Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Aktuell: Die französische Rechte droht zu zerbrechen – ein "Wüterich" und ein "Armseliger" bekriegen sich

Das ist zunächst kein unmittelbar wirtschaftliches Thema, aber trotzdem interessant, weil es Deutschlands wichtigstes Partnerland in Europa betrifft - und auf längere Sicht auch die Frage, wie marktwirtschaftlich die französischen Bürgerlichen eingestellt sind. Nicolas Sarkozy, der angeblich von einem Comeback träumt, ist außer sich. Und nun gibt es noch eine andere traurige Nachricht aus Paris: Aus aktuellem Anlass ein Nachruf auf Erik Izraelewicz.

Das ist kein unmittelbar wirtschaftliches Thema, aber trotzdem interessant, weil es Deutschlands wichtigstes Partnerland in Europa betrifft – und auf längere Sicht auch die Frage, wie marktwirtschaftlich die französischen Bürgerlichen eingestellt sind.

Und nun gibt es noch eine traurige Nachricht aus Paris: Aus aktuellem Anlass ein Nachruf auf Erik Izraelewicz.

 

 

Von Gerald Braunberger

 

Die führende bürgerliche Partei Frankreichs, die UMP, droht zu zerbrechen. Am Dienstagvormittag haben nach einer Mitteilung des Fernsehsenders BFMTV der ehemalige Premierminister Francois Fillon und rund 120 Abgeordnete (nach anderen Quellen: rund 60) beschlossen, eine eigene Fraktion in der Nationalversammlung zu gründen. Die UMP hat bisher insgesamt 181 eigene Abgeordnete in der Nationalversammlung, dazu kommen 11 Abgeordnete, die nicht der UMP angehören, sich aber der Fraktion angeschlossen haben.Die Zahl der Parteimitglieder beträgt rund 300 000.

Der Entscheidung Fillons war ein erbitterter Machtkampf mit seinem innerparteilichen Rivalen Jean-Francois Copé vorausgegangen. Eine Abstimmung der UMP-Mitglieder über den künftigen Parteivorsitzenden war sehr knapp ausgegangen. Eine Parteikommission hatte Copé zum Sieger erklärt, allerdings ist Fillon der Ansicht, dass es bei der Auszählung der Stimmen nicht mit rechten Dingen zugegangen sei. Ein Versuch des früheren Premierminister Alain Juppé, zwischen den beiden Rivalen zu vermitteln war gescheitert. Im Hintergrund hatte auch der frühere Staatspräsident Nicolas Sarkozy versucht, Fillon und Copé zu beruhigen.

Fillon und seine Mitstreiter sehen die Gründung ihrer eigenen Fraktion nur als vorläufig an, sofern in den kommenden drei Monaten eine neue Abstimmung der UMP-Mitglieder über ihren Präsidenten stattfindet, die von einer neutralen Kommission überwacht wird. Copé hat eine schnelle neue Abstimmung abgelehnt und will erst einige “Tage oder Wochen” über die neue Situation nachdenken. In der Zwischenzeit hat Copé betont, die Statuten der UMP erlaubten keine vorzeitige Neuwahl. Zudem hat der Präsident der Wahlkommission der UMP bereits die Ansicht geäußert, eine Neuwahl sei frühestens in sechs Monaten möglich. Gegen die Idee einer Abstimmung per Internet wird von ihm eingewandt, sie sei mit 800 000 Euro zu teuer für die Partei.

Der Fraktionsvorsitzende der UMP, Christian Jacob, der Copé nahesteht, sagte, die Gründung einer eigenen Fraktion durch Fillon bedeute das “Auseinanderbrechen” der Partei; der Schaden sei irreparabel. Ein Politiker, der mit Sarkozy telefoniert hatte, sagte, der ehemalige Staatspräsident sei “außer sich”. Nur Sarkozy könne den Bruch noch heilen. Allerdings hatten sich Sarkozy und Fillon am Montag zu einem Mittagessen getroffen; Sarkozy dürfte über Fillons Entscheidung nicht überrascht sein.

Die neueste Meldung kurz nach 15 Uhr lautet, Sarkozy habe Fillon und Copé aufgefordert, sich für ein Referendum der Parteimitglieder einzusetzen. Die Parteimitglieder sollen voraussichtlich im Januar entscheiden, ob sie ein weiteres Mal einen Vorsitzenden wählen wollen. Fillon und Copé haben sich daraufhin in der Nationalversammlung getroffen.

Am Dienstagabend hat sich die neue Fraktion unter Fillons Führung mit 68 Mitgliedern gebildet. Copé und Fillon sind sich über ein Referendum einig, aber während Fillon bis dahin auf einer Führung der UMP durch ein Gremium besteht, will Copé bis zu einer Neuwahl an seinem neuen Amt festhalten.

