Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Deutsche Dominanz ist gut – Wie ein Hedgefonds-Manager aus London den EU-Gipfel sieht

Das deutsche Beharren auf langfristigen Lösungen für die Staatsschuldenkrise ist richtig. Der jüngste EU-Gipfel war ein Sieg für Angela Merkel, und das ist gut für Europa. Diese provozierenden Äußerungen stammen von einem angesehenen Londoner Hedgefonds-Manager. Sie belegen, dass keineswegs die gesamte englischsprachige Finanzwelt in einer vorsintflutlichen Version von Keynesianismus gefangen ist. Von Gerald Braunberger

Das deutsche Beharren auf längerfristigen Lösungen für die Staatsschuldenkrise ist richtig. Die amerikanische Praxis, alle Probleme mit kurzfristiger Makropolitik lösen zu wollen, ist falsch. Der jüngste EU-Gipfel ist ein Sieg für Angela Merkel gewesen, und das ist gut für Europa. Diese (provozierenden) Äußerungen stammen von einem in der internationalen Finanzbranche sehr angesehenen und viel gelesenen Hedgefondsmanager mit Sitz in London und belegen, dass keineswegs die gesamte englischsprachige Finanzwelt in einer vorsintflutlichen Version von Keynesianismus gefangen ist.

Von Gerald Braunberger

Stephen L. Jen ist gebürtiger Chinese. Er hat einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) und als Ökonom unter anderem für die Weltbank gearbeitet. Mitte der neunziger Jahre wechselte er zur amerikanischen Investmentbank Morgan Stanley, in der er es zum Leiter der Abteilung für die Analyse von Währungen brachte. Danach ging er in die Hedgefondsbranche. Seit einigen Monaten leitet Stephen L. Jen in London mit SLJ Macro Partners seinen eigenen Hedgefonds. Er veröffentlicht in unregelmäßigen Abständen Betrachtungen zu ökonomischen Fragen und zur Lage an den internationalen Finanzmärkten, die in der Fachwelt große Aufmerksamkeit finden. Ich kenne Stephen seit mehreren Jahren und schätze ihn außerordentlich als einen Gesprächspartner, der über die glückliche Gabe verfügt, ökonomisch-theoretisches Wissen mit einer exzellenten Kenntnis der Finanzmärkte und ihrer Teilnehmer zu verbinden. Die nachfolgenden, von mir in Thesenform zusammengefassten Betrachtungen stammen aus seiner neuesten Analyse und beziehen sich auf den jüngsten EU-Gipfel.

Stephen L. Jen, Foto: FFF1. Der jüngste EU-Gipfel war unter den letzten 15 der erste, der sich nicht “keynesianisch” damit befasste, Geld aufzutreiben, das man in Löcher von Schuldenstaaten gießen kann. Er war der erste, der sich mit institutionellen Schwächen und finanzpolitischer Laxheit befasste. In diesem Sinne war der jüngste Gipfel ein Erfolg, ein “ideologischer Sieg” für Deutschland und, langfristig betrachtet, ein Schritt in die richtige Richtung.

2. Daraus folgt: “Deutsche Dominanz ist gut.”. Oder: “Je ‘deutscher’ eine Vereinbarung ist, umso besser ist sie für die Währungsunion in langer Frist.” Potentielle Käufer europäischer Staatsanleihen wollen wissen, ob sich die Regierungen langfristig solide verhalten. Die Frage, ob Rettungsfonds ausreichend sind, ist alleine nicht so wichtig, weil viele dieser Investoren (z.B. Pensionsfonds, Lebensversicherungen und Zentralbanken) auf den langfristigen finanzpolitischen Ausblick immer mehr Wert legen als auf kurzfristige Vereinbarungen.

3. Der Gipfel hat sich auf eine gehärtete Version des Stabilitäts- und Wachstumspakts geeinigt. Es handelt sich nicht um eine Fiskalunion oder Transferunion per se. “Das ist aus meiner Sicht ein Schritt in die richtige Richtung, aber noch weit von der ‘ganzheitlichen” Lösung wie einer Fiskalunion entfernt, die man schlussendlich benötigt.” In den kommenden Monaten muss man sich auf schwierige Debatten über die Umsetzung der Gipfelbeschlüsse einstellen. Stephen vertritt seit langem die Ansicht, dass die Probleme der Peripherieländer in allererster Linie von diesen Ländern selbst angegangen werden müssen.

4. Weil keine Fiskalunion beschlossen wurde, dürfte S&P in den kommenden Tagen mehrere der bisher 6 mit AAA-bewerteten Länder herabstufen, darunter Frankreich, das seit 1975 das Spitzenrating besitzt.

5. Eine Rezession und ein “Deleveraging” der Banken liegen vor uns, wenn alles richtig umgesetzt wird. Dies dürfte Druck auf die Renditen von Bundesanleihen ausüben und wichtiger sein als eine Herabstufung durch S&P. Auch in den Vereinigten Staaten sind seit der Herabstufung die Renditen gesunken.

6. Die Finanzmärkte haben die EZB missverstanden, als sie darauf setzten, dass die EZB als Belohnung für die Beschlüsse des EU-Gipfels mehr Staatsanleihen kaufen wird. Wenn es der EZB darum geht, Fehlverhalten (“moral hazard”) der Regierungen zu verhindern, sollte die EZB solange ihre Anleihekäufe nicht deutlich vergrößern, wie die Regierungen die beschlossenen Maßnahmen nicht umgesetzt haben.

7. Die EZB könnte im Falle einer tiefen Rezession ihre Käufe von Assets deutlich ausweiten, wenn die übrigen Möglichkeiten einer geldpolitischen Lockerung wie Zinssenkungen verbraucht sind. Die EZB könnte die Assetkäufe dann als Bestandteil einer geldpolitischen Strategie begründen mit dem Ziel, die Renditestrukturkurve abzuflachen. Allerdings ist es sehr unklar, ob die EZB zu solchen Maßnahmen schreiten würde, solange die Fed nicht mit einer dritten Lockerungsrunde (“QE3”) beginnt.

8. Der amerikanische Ansatz, die Probleme kurzfristig durch expansive Makropolitik zu bekämpfen, mag zunächst einmal funktionieren, weil er an den Finanzmärkten gut ankommt. Langfristig ist aber vermutlich das Gegenteil der Fall, weil kurzfristige Stabilität die Politik davon abhält, notwendige harte Entscheidungen zu vermeiden. “Ich stehe fest auf der Seite der Deutschen und glaube, dass die Geschichte kein gutes Urteil über die Neigung fällen wird, alle Probleme mit grenzenlosem Keynesianismus lösen zu wollen.”

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