Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Der Kapitalismus bringt Frieden! Aber: Funktioniert das auch mit China?

Die Marktwirtschaft zivilisiert die Völker. Das wusste schon Karl Marx. Statt der Artillerie sollten besser die Preise und Kurse donnern. China wird Amerika nicht militärisch, sondern finanziell dominieren. Von Philip Plickert

Die Marktwirtschaft zivilisiert die Völker. Das wusste schon Karl Marx. Statt der Artillerie sollten besser die Preise und Kurse donnern. China wird Amerika nicht militärisch, sondern finanziell dominieren.

Von Philip Plickert

Absoluten, ewigen Frieden gibt es nur auf dem Friedhof. Das wollte Immanuel Kant wohl mit dem Titelbild zu seiner berühmten Schrift ironisch signalisieren. Darauf zeigte er das Schild eines holländischen Wirtshauses mit dem Namen „Zum ewigen Frieden” – und darunter das Bild eines Friedhofs. Die kalte Grabesruhe kann und wird aber nicht das Ziel einer lebendigen und konfliktreichen Welt sein. Kants Schrift von 1795 skizzierte stattdessen völkerrechtliche und institutionelle Prinzipien (republikanische Verfassung, Weltbürgerrecht und Föderalismus freier Staaten), die der inneren und internationalen Friedenssicherung dienen sollten.

Immanuel Kant - Quelle: Wikimedia CommonsWeniger beachtet ist, dass der Königsberger auch ein Vordenker dessen war, was man heute die Theorie des „kapitalistischen Friedens” nennt. Kant sprach vom „Handelsgeist”, der sich früher oder später „jedes Volks bemächtigen” werde. Dieser Handelsgeist könne „mit dem Kriege nicht zusammen bestehen”. Der ökonomische Austausch mindere die Wahrscheinlichkeit von Kriegen, meinte Kant. Hinzu kommt, dass Kriege schlicht zu teuer werden können. Kant sagte voraus, dass „die Geldmacht” – und nicht die „Moralität” – die Staaten dazu bringen werde, Kriege durch Verhandlungen zu vermeiden.

Etwas verkürzt lautet die These: Freie Märkte, Handel und finanzielle Verflechtung (vulgo Kapitalismus) erziehen zum Frieden. Das Argument findet sich in Ansätzen schon bei Montesquieu, verstärkt bei Bentham und Mill. Mit besonderem Nachdruck vertrat es Richard Cobden, der große Freihandelsaktivist und Begründer der „Manchester Bewegung” Mitte des neunzehnten Jahrhunderts: „Sollte Krieg zwischen zwei großen Nationen ausbrechen, dann habe ich keinen Zweifel, dass der immense Materialverbrauch und die rapide Zerstörung von Vermögen den Effekt haben werden, die Kombattanten sehr schnell zur Vernunft zu bringen oder aber ihre Ressourcen zu erschöpfen”, schrieb Cobden.

Tatsächlich war das lange neunzehnte Jahrhundert von 1815 bis 1914, die Hochzeit der ersten Industrialisierung, des internationalen Freihandels und des unregulierten Kapitalismus, auch eine Zeit relativ stabilen Friedens in Europa, jedenfalls verglichen mit den verheerenden Völkerschlachten der napoleonischen Kriege und des Ersten und Zweiten Weltkrieges.

Und heute: Kapitalismus bringt Frieden? „Großer Unsinn!”, schreien da die Marxisten. Der Kapitalismus selbst bringe den Krieg hervor – meist in der Form kolonialistischer Expansion, sind Linke überzeugt. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts hat Lenin dazu die passende „Imperialismus”-Theorie (von J. A. Hobson) weiterentwickelt: Demnach tendiert der Kapitalismus zur Überproduktion, weil die verarmten und ausgebeuteten Arbeiter sich die massenhaft maschinell produzierten Güter nicht mehr leisten können. Um die Überproduktion loszuwerden, suchen die kapitalistischen Staaten neue Absatzgebiete und erobern dafür Kolonien, die sie als Ersatzausbeutungsgebiete unterdrücken.