Am Mittwochvormittag hat sich der Konflikt wieder verschärft. Nach der offiziellen Fraktionsgründung durch Fillon sieht Copé nun keine Möglichkeit mehr, das von Sarkozy vorgeschlagene Referendum über eine Neuwahl des Parteivorsitzenden abzuhalten.  Fillon habe “eine rote Linie” überschritten. Ein Vertrauter Sarkozys teilt mit, der ehemalige Staatspräsident sei angesichts des Tohuwabohus “bestürzt”, verfolge aber keine eigenen Interessen in dieser Angelegenheit.

Am Mittwochmittag haben 50 UMP-Abgeordnete Fillon aufgefordert, bis 15 Uhr seine Fraktion wieder aufzulösen. Im Gegenzug befürworten sie ein Referendum über eine Neuwahl des Parteichefs spätestens Ende Januar 2013. Copé unterstützt diese Initiative. Aus dem Fillon-Lager ist zu vernehmen, man sei gesprächsbereit, “mit fester Hand”, akzeptiere aber kein Ultimatum.

Im Senat, der zweiten (und weitgehend einflusslosen) Parlamentskammer hat die Gruppe der UMP-Senatoren einmütig zu Neuwahlen für die Präsidentschaft der Partei aufgerufen. Die Mehrheit dieser Senatoren steht Fillon nahe, mehrere Anhänger Copés sollen dem Treffen ferngeblieben sein. Immerhin gibt es aber keine Auflösung der gemeinsamen Gruppe der UMP-Senatoren.

Nachdem das 15-Uhr-Ultimatum ergebnislos verstrichen ist, geben Anhänger Copés die Parole aus, man werde sich nicht mehr zu Fillon und seiner neuen Fraktion äußern, sondern in der UMP mit der normalen politischen Arbeit fortfahren. In einer Umfrage sind die Zustimmungswerte zu Fillon und Copé erwartungsgemäß zurückgegangen. Allerdings kann Staatspräsident Hollande davon nicht profitieren; er fällt auch weiter zurück.

Am Mittwochabend erscheint die Lage verfahren. Medien wollen wissen, dass die Umgebung Sarkozys versuche, die beiden Lager anzunähern. Ein Besucher berichtet, Sarkozy denke über die beiden Streithähne: “Der eine ist ein Wüterich und der andere ein Armseliger.” Genauer wurde dies nicht präzisiert, wir vermuten, Sarkozy hat mit dem “Wüterich” Fillon gemeint.

Am Donnerstagvormittag droht das totale Chaos: Nach einem Bericht von “Le Figaro” drohen die weder Copé noch Fillon nahestehenden UMP-Abgeordneten, eine dritte Fraktion zu gründen. Die Zahl dieser Abgeordneten könnte bei rund 70 liegen – die UMP-Fraktion würde völlig auseinanderbrechen. Damit wollen sie Fillon und Copé zwingen, sich zu verständigen, was letztlich zu einer Neuwahl führen würde. Das Problem scheint im Moment bei Copé zu liegen, der an seiner Präsidentschaft festhält und nach Berichten aus Paris mit seinen Nerven am Ende sein soll.

Am Freitag berichten Pariser Medien, Sarkozy habe Fillon und Copé aufgefordert, bis spätestens Dienstag eine gemeinsame Lösung zu finden. Ansonsten werde er öffentlich erklären, beide Männer seien für den Parteivorsitz ungeeignet. Offiziell kann Sarkozy nicht aktiv werden, da er als ehemaliger Staatspräsident in den französischen Verfassungsrat (“conseil constitutionel”) eingerückt ist. Solange er dort Mitglied ist, darf er sich nicht aktiv in die Tagespolitik einmischen. Nach einer Umfrage befürworten 80 Prozent der Franzosen eine Neuwahl.

Am Sonntag (2 Dezember) sprach sich der Vizepräsident der UMP (und Copé-Anhänger) Luc Chatel für eine Neuwahl aus, der aber eine Neuorganisation des Wahlprozesses durch ein neues Gremium vorausgehen müsse. Ansonsten drohe ein “Krieg der Apparatchiks”. Damit teilt Chatel implizit die Kritik Fillons an der Durchführung der Wahl durch die von Copé gesteuerten Parteiorganisation. Am Nachmittag teilte Fillon mit, seine Unterstützer wären bereit, “ab morgen” an einer neutralen Neuorganisation der Wahl des UMP-Präsidenten mitzuarbeiten. Damit hat Fillon Chatels Ball aufgenommen – nun muss sich Copé bewegen.

