Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Alte Meister (1): Ode an den Dämon – Werner Sombarts Analyse des Kapitalismus

Der deutsche Ökonom und Soziologe Werner Sombart (1863 bis 1941) war der schillerndste Analytiker des Kapitalismus. Von Gerald Braunberger.

Von Gerald Braunberger

(Aktualisierung 21. Januar 2013: Der 150. Geburtstag Sombarts hat Anlass zu Erwähnungen in der Öffentlichkeit gegeben – unter anderem hier.)

Der deutsche Ökonom und Soziologe Werner Sombart (1863 bis 1941) war der schillerndste Analytiker des Kapitalismus. Sombart hat den Kapitalismus bewundert und er hat ihn gehasst; er hat Marx gepriesen und seine wichtigsten Thesen verworfen; er hat die Nationalsozialisten als Retter begrüßt und sich danach von ihnen losgesagt. “Eine Biografie Sombarts könnte den Untertitel tragen: Größe und Versagen bürgerlichen Geistes im 20. Jahrhundert.” (Bernhard vom Brocke). Eine Lektüre für einen langen Winterabend und der Auftakt einer losen Reihe über alte Meister.

 

“Werner Sombart ist eine lebensvolle, reich begabte Natur, eine ganze, volle Persönlichkeit, ein glücklicher Redner, der genau schreibt, wie er spricht, wohl nicht ohne Ehrgeiz großen Stils…(Er) wuchs im Reichtum, im Genussleben der Großstadt auf, alle Bildungsmittel der Zeit standen ihm zur Verfügung; er sah früh viel von der Welt, reiste, hatte früh sehr starke ästhetische und sozialpolitische Neigungen.”

Sombarts Lehrer Gustav Schmoller

“Sombart, dessen geistige Prägung durch Goethe, die Romantiker und Hegel bestimmt war, längst ehe er den Einfluss Marxens an sich erfuhr, hat, den Romantikern gleich, auf das Pochen der unterirdischen Kräfte gelauscht; aber da er nicht zu ihren Natur- und Volkstiefen durchzustoßen vermochte, hat er nur vernommen und dargestellt, was in den Tiefen von Wirtschaft und Gesellschaft brodelte.”

Sombarts Schüler Edgar Salin

 

Grundlagen der Kapitalismusanalyse

Betrachtungen des Kapitalismus sind im Zeitalter einer beschleunigten Globalisierung modern geblieben. Daran hat die im Jahre 2007 begonnene Finanz- und Staatsschuldenkrise nichts geändert. Besonders beliebt sind Untersuchungen über die Geschichte des Kapitalismus sowie die Zusammenhänge zwischen Kultur, Tradition, Religion und Wirtschaftsleben. An Büchern aus den vergangenen Jahren seien hier beispielhaft drei beifällig aufgenommene Werke genannt: Jeffry A. Frieden: Global Capitalism (2006), Gregory Clark: A Farewell to Alms (2007) und Joyce Appleby: Die unbarmherzige Revolution (2011). Eine einprägsame Schilderung der Entwicklung der führenden Finanzzentren bietet Youssef Cassis: Metropolen des Kapitals (2007).

Werner Sombart vor 1930 - Foto: Nicola Perscheid via Wikimedia CommonsDie Entstehung und Entwicklung des Kapitalismus gehörte indessen schon seit dem 19. Jahrhundert zum Arbeitsprogramm der deutschen Sozialwissenschaften. Einer der damals bekanntesten und meistgelesenen Ökonomen und Soziologen war Werner Sombart (1863 bis 1941), ein wegen seines schwierigen Charakters, seiner politischen Volten und seiner teilweise provozierenden Schriften sehr umstrittener Mann. Gleichwohl: In seinem Werk findet sich manches, was von der heutigen Kapitalismusforschung wieder entdeckt wird. Sein Hauptwerk war der “Moderne Kapitalismus”, zuerst im Jahre 1902 als Zweibänder erschienen. Ab dem Jahr 1916 folgte eine völlig überarbeitete, erst im Jahre 1927 abgeschlossene dreibändige, mehrere tausend Seiten umfassende Ausgabe, die Grundlage der nachfolgenden Ausführungen bildet.

