Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Banken müssen’s immer übertreiben

Geldhäusern geht es besonders gut im Boom und besonders schlecht in der Krise. Was tun? Der Sonntagsökonom von Lisa Nienhaus

Geldhäusern geht es besonders gut im Boom und besonders schlecht in der Krise. Was tun?

Von Lisa Nienhaus

Die Konjunktur ist schwierig vorherzusehen. Konjunkturforscher genießen deshalb nicht den besten Ruf. Trotzdem gibt es zwei Arbeitgeber, die sich eine wahre Horde von Konjunkturforschern halten: den Staat und die Banken.

Illustration: Alfons HoltgreveLetzteres ist kein Zufall, denn kaum eine Branche reagiert so sensibel auf Boom und Krise wie die Finanzwelt. Das sieht man in guten Zeiten, wenn die Bankmanager Gewinnziele verkünden, die anderen Branchen utopisch vorkommen. Und das sieht man in schlechten Zeiten: Lehman, die Euro-Krise – immer sind es die Banken, die die größte Sorge bereiten und die größten Hilfen benötigen.

Der Grund ist simpel. Banken reagieren arg sensibel auf die Konjunktur, sie sind übertrieben prozyklisch. Im Boom interessiert das höchstens diejenigen, die den Bankern ihre hohen Boni neiden. Doch in der Krise ist das anders. Wenn jetzt wieder einmal die Banken gerettet werden müssen, nachdem sie doch erst 2007/2008 Milliardensummen brauchten, dann ist auch der normale Bürger empört. Er fragt sich: Fehlt hier nicht einfach die richtige Regulierung?

“Banken an die Leine” ist die naheliegende Forderung. Charles Goodhart, emeritierter Ökonom der London School of Economics, fragt, ob das geht: “Ist ein weniger prozyklisches Finanzsystem ein erreichbares Ziel?” (Link zum unbearbeitetn Manuskript). Das Bankgeschäft ist leider von Natur aus prozyklisch. Das ist schon im gewöhnlichen Geschäft, etwa der simplen Kreditvergabe, angelegt. Im Aufschwung werden Bankrotte seltener und Kredite samt Zins zurückgezahlt – die Banken machen mehr Gewinn. Im Abschwung gilt das Gegenteil: Bankrotte und Zahlungsausfälle bescheren den Banken Verluste. Das kann so schnell gehen, dass es ihre Existenz bedroht.

Diese “natürliche Prozyklizität” akzeptiert Goodhart aber nicht als Entschuldigung dafür, dass Regulatoren sich zurücklehnen können. Denn gerade nach den Erfahrungen der Finanzkrise gilt: “Es gibt ein Bedürfnis danach, eine Politik zu vermeiden, die schadet, indem sie die natürliche Prozyklizität des Finanzsystems verstärkt.” Die Frage aller Fragen dabei lautet allerdings: Wie soll das gehen? Goodhart stellt zu Recht fest: “Wenn es so einfach wäre, Methoden zu entwickeln, die die Zyklizität des Finanzsystems ohne teure Nebenwirkungen begrenzen, dann gäbe es sie längst.”

In sechs Bereichen wurden in den vergangenen Jahrzehnten Regeln geschaffen, die dazu führten, dass Banken noch sensibler auf den Konjunkturzyklus reagieren als zuvor: Kapitalanforderungen, Liquiditätsvorschriften, Entlohnung der Banker, direkte Einschränkungen des Bankgeschäfts, Regulierung des Immobilienmarktes, der stark mit dem Bankgeschäft verflochten ist, und Moral Hazard.

Sollen wir also alles wieder zurückfahren und Banken regulieren wie vor 50 Jahren? Goodhart findet: nein. Stattdessen untersucht er die Gegenmittel, die derzeit diskutiert werden, um die starke Prozyklizität des Bankwesens einzudämmen. Einige der gängigen Ideen hält er dabei für verfehlt: zum Beispiel den Vorschlag, Banken zu zerschlagen, so dass sie kleiner sind und man sie leichter pleitegehen lassen kann. Die Idee dieses Vorschlags ist, dass man damit die Banken davon abschreckt, in guten Zeiten zu hohe Risiken einzugehen, die ihnen in schlechten Zeiten Probleme bereiten – denn sie können nicht darauf vertrauen, dass der Steuerzahler sie im Zweifel rettet.