Copé hat am Sonntagabend vorgeschlagen, sein Mandat als gewählter Präsident auf zwei Jahre zu verkürzen und 2014 die nächsten Wahlen anzusetzen. Fillon hat diese Idee sofort zurückgewiesen. Er beharrt darauf, in einem “vernünftigem Zeitraum” eine Neuwahl anzusetzen. Fillon und Copé sind bereit, sich am Montag zu treffen.

Am Montag haben sich Fillon und Copé zu zwei Gesprächen getroffen. Am Ende verabredeten sie sich für ein drittes Gespräch am Dienstag. Ein Anhänger Fillons teilte mit, die beiden Streithähne näherten sich an.

Am Dienstag fand erstmals eine Parlamentsdebatte mit den beiden getrennten UMP-Fraktionen statt. Ein Vertrauter Sarkozys sagte, der ehemalige Staatspräsident habe getan, was ihm möglich war. Ein drittes Gespräch zwischen Fillon und Copé am Dienstagabend verlief ergebnislos.

Nachdem mehrere Tage nichts mehr zu hören war, hat am Dienstag (11. Dezember 2012) eine Initiative begonnen, die UMP-Parlamentarier in beiden Kammern des Parlaments über die Möglichkeit einer raschen Wiederwahl des UMP-Vorsitzenden abstimmen zu lassen. Bisher stellt sich Copé stur: Er ist mit einer neuen Wahl erst nach den Kommunalwahlen im Jahr 2014 einverstanden; Fillon will eine Wahl bis spätestens Sommer 2013.

Am Sonntag (16. Dezember) berichten Medien, Copé sei bereit, eine Neuwahl im September 2013 zu akzeptieren, sofern die Parlamentarier auf ihre für den kommenden Dienstag geplante Abstimmung verzichten. Fillon sagt, der Vorschlag sei “vernünftig”, aber noch ist nichts in trockenen Tüchern. In den Tagen zuvor hat es intensive Beratungen zwischen Vetretern der feindlichen Lager gegeben.

Am Montag scheint Einigung zu bestehen: Die Neuwahl des UMP-Präsidenten findet am 13. September 2013 statt; Kandidaturen müssen bis zum 14. Juli vorliegen. Damit hat Copé seine Forderung aufgegeben, erst nach dem Kommunalwahlen 2014 wählen zu lassen; Fillon besteht nicht mehr auf einer Neuwahl vor dem Sommer 2013. Nach Pariser Presseberichten war die Drohung der Parlamentarier entscheidend, sich am Dienstag zu einer Neuwahl zu äußern; unter den Parlamentariern dürfte Fillon eine Mehrheit haben. Daraufhin war der bisher starrköpfige Copé bereit, sich zu bewegen. Organisiert wurde die Einigung vom früheren Premierminister Jean-Pierre Raffarin, der zwar Copé unterstützt, aber auch im Lager Fillons über Ansehen verfügt. Ohne eine Einigung vor Weihnachten wäre die UMP zerbrochen, sagte Raffarin am Montag. Davon hätte nur der Front National profitiert.

Aktualisierung 11. Januar 2013: Die Einigung zwischen Fillon und Copé ist formal in trockenen Tüchern – wie viel Schaden intern bleibt, muss sich zeigen. Copé bleibt bis zu den Neuwahlen nach der Sommerpause 2013 Parteipräsident, aber Vertraute Fillons ziehen in die Führung ein. Fillons Fraktion RUMP will wie geplant ihre Auflösung beschließen. In Meinungsumfragen sind Copé und Fillon heftig abgestürzt, Copé allerdings noch weitaus mehr als Fillon. Copé dürfte sich in jedem Fall um seine Nachfolge als Parteichef bewerben; Fillon äußert sich noch nicht eindeutig zu einer neuen Kandidatur. Eventuell liebäugelt Fillon mit einer Kandidatur für das Bürgermeisteramt von Paris bei den Kommunalwahlen 2014. Sollte er diese prestigeträchtige Position erhalten, könnte er vielleicht auch aus ihr heraus und ohne den Parteivorsitz die Kandidatur des bürgerlichen Lagers für die Wahl um die Präsidentschaft der Republik im Jahre 2017 anstreben. Aber bis dahin vergeht noch viel Zeit und es ist keineswegs heute schon klar, dass Copé und Fillon die einzigen Kandidaten aus der UMP für den Elysée-Palast bleiben.