Im Zentrum der Kapitalismusanalyse Sombarts steht der Unternehmer, der schaffend und zerstörend die wirtschaftliche Entwicklung vorantreibt und dabei nichts anderes im Sinn hat als eine Maximierung seines Gewinns. Das Bild der schöpferischen Zerstörung im Kapitalismus durch den Unternehmer wird gewöhnlich Joseph Schumpeter zugeschrieben – bei Sombart findet es sich früher. Dieser Unternehmer zeichnet sich nach Sombarts Ansicht durch eine besondere “Wirtschaftsgesinnung” aus, im konkreten Falle durch einen “kapitalistischen Geist”, den der Verfasser als ein europäisches Phänomen verstand. Im “kapitalistischen Geist” verbindet sich der Wagemut des Entdeckers und Eroberers mit der Fähigkeit, rational zu planen und zu handeln. Sichtbarer Ausdruck rationalen Handelns war für Sombart die Erfindung der doppelten Buchführung. Erkennbar sei der “Geist” zuerst in Oberitalien gewesen, in Deutschland seit den Fuggern.

Sombarts Versuche, seinen “kapitalistischen Geist” näher zu ergründen, haben neben bedenkenswerten Einfällen auch äußerst schräge Ergebnisse hervorgebracht. Sombarts höchst umstrittene These, die Entstehung des Kapitalismus sei unter anderem jüdischem Einfluss zu verdanken, soll seinen Freund Max Weber zu dessen – heute auch alles andere als unumstrittenen – Arbeiten über die protestantische Ethik und den Kapitalismus inspiriert haben. Während Sombarts Buch “Die Juden und das Wirtschaftsleben” schon lange nicht mehr in Deutschland aufgelegt wurde, ist sein “Der Bourgeois” seit wenigen Jahren wieder erhältlich, dessen Untertitel “Zur Geistesgeschichte des modernen Wirtschaftsmenschen” eine Idee des Inhalts gibt. Die Bände “Luxus und Kapitalismus” sowie “Krieg und Kapitalismus” behandeln weitere Entstehungsmotive des Kapitalismus aus Sombarts Sicht. Was immer man im einzelnen von diesen, ziemlich unzusammenhängenden, Arbeiten halten mag: Immerhin beschäftigen sich hundert Jahre später namhafte Ökonomen wieder mit den Beziehungen zwischen Religion, Kultur und Wirtschaft.

Besonders originell ist die Grundthese von “Luxus und Kapitalismus”: Hier vertrat Sombart die Ansicht, dass die Nachfrage nach Luxusgütern etwa ab dem Jahr 1500 eine der Ursachen für die Entstehung des Kapitalismus bildete. In einer Welt, in der die meisten Menschen bitterarm waren, gab es Nachfrage nach hochwertigen Gütern, die man als Luxus empfunden haben dürfte, nur bei wenigen: vor allem bei weltlichen und kirchlichen Fürsten sowie den Patriziern in den Städten. Welche Gewerbe profitierten von dieser Nachfrage nach hochwertigen Gütern? Sombart nennt unter anderem die Seidenindustrie, die Spitzenindustrie, die Spiegel- und Porzellanindustrie, aber auch die Wollindustrie, die Hutmacherei und das Baugewerbe. Manche der sehr früh entstandenen Unternehmen existieren noch heute: So führt der bedeutende französische Baustoffhersteller Saint-Gobain seine Geschichte auf eine im Jahre 1665 in dem Ort Saint-Gobain gegründete Glasmanufaktur zurück. So weit klingt das nicht unvernünftig. Aber warum setzte um 1500 diese Nachfrage nach Luxusgütern ein? Sombarts Antwort auf der Basis von Studien der Fachliteratur und der Belletristik: Weil die damalige Moral die Frauen freizügiger werden ließ als im finstersten Mittelalter, bemühten sich die vermögenden Männer, durch den Erwerb von Luxusgütern Frauen zu erobern und zu behalten. Unwillkürlich denkt man an die berühmte Madame Pompadour, der nicht nur ein Schloss zu Füßen gelegt wurde.