Karl Marx - Quelle: Wikipedia CommonsBei den kommunistischen Urvätern Marx und Engels war noch eine widerwillige Bewunderung für die zivilisatorische Wirkung der kapitalistischen Expansion zu spüren: „Die Bourgeoisie reißt durch die rasche Verbesserung aller Produktions-Instrumente, durch die unendlich erleichterten Kommunikationen alle, auch die barbarischsten Nationen in die Civilisation”, schrieben Marx und Engels im „Kommunistischen Manifest”. Und weiter: „Die wohlfeilen Preise ihrer (der Bourgeoisie) Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt, mit der sie den hartnäckigsten Fremdenhass der Barbaren zur Kapitulation zwingt.”

Mao - Quelle: Sven SimonHeute schießt China mit billigen Preisen zurück. Das Reich der Mitte, das sich im zwanzigsten Jahrhundert unter Mao auf einen kommunistischen Weg begab, der geschätzt mehr als 30 Millionen Tote allein durch die Hungersnot beim „großen Sprung nach vorn” brachte, hat seit Maos Tod 1976 unter der Führung von Deng Xiaoping den Kapitalismus entdeckt. Dreißig Jahre nach dem Massaker an protestierenden Studenten auf dem „Platz des himmlischen Friedens” ist China noch immer eine Diktatur, nur kann sie es sich nicht mehr so einfach leisten, die Wünsche ihrer aufstrebenden Mittelschicht brutal plattzuwalzen. Peking muss langsam, aber sicher etwas mehr Liberalität und Partizipation zulassen.

Wohl schon am Ende dieses Jahrzehnts wird Chinas Wirtschaftsleistung die der Vereinigten Staaten übertreffen. Zugleich steht China aber unter starken inneren Spannungen: den Gegensätzen zwischen Arm und Reich, zwischen den Metropolen an der Ostküste und dem zurückgebliebenen Provinzen im Landesinneren. Am Dauerkonflikt mit Taiwan könnte sich eine große Auseinandersetzung mit dessen Verbündeten Amerika entzünden. Damit es im 21. Jahrhundert nicht zu einem verheerenden Krieg zwischen China und Amerika (und vielleicht auch noch Indien) um die globale Vorherschafft kommt, kann man nur hoffen, dass der Kapitalismus wirklich eine pazifierende Wirkung hat.

Die Frage lässt sich auf dem Gebiet der Theorie und der Ideologien nicht entscheiden. Da steht Meinung gegen Meinung. Aber man kann sich ihr empirisch-statistisch nähern. Ganze Herrscharen von Konfliktforschern haben dazu in riesigen Datenbanken die historischen Erfahrungen von Krieg und Frieden gesammelt und dann für die verschiedenen Staaten statistische Tests zum Einfluss möglicherweise kausaler Variablen durchgeführt. Die einen Forscher verweisen vor allem auf den Faktor Demokratie, die anderen verweisen auf Kapitalismus, Handel und finanzieller Verflechtung. Als Kontrollvariablen dienen weitere Faktoren wie gemeinsame (potentiell umstrittene) Grenzen, geografische Distanz, Großmachtstatus, Potential des Militärapparats, Verfügbarkeit von Atomwaffen. Zudem wird nach konfliktträchtigen Regionen wie Afrika und Asien oder dem heute stabilen Europa unterschieden.

Mehr und mehr Studien kommen zu dem Ergebnis: Ja, kapitalistische Staaten verhalten sich tendenziell friedfertiger als nicht-kapitalistische. Das zeigt etwa der Politikwissenschaftler Erik Gartzke in einer Studie über die Zeit nach 1945. Der Faktor „Kapitalismus” ist sogar stärker als der Faktor Demokratie, der in der politikwissenschaftlichen Forschung sonst betont wird (aber nur im Verhältnis von Demokratien miteinander; sogenannter „dyadic democratic peace”). Der Bonner Soziologe und Politologe Erich Weede betont in einer aktuellen Überblickstudie, dass der „kapitalistische Friede” den „demokratischen Frieden” umschließt und ihm überlegen ist. Die Demokratie folgt aus den Partizipationswünschen einer breiteren Mittelschicht, deren Aufstieg in der kapitalistischen Dynamik begründet ist.