16. Januar 2013: Die “Wiedervereinigung” der UMP-Fraktion in der Nationalversammlung ist vollzogen. Die neue Parteiführung, in der sich Vertreter Copés, Fillons sowie “Neutrale” befinden, wurde in Abwesenheit Fillons vorgestellt. Nach Medienberichten schwankt Fillon, ob er nun eher das Bürgermeisteramt von Paris oder den Parteivorsitz der UMP anstreben soll, um sich für die Präsidentschaftswahl 2017 in Stellung zu bringen.

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Fillon und Copé wird nachgesagt, sie wollten 2017 als Kandidaten des bürgerlichen Lagers für die Staatspräsidentschaft antreten. Allerdings wird auch Sarkozy nachgesagt, er denke über eine neue Kandidatur nach, wolle aber erst 2015 wieder in die aktive Politik zurückkehren. Das französische rechtsbürgerliche Lager ist seit Jahrzehnten nicht stabil organisiert; die dort täigen Parteien waren oft nur Vereinigungen zur Unterstützung eines Präsidentschaftskandidaten. Die UMP wurde erst vor zehn Jahren gegründet, sie soll die vorher getrennt marschierenden Knservativen und Zentristen in einer großen Kraft vereinen. Schwere Auseinandersetzungen zwischen Führungspersonen (“la guerre des chefs”) sind dort nicht unbekannt. Jacques Chirac hat während gut 20 Jahren mehrere solcher Auseinandersetzungen geführt, ehe er zum Staatspräsidenten gewählt wurde.

Sarkozys Rolle in der gegenwärtigen Misere ist nicht ganz klar; offiziell hält er sich aus der Parteipolitik heraus. Medien berichten mit Verweis auf Bekannte, Sarkozys Interesse sei es im Duell zwischen Fillon und Copé gewesen, einen nur mit knapper Mehrheit gewählten und damit schwachen Chef an der Spitze einer stabilen Partei zu sehen, damit er in zwei Jahren mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen eine intakte UMP als Wahlkampfmaschine übernehmen könne. Dass sich Fillon und Copé derzeit diskreditieren, kann ihm nicht unlieb sein; wenn als Folge dieses Streites aber die ganze UMP auseinanderbrechen sollte, wäre auch Sarkozy ein Verlierer der aktuellen Vorgänge.

Aber auch aus wirtschaftspolitischer Sicht sind die Vorgänge in der UMP wichtig. Auf der extremen französischen Rechten befindet sich der Front National (FN) weit von einer marktwirtschaftlichen Ausrichtung entfernt. In der Mitte des politischen Spektrums versucht der ehemalige Minister Jean-Louis Borloo gerade, eine neue Partei (UDI) zu verankern, die so liberal und proeuropäisch ist, wie man das als Partei in Frankreich sein kann. Zwischen dem FN und der UDI betrachtet sich die UMP als führende Partei der bürgerlichen Rechten. In ihr gibt es aber durchaus eine nicht unbedeutende Strömung, die man als globalisierungs- und marktwirtschaftskritisch bezeichnen kann. Copé gilt als etwas weiter “rechts” als Fillon.

 

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Und nun noch eine wirklich traurige Nachricht: Wie Nachrichtenagenturen aus Paris melden, ist heute der Chefredakteur der Zeitung “Le Monde”, Erik Izraelewicz, im Alter von 58 Jahren an den Folgen eines Herzanfalls gestorben. Ich habe Erik während meiner Zeit als Wirtschaftskorrespondent der F.A.Z. in Paris (1995 bis 2004) kennen und schätzen gelernt. Erik, aus Straßburg stammend und als ausgebildeter Journalist wie als promovierter Ökonom ein Mann vom Fach, hat für einen Wirtschaftsjournalisten eine beeindruckende Laufbahn im französischen Medienwesen hingelegt: Er war erst bei “Le Monde”, unter anderem als Korrespondent in Washington, dann als Ressortleiter Wirtschaftspolitik bei der Wirtschaftszeitung “Les Echos”, anschließend Chefredakteur der Wirtschaftszeitung “La Tribune” und seit 2011 Chefredakteur von “Le Monde” – eine der angesehensten Positionen im französischen Journalismus. Erik strahlte Ruhe, Souveränität und Kompetenz gleichermaßen aus; er war ein Mann der Analyse und nicht des wilden Wortes und außergewöhnlich gut vernetzt. In den neunziger Jahren hatte er ein sehr schönes Buch (“Le capitalisme zin-zin”) über die damalige Transformation des französischen Kapitalismus geschrieben, von dessen Insiderkenntnissen ich als ausländischer Journalist sehr profitiert habe. R.I.P.

Le Monde hat einen sehr schönen Nachruf, der am Anfang André Malraux zitiert: “Il ne faut pas neuf mois, il faut soixante ans pour faire un homme, soixante ans de sacrifices, de volonté, de… de tant de choses !”