Man sieht, wie Sombart damals arbeitete: Er studierte nächtelang in der riesigen Bibliothek seiner Villa im schlesischen Schreiberhau alte und dicke Folianten, holte daraus Einzelbeobachtungen, die er dann flugs zur Grundlage einer weitreichenden Theorie machte. Aber auch aus 20 Madame Pompadours entsteht noch keine schlüssige Theorie von der Entstehung des Kapitalismus. Andererseits: Mit Sombarts flotter und eleganter Schreibe entstanden daraus Abhandlungen, die eine weitaus vergnüglichere Lektüre boten als die trockenen Studien des ehrbaren Professores der Historischen Schule. Auch als gut bezahlter und weit gereister Vortragender musste Sombart mit seinem teilweise geradezu abenteuerlichen Programm keine Konkurrenz anderer Ökonomieprofessoren fürchten. Man vergleiche den leichtfüßigen, eleganten Sombart mit dem unter schweren psychischen Erkrankungen im Heidelberger Exil lebenden Max Weber. Damals war Sombart weitaus bekannter als Weber – heute haben sich die Verhältnisse umgekehrt.

In späteren Arbeiten hat Sombart seine Analyse dann doch systematisiert, indem er den Begriff des “Wirtschaftssystems” erfand, das drei Grundbestandteile hat: die Wirtschaftsgesinnung, die Wirtschaftsordnung (mit der Unterscheidung von einer privatwirtschaftlichen und einer gemeinwirtschaftlichen) und die Technik. Der Kapitalismus – den Sombart historisch in die drei Phasen Frühkapitalismus, Hochkapitalismus und Spätkapitalismus unterteilte – zeichnet sich durch eine Wirtschaftsgesinnung aus, in der das Erwerbsprinzip dominiert, das heißt das Gewinnstreben. Zur Wirtschaftsgesinnung zählen ferner der Individualismus, auf dem das Wettbewerbsprinzip beruht, sowie ein ökonomischer Rationalismus. Die Wirtschaftsordnung des Kapitalismus stützt sich auf eine individuelle, durch eine “hochentwickelte Berufsspezialisierung” gekennzeichnete Privatwirtschaft, die Sombart als “aristokratisch” empfand, weil die Macht im Kapitalismus von einer kleinen Zahl von Unternehmern ausgeübt werde. Schließlich beruht die im Kapitalismus genutzte Technik auf der Verwendung wissenschaftlicher Kenntnisse, die immer neue Produktionsverfahren hervorbringen, mit denen vor allem Stoffe wie Erze, Kohle, Steine und Chemikalien verarbeitet werden. Leicht ersichtlich war Sombart das Kind der Industriegesellschaft.

Wie Marx war Sombart der Überzeugung, der Kapitalismus werde seine Vorherrschaft verlieren, aber nicht durch eine proletarische Revolution, sondern wegen Übermüdung und Verfettung als Folge großen Erfolges. Sombart sah den Kapitalismus als eine Persönlichkeit. Und so wie Personen altern, so werde nach seiner Ansicht der Kapitalismus altern. Die einst dynamischen Unternehmer würden zur Ruhe kommen und die großen Konzerne sich allmählich in Bürokratien verwandeln. Diese Vorstellung hat sich nicht bestätigt, aber Sombart war nicht der einzige große Denker, der solche Visionen besaß. Hilferdings Konzept des “organisierten Kapitalismus” weist Parallelen auf; die Bürokratisierung spielte auch in Arbeiten Schumpeters und Galbraiths eine Rolle.

Bewunderung und Hass

Doch Sombart analysierte den Kapitalismus nicht nur nüchtern nach dem – vor allem von Max Weber vertretenen – Prinzip der Werturteilsfreiheit wissenschaftlicher Forschung. In einigen Veröffentlichungen hielt er sich mit seiner Meinung über die stürmischen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen seiner Zeit nicht zurück. Sichtbar wurde dabei ein extremer Wandel. Der junge Sombart, der selbst hin und wieder als “Kraftmensch” geschildert wurde, war von der schieren Macht der Veränderungen des Lebens durch die kapitalistische Entwicklung schwer beeindruckt. Als die Kathedersozialisten um seinen Doktorvater Gustav Schmoller ihre Besorgnis äußerten, die Bildung von Konzernen werde das traditionelle Handwerk und damit eine Stütze der bürgerlichen Gesellschaft hinwegfegen, wandte sich Sombart gegen jede Politik, die die unter Druck geratenen Branchen durch Staatseingriffe zu stabilisieren versuchte.