New York - Quelle: dapdFrüher führten oft Territorialstreitigkeiten zu Kriegen. Ein Fürst oder Diktator versuchte dem anderen (rohstoff-)reiche Gebiete zu rauben. Gartzke argumentiert dagegen: Im entwickelten Kapitalismus verlieren die alten Produktionsfaktoren Land, natürliche Rohstoffe und körperliche Arbeit an Bedeutung. Wichtiger werden Wissen und Technologien. Diese Faktoren sind aber nicht so einfach zu erobern, weil sie in den Köpfen der Menschen stecken. Humankapital lässt sich nur schwer rauben.

Mindestens ebenso wichtig ist der Einfluss des mobilen Finanzkapitals, argumentiert Gartzke: „Staaten mit Volkswirtschaften, die in die globalen Märkte integriert sind, sehen sich autonomen Investoren gegenüber, die Anreize haben, ihr Kapital von Risiken wegzubewegen.” Im Klartext: Droht ein Krieg, flüchtet das internationale Kapital. Schon kriegerische Drohungen können zu Markterschütterungen führen. Die Kapitalmärkte signalisieren säbelrasselnden Führern als ein deutliches „Nein!”. Diese Aussage steht im Widerspruch zur alten zynischen Börsenweisheit, man solle kaufen, wenn die Kanonen donnern.

Schanghai - Quelle: dpaWas ist nun mit der Auseinandersetzung zwischen den beiden Atommächten China und Amerika um die globale Vorherrschaft? Peking wäre schön blöd, wenn es statt des kapitalistischen den militärischen Weg beschreiten würde. Mit einem Krieg gegen Amerika würde Peking sein eigenes Portfolio zerschießen. Die nominell noch kommunistische Diktatur hat inzwischen mehr als 3 Billionen Dollar Devisenreserven angehäuft, davon hält sie fast die Hälfte in amerikanischen Staatsanleihen. China ist der größte Gläubiger der Vereinigten Staaten. Ein Krieg des Gläubigers mit dem Schuldner würde diese Werte vernichten. Es lohnt sich schlicht nicht.

Der Kapitalismus führt also zu finanziellen Verflechtungen, so dass Kriege unwahrscheinlicher werden. Zweifelhafter scheint hingegen der Erfolg der „Demokratie bringt Frieden”-These. Deren Anhänger, vor allem die amerikanischen Neokonservativen, haben diese These in der Zeit der Bush-Regierung als Rechtfertigung für den Irak-Krieg und weiteren „Regime Change” propagiert: Wenn erst der gesamte Nahe Osten (durch Kriege) demokratisiert sei, werde die Gefahr weiterer Kriege sinken. Auch in Afghanistan wird versucht, eine Stammesgesellschaft in eine westliche Demokratie umzuwandeln.

George Bush auf dem Flugzeugträger - Quelle: APDie jüngsten Demokratie-Kreuzzüge haben höchst zweifelhaften Erfolg gebracht, stellen Gartzke und Weede fest. Demokratie als pazifizierender Exportartikel ist ihnen eher suspekt (auch Kant propagierte übrigens nicht unbedingt Massendemokratie, sondern Republikanismus). Aussichtsreicher sei es, auf die Strahlkraft des Kapitalismus zu setzen, meinen Gartzke und Weede. „Die pazifizierenden Vorteile der Demokratie haben die Taliban und Saddam Hussein nicht überzeugt, dass sie zurücktreten sollten”, schreibt Weede. „Im Gegensatz dazu breitet sich der Kapitalismus durch die Kraft des erfolgreichen Beispiels aus. Die chinesische und die vietnamesische kommunistischen Parteien haben ihn angenommen, weil ihr Patriotismus sie davon abgebracht hat, sich länger mit der Gleichheit in Armut zu begnügen”.

Der Kapitalismus wird wohl nicht den ewigen Frieden bringen, dazu ist er zu dynamisch und unruhig. Aber wenn sich die Nationen auf Regeln für einen wirtschaftlichen statt eines militärischen Wettstreits einigen, weil dieser mehr Profit verspricht, dann wäre für die Vermeidung von Kriegen im 21. Jahrhundert extrem viel gewonnen.

 

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