlichte der amerikanische Ökonom und spätere Träger des Nobel-Gedenkpreises für Wirtschaftswissenschaften Robert Mundell seinen berühmten Aufsatz über eine Theorie optimaler Währungsräume. Mundell, ein begeisterter Befürworter des Euro, der am liebsten eine Weltwährung hätte, gilt in Amerika vielen als geistiger Vater der Währungsunion. Das ist wie so vieles in den Vereinigten Staaten ein wenig hochgegriffen. Unbestritten aber ist, dass er eine wissenschaftliche Diskussion anstieß, die die Debatte um den Euro befruchtete.

Illustration: Alfons HoltgreveMundell ging es in seinem Aufsatz eigentlich nicht um eine Währungsunion mit einer einzigen Notenbank und einer einheitlichen Geldpolitik. Seine Analyse zielte auf die Frage der Vorteilhaftigkeit flexibler oder fester Wechselkurse zwischen Ländern mit eigenständigen Notenbanken. Das Kernargument aber gilt auch in einer vollständigen Währungsunion, wie die Europäer sie 1998 in Gang setzten. Unter klassisch keynesianischen Annahmen, gemäß denen Preise und vor allem Löhne nicht fallen können, entwarf Mundell diesen Gedanken: Bricht die Wirtschaft eines Landes ein, wirkt der Wechselkurs wie ein Scharnier, um eine ausgeglichene Entwicklung zwischen den Ländern zu erleichtern. Weniger Güter werden importiert und die Währung wertet ab. Das stützt den Export und hilft dem Land, die Rezession zu überwinden. Entfällt die Flexibilität der Wechselkurse zwischen zwei oder mehr Ländern, bedarf es anderer Mechanismen, um überall eine gedeihliche Entwicklung herbeizuführen.

In einer Währungsunion fehlt die Flexibilität des Wechselkurses zwischen den Mitgliedsländern. Mundell zeigte einen Ausweg: Wenn die Menschen hinreichend mobil sind, werden Arbeitslose aus den schwächeren in die wirtschaftlich stärkeren Länder wandern und so die Anpassung erleichtern. In Amerika sind solche Umzüge in einen anderen Bundesstaat guter Brauch. In Europa aber ist diese Voraussetzung offensichtlich nicht gegeben. Die griechische Tragödie der hohen Arbeitslosigkeit – nicht das Drama um die maroden Staatsfinanzen – löste sich sonst ganz einfach dadurch, dass arbeitslose Griechen etwa nach Deutschland auswanderten. Von solch einem Exodus ist nichts zu sehen. Und ob die Deutschen einen Massenzuzug von Griechen akzeptierten, ist noch eine ganz andere Frage. Jedenfalls dürften die Sprachbarrieren noch für Jahrzehnte dafür sorgen, dass die Mobilität zwischen den Euro-Staaten recht gering bleiben wird.

Die nach Mundell scheinbar schmerzlosere Anpassung durch bewegliche Wechselkurse verdankt sich einer Täuschung. Mit der Abwertung einer Währung verringert sich die Kaufkraft der Inländer, weil sie für importierte Güter mehr zahlen müssen. Nominal erhalten sie denselben Lohn wie zuvor, real wird ihre Lohntüte leerer. Mit den real niedrigeren Löhnen steigt die Wettbewerbsfähigkeit der Arbeiter; das erleichtert den Weg aus dem Wirtschaftseinbruch und der Arbeitslosigkeit. Die glattere Anpassung gründet in der Theorie darin, dass die Lohnarbeiter unter Geldillusion leiden und die reale Lohnsenkung nicht bemerken. Spürt die Bevölkerung sie doch und setzt Lohnsteigerungen durch, verpufft die Wirkung der Abwertung. Dieser Gedanke bedeutet für die Griechen zweierlei: Zum einen könnten sie ihre Lage verbessern, wenn sie niedrigere Löhne zulassen – was Mundell in seinem Modell per Annahme ausschloss. In der Sprache der Euro-Retter heißt das heute “interne Abwertung” oder “Flexibilität des Arbeitsmarktes” und bedeutet, für Jahre zumindest auf Lohnsteigerungen zu verzichten. Deutschland hat dies vorexerziert, als in den Jahren vor der Krise die Wirtschaft lahmte. Zum anderen zeigt die Theorie, dass auch ein Austritt aus dem Euroraum und die Abwertung der neuen Drachme für die Griechen kein Zuckerschlecken wäre: Die Löhne würden real dennoch fallen. Die offene Frage ist, ob die Griechen eine versteckte Lohnentwertung durch eine Abwertung der neuen Drachme leichter hinnähmen als einen direkten Lohnverzicht innerhalb des Euroraums.

Die politisch brisanteste Fortentwicklung von Mundells Theorie ist die von Peter Kenen 1969 aufgebrachte These, eine starke fiskalische Zentrale könne mit Umverteilung zwischen den Mitgliedstaaten einer Währungsunion den Wegfall der Wechselkurse zum Teil ersetzen. Zentralisierungswütigen Euro-Europäern ist das Musik in den Ohren. Als Vorbild gelten die Vereinigten Staaten. Dort bremst die Bundesregierung mit ihrem progressiven Steuertarif die Wirtschaft in kräftig wachsenden Bundesstaaten und begünstigt sie relativ in schwächeren Bundesstaaten. Hinzu kommen milde Gaben etwa in Form von Finanzhilfen für die Arbeitslosenunterstützung. Beim Euro-Drama empfehlen viele amerikanische Ökonomen deshalb eine umverteilende Fiskalunion. Irgendwas müssen sie da falsch verstanden haben. Die Empfehlung, die Euro-Partner sollten mehr Geld für Griechenland hergeben, steht im krassen Gegensatz zur amerikanischen Politik.

Mundell und Kenen zielten auf den Ausgleich konjunktureller Unterschiede, nicht aber auf den griechischen oder italienischen Fall der Überschuldung eines Staates. Die Theorie vom optimalen Währungsraum ist eine Theorie des Ausgleichs moderater und üblicher Wirtschaftsschwankungen. Sie ist kein Freibrief für das Herauspauken einer Regierung aus einem selbstverschuldeten, drohenden Staatskonkurs.

Robert Mundell: A Theory of Optimal Currency Areas. The American Economic Review, Bd. 51, 1961, Seiten 657 – 665.

Dieser Beitrag ist der “Sonntagsökonom” aus der F.A.S. vom vergangenen Sonntag.

 

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