In einem Artikel “Ideale der Sozialpolitik” vertrat er die These, die beste Sozialpolitik bestehe in der Maximierung des Sozialprodukts, und dies erfordere, absterbende Wirtschaftszweige sterben zu lassen. Sombart schrieb später, in dieser Frage habe er den “Manchesterleuten”, sprich den Liberalen, nahegestanden. Andererseits trat er für einen besseren gesetzlichen Schutz der Arbeiter ein, und überhaupt galt er in seiner Jugend eher als ein “Linker”. Völlig klar war Sombart, dass nur die mit dem Kapitalismus einhergehende Industrialisierung die Möglichkeit schaffe, die rasch wachsende Bevölkerung zu ernähren. “Des Riesen Kraft” beeindruckte ihn: “Aber dafür hat der Kapitalismus eines in bewunderungswürdiger Weise geleistet: Er hat eine riesig angewachsene Menschenmenge auf das beste mit Unterhaltsmitteln zu versehen vermocht, er hat gerade das Futterproblem meisterhaft gelöst, besser als irgendeine Wirtschaftsverfassung vor ihm. Stellt man sich auf den Standpunkt der reinen Quantität – und fast alle Beurteiler stehen auf ihm -, so ist der Kapitalismus tatsächlich mit einem Glorienschein umgeben.”

Nach der Jahrhundertwende vollzog Sombart eine jener Drehungen um 180 Grad, die sein Geheimnis ausmachen. Nun verwandelte sich die Bewunderung in blanken Hass, der sich auf ästhetisch-romantisierende Weise Bahn brach. Der Kapitalismus wurde zum Zerstörer gewachsener Werte und Traditionen und zu einem Dämon. Die Großstädte erzeugten “Asphaltmenschen”, die von der Schönheit der Natur nichts wüssten, klagte er. Anstelle eines genügsamen Lebens, in dem man sich Zeit lasse, strebten die Menschen nur noch nach dem Gelde, und dies in steter Hektik. “Faustens Geist”, den Geist der Unrast, vermeinte Sombart zu entdecken. Von einer Reise nach Amerika schickte er eine Postkarte mit einem Bild der Wall Street, auf der er vermerkte: “Die Götterdämmerung der Kultur.” Hatte Sombart in mittleren Jahren noch die ökonomischen Vorteile des Freihandels erkannt, so wurde er im Alter ein Anhänger der Autarkie.

An anderer Stelle heißt es: “Der Kapitalismus hat uns die Masse beschert, er hat unser Leben der inneren Ruhe beraubt, er hat uns der Natur entfremdet, er hat uns den Glauben unserer Väter genommen, indem er die Welt in ein Rechenexempel auflöste und eine Überbewertung der Dinge dieser Welt in uns wachrief, er hat die große Masse der Bevölkerung in ein sklavenartiges Verhältnis der Abhängigkeit von einer geringen Anzahl von Unternehmern gebracht.” Diese Passage verdeutlicht, dass es vor allem die Sorge vor ungebildeten, die Stabilität der politischen Verhältnisse möglicherweise gefährdenden Menschenmassen war, die Sombart kapitalismus- und zugleich demokratiekritisch werden ließ. Damit stand er freilich nicht alleine; ähnliche Ängste ließen sich bei vielen aus bürgerlichen Verhältnissen stammenden Gelehrten verorten, darunter selbst bei Ordoliberalen wie Wilhelm Röpke. Die Angst vor der Massendemokratie ließ Sombart in der instabilen Weimarer Republik zum “Steigbügelhalter des Nationalsozialismus” (vom Brocke) werden.

In die Vergessenheit

Sombarts Eintreten für die “Hakenkreuzler” bildet einen wesentlichen Grund, warum er nach dem Zweiten Weltkrieg in Vergessenheit geriet. Zudem wurde sein interdisziplinärer Ansatz in einer Zeit der Spezialisierung und Mathematisierung der Ökonomik unbrauchbar. “Der moderne Kapitalismus” ist der Versuch einer historisch fundierten Wirtschafts- und Sozialtheorie ohne Formel und Gleichung, mit der man lange nichts anfangen konnte. Schon zu Sombarts Zeiten fanden Historiker sein Werk zu ökonomisch, die Ökonomen hielten es für zu historisch.

