Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Wie die Langeweile die Eurokrise dämpft

Warum haben sich die Tumulte an den Börsen beruhigt? Es liegt auch daran, dass den Investoren die Krise langweilig geworden ist. Von Alexander Armbruster

Warum haben sich die Tumulte an den Börsen beruhigt? Es liegt auch daran, dass den Investoren die Krise langweilig geworden ist.

Von Alexander Armbruster

Das hat die Euro-Krise nicht verdient, so können die Anleger sie nicht behandeln. Was stand hier nicht angeblich alles auf dem Spiel: die Währungsunion, die Banken, Griechenland, das ganze Abendland, der persönliche Standpunkt. Jetzt ist Griechenland pleite.  Doch die Börse spricht der Furcht Hohn, ignoriert die Krise, dort klettern die Kurse. Allein zum Beispiel der F.A.Z.-Index, der die deutsche Exportwirtschaft in ihrer ganzen Breite abbildet, hat seit Jahresbeginn um gut 20 Prozent zugelegt. Einzelne Kurse sind zwischen 20 und 30 Prozent gestiegen. Und dann die Krisenländer: Italien? – Kriegt mühelos Geld zu geringeren Zinsen. Spanien? – Kommt ebenfalls wie geplant an Kredit.

Zwei Gründe Händler an Wall Street. Foto: AP dafür tauchen in jeder Diskussion auf und sind schon hinlänglich beschrieben worden – nur noch nicht von jedem: Die Europäische Zentralbank („Game Changer”) hat insgesamt rund 1 Billion Euro für drei Jahre zum Leitzins an die Geschäftsbanken ausgereicht. Außerdem sind auch die neuen Regierungen in Italien und Spanien gut gestartet. Gerade über den italienischen Ministerpräsidenten Monti  und seinen Vizefinanzminister Grilli sagen sie am Markt, hier vermarkten zwei ihr Land nicht schlecht.

Doch neben diesen beiden handfesten Faktoren könnte allerdings ein dritter zur allgemeinen Entspannung beitragen. Vielleicht ist es der eigentümlichste, den man sich ausdenken kann: Die Börsianer haben schlicht keinen Bock mehr auf die Krise. Sie langweilt sie in einem gewissen Sinne. “Es ist die Langeweile, Dummkopf”, könnte man in Anlehnung an ein Bonmot des ehemaligen amerikanischen Präsidenten Bill Clinton sagen. Wer genau hinhört, findet solche Signale am Markt: Der Hedgefondsmanger Stephen Jen äußerte sich schon vor Wochen ungefähr so. Schon im Januar fragte er halb scherzhaft, ob die jüngsten Kurssteigerungen an den europäischen Finanzmärkten nicht durch Anleger erklärt werden könnten, die der Krisenangst einfach müde seien. Helaba-Analyst Christian Schmidt denkt ähnlich, und zuletzt gab es so einen Gedanken auch bei Andreas Utermann, der für die Anlagestrategie des Vermögensverwalters Allianz Global Investors mitverantwortlich ist, im Interview mit der FAZ. “Aus globaler Sicht würde ich sagen, dass Griechenland von den vier großen Themen, die uns zurzeit beschäftigen, auf Rang drei liegt”, sagt er trotz aller Krisenangst: Amerika und die Iran-Krise seien wichtiger.

So komisch das klingt, da ist vermutlich wirklich was dran. Etwas anderes kommt hinzu, es ist die positiv gewendete Deutung von Langeweile: Gewöhnung. Es scheint so zu sein, dass sich die Börsen (Foto: AP) und das Wirtschaftssystem selbst an die aktuelle Situation angepasst haben. Sogar die nun doch (teilweise) erzwungene Umschuldung Griechenlands führte zu keinen Verwerfungen an den Märkten – weder am Aktienmarkt noch an den Anleihemärkten. Ob wirklich nichts passiert, wissen wir letztlich erst, wenn die ausgelösten CDS (heute wird die Auszahlungssumme der Kreditausfallversicherungen CDS festgelegt) alle bedient sind und auch danach noch in den Banken jeder Stein auf dem anderen steht. Doch das ist gar nicht unwahrscheinlich. In diesem Sinne war es möglicherweise durchaus erfolgreich, Zeit zu kaufen und der (Todes-)Sehnsucht nach einer unkontrollierten Staatspleite zu widerstehen. Genau weiß man das natürlich jetzt noch nicht, man wird darüber erst in zehn oder zwanzig Jahren gültiger urteilen können: Dann könnte eine Abrechnung vorliegen.

Aber noch einmal zurück zur erkauften Zeit und ihrer Bedeutung. Der Trick dabei heißt, optimistisch zu sein – das Wirtschaftssystem nicht zu überschätzen, aber auch nicht schlechter zu finden, als es ist. Mit der Zeit findet die Marktwirtschaft, finden die vielen, für nahezu jedes Problem eine Lösung. In diesem Sinne argumentiert etwa der kluge Finanzökonom Anatole Kaletsky. Die Marktwirtschaft braucht manchmal nur mehr Zeit, als sie sich selbst verschaffen kann. Und dann ist es an anderen (oft den demokratisch gewählten Politikern), ihr diese Zeit auch einmal zu verschaffen. Wir vergessen das manchmal.

Das heißt beileibe nicht, dass die Börsenkurse munter in diesem Tempo weiter steigen. Die Euro-Krise ist nicht vorüber. Sie wird noch Jahre dauern, zumindest die strukturellen Anpassungen, die im Euroraum erfolgen müssen. Ob dann noch alle aktuellen Euro-Länder die Gemeinschaftswährung nutzen, ist höchst unklar. Aber, auch das weiß man an den Finanzmärkten wieder mehr zu schätzen: Die Welt besteht nicht nur aus dem Euroraum. In den Vereinigten Staaten, in China und vielen anderen ehemaligen Schwellenländern sind die Wachstumsaussichten in diesem Jahr längst nicht so mau wie im Euroraum.

 

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