Goodhart glaubt nicht, dass das funktioniert. Er beruft sich auf die Zeit der Großen Depression. Damals gingen in Amerika mit seinen vielen kleinen Banken zahllose Geldhäuser pleite, während oligopolistische Systeme in anderen Ländern der Krise besser standhielten. Die kleinen Banken hatten keinesfalls besser vorgesorgt als die großen.

Für ebenso unsinnig hält Goodhart die Idee, die Institutionen zu beschränken, die im Notfall Hilfe vom Staat erhalten. Denn das führt in guten Zeiten dazu, dass Geschäft in den unregulierten Sektor geht. In schlechten Zeiten aber drängt es zurück in den regulierten Sektor, weil er abgesichert ist, und verstärkt die Krise.

Für weitaus bedenkenswerter hält er Vorschläge, die die Entlohnung der Banker betreffen. Die Bezahlung der Bankmanager wurde in den vergangenen Jahrzehnten so angepasst, dass die Manager Anreize bekamen, stärker den Interessen der Bankaktionäre zu folgen. Ein großer Fehler, findet Goodhart. Das führte dazu, dass die Banker bereit waren, weitaus höhere Risiken einzugehen als zuvor, denn – das weiß der Bankeigner – bei hohen Verlusten haftete ja im Zweifelsfall der Steuerzahler.

Je höher das Risiko aber, desto volatiler das Geschäft und desto stärker die Reaktion der Bank auf Auf- und Abschwünge, also die Prozyklizität. Goodhart ist sich sicher: “Der wichtigste Faktor, um das Risikoprofil einer Bank zu bestimmen, sind die Anreize, die das Topmanagement durch seine Entlohnung bekommt.” Er findet, dass die Regulierer, die sich bisher beim Thema Entlohnung zurückgehalten haben, über ihren Schatten springen und sich einmischen sollten. Bankmanager sollten so entlohnt werden, dass sie stärker in Haftung genommen werden können, wenn etwas schiefläuft. Allerdings glaubt Goodhart nicht daran, dass die Politiker das durchsetzen werden. Zu schwierig sei der Kampf gegen die Bankerlobby.

Es bleiben noch zwei Vorschläge, die umsetzbar sind. Erstens, dass der Staat die prozyklischen Effekte seiner bisherigen Regulierung entschärft und die Kapitalkosten für die Banken so verändert, dass sie gegen den Konjunkturzyklus wirken. Zweitens, dass der Staat sich stärker als Versicherer der Banken begreift – und sie für diese Versicherung auch bezahlen lässt. Im Idealfall geben die Banken in guten Zeiten dem Staat genau so viel Geld, wie er in schlechten Zeiten aufwenden muss, um sie zu retten.

Diese Versicherungslösung ist in Amerika populär. Die Frage ist allerdings: Wie findet man den richtigen Preis, den die Banken dann dem Staat zahlen müssen? Eine Idee ist es, eine private Versicherung für einen kleinen Teil der Bankenrisiken vorzuschreiben und den dort verlangten Preis dann vom Staat zu übernehmen – immer in der Annahme, dass der Markt Risiken besser bepreisen kann als der Staat. Wie teuer das am Ende für die Banken werden könnte, ist noch unklar.

In Europa ist es eher populär, neue Regeln zu schaffen, um die prozyklischen Effekte der alten Regeln auszugleichen. Dabei geht es vor allem darum, in guten Zeiten zu verhindern, dass die Banken zu stark expandieren und zu wenig Eigenkapital vorhalten. So könnte man zum Beispiel eine maximale Verschuldungsgrenze für Banken festlegen, die auch in guten Zeiten nicht überschritten werden darf und die sogar nach unten angepasst werden kann. Allerdings gibt es auch hier Probleme, das richtige Maß zu finden, und die Gefahr, dass in guten Zeiten die Lehren der Krise vergessen werden.

Charles Goodhart: “Is a less pro-cyclical financial system an achievable goal?”, National Institute Economic Review 211 (1), 2010, S. 81-90.

Der Beitrag ist der Sonntagsökonom aus der F.A.S. vom 18.12.2011.

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