Aus moderner Sicht fragt sich, was für eine Art Wissenschaft Sombart betrieb. Von Marx hatte er den Gedanken einer umfassenden Gesellschaftstheorie, von seinen Lehrern der Historische Schule die Neigung, auf historische Spurensuche zu gehen und zu allgemeine Theorien abzulehnen. Freilich passte ein “Geist des Kapitalismus” überhaupt nicht in die materialistische Denkweise Marxens. Die noch heute extrem einflussreiche neoklassische Theorie hat Sombart abgelehnt. Sie war ihm eine “Handelskammer-Generalsekretärs-Wissenschaft”, die Vorstellung immer störungsfrei räumender Märkte empfand er als wesensfremde Anleihe aus naturwissenschaftlichem Denken. Hermann Heinrich Gossen, einen der Väter der Grenznutzenlehre aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, bezeichnete Sombart als “genialen Idioten”. Man könnte Sombart als frühen Vertreter des Konzepts einer “anschaulichen Theorie” bezeichnen, die sein Schüler Salin später weiterzuentwickeln versuchte und über die in der Neuzeit der Salin-Schüler Bertram Schefold mehrfach geschrieben hat. Die “anschauliche Theorie” hat sich aber niemals gegenüber dem Mainstream durchsetzen können.

Die seinerzeit moderne Theorie hat er ohnehin nur unvollkommen gekannt; Schumpeter wunderte sich einmal, dass Sombart sich einer Mehrwerttheorie bediente, “die nur um das Jahr 1750 diskutabel” gewesen sei. Als Sombart im Jahre 1922 – die große Inflation hatte begonnen – eingeladen wurde, einen Vortrag über Inflation zu halten, antwortete er: “Das ist ein banktechnisches Problem, das mich nicht interessiert, weil es mit Nationalökonomie nichts zu tun hat.” (Wer darüber schockiert ist und Sombart völlige Ahnungslosigkeit vorwirft, möge sich fragen, ob die Inflation aus der Sicht eines Hard-Core-Monetaristen, der seinen Friedman gelesen hat, etwas anderes ist als ein (zentral-)banktechnisches Problem. Im monetaristischen Modell genügt die Steuerung der Geldbasis durch die Zentralbank.) Andererseits zeigt das Beispiel auch, dass sich Sombart mit monetärer Theorie kaum befasst hat und sie ihn auch nicht sonderlich bewegte, und damit konnte er die jungen Theoretiker jener Zeit nicht ansprechen.

Fragt man nach konkreten Theoriefragmenten, ließen sich zitieren: Sombarts Städtetheorie, nach der für die Entwicklung der modernen Städte die in den Städten, aber vor allem in der umliegenden Landwirtschaft entstehenden Grundrenten verantwortlich seien; Sombarts Konjunkturtheorie, die aber nur ein Fragment geblieben ist, sowie seine späten Arbeiten zu Wirtschaftssystemen, in denen sich Anklänge des späteren Ordoliberalismus Euckens finden (auch wenn sich Eucken bemühte, hier keine Verbindungen zu sehen). Obgleich Sombart sehr viel über den Unternehmer geschrieben hat, kann nicht wirklich die Rede von einer Theorie des Unternehmers sein.

Schädlich wirkte sich für die Sombart-Rezeption auch die Praxis des Meisters aus, mit einem arg breiten Pinsel zu malen. Darstellung und Analyse eines komplexen Phänomens wie des Kapitalismus erfordert notwendig den Mut zur Vereinfachung, aber Sombarts Neigung, zwischen Belesenheit verratenden Zitaten aus sechs verschiedenen Sprachen Detailfehler in nicht geringer Zahl einzubauen, war legendär. Zudem schrieb Sombart gelegentlich für die Galerie.

Niemand hat dies beeindruckender beschrieben als Joseph Schumpeter, indem er Sombart an dessen wissenschaftlichem Vorbild Marx spiegelte: “Marx analysiert, Sombart skizziert. Marx arbeitete ein Leben lang an einem der Idee und Absicht nach einzigen Gedankengang, Sombart hat und registriert Impressionen. Marx ringt um Problemlösungen, Sombart streut Gesichtspunkte aus und überlässt sie ihrem Schicksal. Marx interessiert die Antwort, Sombart die Frage. Der Gedanke an Unstimmigkeiten im System ist für Marx unerträgliche Qual, und er plagt sich durch Jahre und den Leser durch Hunderte von Seiten, um sie zu überwinden. Sombart ist nichts gleichgültiger als eine Unstimmigkeit. Marx hält leidenschaftlich an jeder einmal eingenommenen argumentativen Position fest, Sombart experimentiert in Blickpunkten und Formulierungen, deren Wert – und Zweck – oft darin liegt, dass sie zum Widerspruch reizen, und die er, wollte er verweilen, selbst nicht festhalten würde.”

Der Soziologe Alexander Rüstow hat eine Erklärung für diese erratische Lebensleistung – hier großer Wurf, dort schlampige Umsetzung – in der Person gefunden. Für ihn war Sombart ein “großer Gelehrter mit tief gestörter menschlicher Struktur und entsprechend beeinträchtigter Leistung”, wie es sie gerade in dessen Generation – Rüstow erwähnt Max Weber – gegeben habe. Der alte Sombart muss dämonisch gewirkt haben: “Er lebte innerlich vollkommen einsam und isoliert in einer Atmosphäre von eisiger Kälte, aus der er mit einer Mischung von hochmütigem Stolz, bitterem Zynismus und resignierter Verachtung auf die Menschen herabblickte, auf die Menschen, nach deren Beifall und Bewunderung er doch zugleich das heftigste Verlangen trug. Nie in meinem Leben bin ich einem Menschen begegnet, an dem es mir so erschreckend klar geworden wäre, was die Theologie unter Gottesferne und Gnadenlosigkeit versteht.”

Von Marx zu Hitler: Das Leben Werner Sombarts

“Er träumt das Riesengroße. Er lebt wie in einem beständigen Fieber. Die Übertreibung seiner eigenen Ideen reizt ihn immer von neuem und hält ihn in immerwährender Bewegung. Die Grundstimmung seines Wesens ist ein enthusiastischer Lyrismus.”

Werner Sombarts obige Beschreibung des Spekulanten eignet sich als Selbstporträt des jungen Gelehrten.  Im Jahre 1863 als Sohn eines vermögenden Rittergutsbesitzers im Harz geboren, studierte Sombart Ökonomie und Jura in Berlin, Pisa und Rom. 1888 promovierte er bei Gustav Schmoller mit einer Arbeit über die römische Campagna. Nach einem Intermezzo als Syndikus der Bremer Handelskammer erhielt Sombart einen Ruf als außerordentlicher Professor an der Universität Breslau. In Schreiberhau am Riesengebirge ließ er sich in der Nachbarschaft Gerhart Hauptmanns eine Villa bauen, in deren Zentrum sich seine – später 35.000 Bände umfassende – Bibliothek befand. Rund 30.000 Bände aus der Sammlung befinden sich heute in der Universitätsbibliothek in Osaka (Japan).

Mehrere Rufe auf ein Ordinariat scheiterten, weil Sombart eine Verehrung für Karl Marx als Wissenschaftler empfand und als Sympathisant der SPD (die damals marxistisch war) galt. Dabei war der aus dem Bürgertum stammende Gelehrte kein Anhänger einer Revolution; er verstand sich lange eher als Sozialreformer: “Ich sagte ‘ja’zu Marx, zog aber aus seiner Doktrin diejenigen Folgerungen, die eine Eingliederung des Proletariats in die nationale Gemeinschaft ermöglichten. Man hat das später ‘Revisionismus’ genannt.” Sombarts Arbeiten über den Kapitalismus sowie eine kommerziell sehr erfolgreiche Studie über den Sozialismus machten den eloquenten und geltungssüchtigen, überdies eminent fleißigen Sombart zu einem populären Mann, der lukrative Vortragsreisen bis nach Russland unternahm. Vorlesungen hielt er in überfüllten Sälen mit 1400 Plätzen. Doch selbst Freunde wie Max Weber hielten ihn wegen seines übersteigerten Selbstbewusstseins, seines politischen und persönlichen Wankelmuts und seiner offen demonstrierten Neigung zum Don Juan für einen schwierigen – Kritiker sagten: charakterlosen – Menschen.

1917 erhielt Sombart gegen erheblichen Widerstand ein Ordinariat an der Universität Berlin. Mit dem Ersten Weltkrieg und dem Tode seiner Frau brach eine Welt zusammen, auch wenn er in zweiter Ehe eine rund 30 Jahre jüngere Studentin aus Rumänien heiratete, aus welcher Verbindung der Literat Nicolaus Sombart entstammte. Der späte Sombart vereinsamte zusehends. Mit der Weimarer Republik freundete er sich nie an. Auch vom Sozialismus distanzierte er sich; stattdessen empfand er, jeder politischen Mode nachlaufend, Sympathie für den Faschismus, die nach 1933 jedoch wieder nachließ. Sombart starb 1941 in Berlin.

Literatur von und über Werner Sombart

Werner Sombart war lange vergessen. Seit rund 25 Jahren nimmt das Interesse an seiner Person und seinem Schaffen jedoch wieder zu.

Viele Werke sind nur noch antiquarisch beschaffbar. Sombarts Opus magnum “Der moderne Kapitalismus” ist in seiner zweiten Auflage aber noch heute in einer Taschenbuchausgabe erhältlich. Hierin liefert Sombart eine theoretisch durchwirkte Wirtschaftsgeschichte Europas seit der Zeit der Karolinger, in deren Mittelpunkt Entstehung und Siegeszug des Kapitalismus stehen. Vor einiger Zeit neu aufgelegt wurde das 1913 erschienene, “in einem achtwöchigen Rausch” (Sombart) geschriebene und sehr umstrittene Buch “Der Bourgeois. Zur Geistesgeschichte des modernen Wirtschaftsmenschen”, das sich mit der Entwicklung des “kapitalistischen Geistes” befasst. Ebenfalls wieder erhältlich ist “Die drei Nationalökonomien” (1930), ein Buch zur Methodologie der Wirtschaftswissenschaften

Den leichtesten Zugang zum Werk Sombarts bietet eine klug ausgewählte und kundig eingeleitete Sammlung seiner wichtigsten wissenschaftlichen Aufsätze: “Werner Sombart. Nationalökonomie als Kapitalismustheorie“, herausgegeben von Alexander Ebner und Helge Peukert.

Die Literatur über Sombart ist reichhaltig. Friedrich Lengers “Werner Sombart 1863-1941” erschien Mitte der neunziger Jahre und ist die maßgebliche Biographie. Mit dem Hauptwerk befasst sich Michael Appels “Werner Sombart. Theoretiker und Historiker des modernen Kapitalismus“. Materialien zum Hauptwerk, darunter zeitgenössische Rezensionen von Hilferding, Schmoller, Salin und Schumpeter, hat Bernhard vom Brocke (Sombarts “Moderner Kapitalismus”) zusammengetragen, der auch eine Biographie beisteuert. Wer es monumental liebt, findet die Beiträge einer Konferenz in dem von Jürgen Backhaus herausgegebenen Dreibänder “Werner Sombart (1863-1941). Social Scientist“. Sehr lesenswerte Erinnerungen an seinen Vater enthält Nicolaus Sombarts “Jugend in Berlin 1933-1943“.

Ebenfalls erwähnenswert: “Werner Sombart: Allgemeine Nationalökonomie“, ein postum aus Vorlesungen und Seminaren Sombarts enstandenes Buch seines Assistenten Walter Chemnitz. Es ist interessant, dieses Werk mit einer zeitgenössischen Einführung in die Wirtschaftslehre zu vergleichen. Man sieht, wie viel Wissen seit 1930 hinzu gekommen ist. Man sieht aber auch, was seitdem nicht mehr gelehrt wird.

Dieser Beitrag ist eine erheblich überarbeitete und erweiterte Version eines Artikels, der am 18.11.2007 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschienen ist. Er behandelt nicht die soziologischen Arbeiten Sombarts.

 

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