Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Wie gefährlich sind die Netz-Monopole? Einige Gedanken

Es ist Zeit, über die Monopole im Internet nachzudenken, war mein erster Satz in einem Kommentar aus Anlass des Leistungsschutzrechts – über die von Google, Facebook, Amazon und so weiter. Inzwischen sind einige Reaktionen auf diesen Kommentar gekommen; ein wunderbarer Anlass, weiter nachzudenken.

© dpaMonopoly (Foto: dpa)

Dieser Beitrag antwortet auf die diversen Reaktionen. Die Gedanken hier erheben nicht den Anspruch, der Weisheit letzter Schluss zu sein. Sie erheben im Gegenteil den Anspruch, unstrukturiert und vorläufig zu sein und sich jederzeit ändern zu dürfen.

Der Ausgangspunkt: Google, Facebook und Co. sind neuartige Monopole.

Das liegt daran, dass Monopole im Netz mit einer unglaublichen Geschwindigkeit wieder abgelöst werden. Wir haben uns daran gewöhnt.

Früher diskutierten alle über Microsoft, doch dessen Marktmacht macht heute kaum noch jemandem Angst. Das liegt aber nicht daran, dass wir viel Konkurrenz unter den PC-Betriebssystemen hätten. Sondern nur daran, dass dieses Monopol inzwischen viel unwichtiger ist. Stattdessen wurde Microsoft von einem neuen Monopolisten abgelöst: Google.

Im nächsten In-Feld, den Social Networks, hat sich ebenfalls ein Monopolist ergeben: Facebook. Wer das Internet nutzt (ob privat oder für die Arbeit), der steht immer Monopolen gegenüber. Nur die Namen wechseln.

Was für ein Monopol ist das? Ein natürliches.

Googles Sprecher Kay Oberbeck twittert:

@PatrickBernau Schon erstaunlich, dass noch nicht einmal Sie die Definition eines Monopols kennen. Oder nicht kennen wollen.

Das lässt sich klären. Google hat ein “natürliches Monopol“. Das entsteht, wenn die Einmalkosten in einem Geschäft hoch sind, aber der einzelne Kunde danach kaum noch Kosten verursacht (“positiver Skaleneffekt“). Lehrbuch-Beispiel ist der Betrieb von Wasserleitungen. In Googles Fall ist es teuer, den Index der Webseiten anzulegen und Serverfarmen aufzubauen. Es ist auch teuer, eine hervorragende Such-Software zu entwickeln. Darüber muss man nachdenken.

In einem neuen Tweet weist mich Kay Oberbeck auf einen Beitrag von Hal Varian hin, in dem er seine Sicht auf die Monopolfrage erläutert. Auch Hal Varian landet dabei: Google hat die Such-Software als entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Anders als Hal Varian würde ich allerdings darüber nachdenken, das zu den “economies of scale” zu zählen oder zu den “Markteintrittsbarrieren”, die anderen Firmen die Konkurrenz erschweren. Justus Haucap, der Chef der Monopolkommission, weist darauf hin, dass in der theoretischen Literatur ein Streit über genau diese Markteintrittsbarrieren herrscht und über die Frage, ob die Datenbestände solche Markteintrittsbarrieren sind.

(Facebooks Monopol ist theoretisch stärker, Facebook hat einen Netzwerkeffekt.)

Warum sind die Nutzer trotzdem so zufrieden? Weil natürliche Monopole hinterhältig sind.

Das fiese an natürlichen Monopolen ist, dass sie ganz von selbst entstehen, weil sie im ersten Moment so kundenfreundlich sind. In den Leserkommentaren auf FAZ.NET schreibt Tom Wagner:

Google, Amazon und Facebook sind deshalb so beliebt, weil sehr viele Menschen der Meinung sind, daß diese Unternehmen etwas tun, was ihnen dient.

Das ist wahr. So entstehen natürliche Monopole. Im Lehrbuch-Beispiel von den Wasserleitungen gibt es einen Anbieter, der zuerst ein großes Leitungsnetz hat und darum die Preise aller anderen unterbieten kann. So hat auch Google, das als erste Suchmaschine einen guten Algorithmus hatte, den Markt erobert. Jetzt hat Google die Gewinne und die Kapazitäten, seine Seiten mit enormer Geschwindigkeit auszuliefern und  die Suchmaschine immer weiter zu entwickeln. Konkurrenten probieren immer wieder, dagegen anzukommen, aber Google hat bisher den technischen Vorsprung behalten und so die Kunden an sich gebunden.

Googles und Facebooks unterschiedliche Partner – warum es nicht reicht, auf die Nutzer zu schauen

Christoph Kappes twittert:

@KayOberbeck Der @PatrickBernau verwechselt wohl den Marktanteil beim Suchprodukt mit dem Werbemarkt? Klassiker.

Nein, das ist keine Verwechslung. Werbung und Suche sind unterschiedliche Perspektiven, die man auseinanderhalten muss. Das verkompliziert die Sache.

Medien, so sagt man, arbeiten auf einem “zweiseitigen Markt“, weil Erfolg auf Leser- und Werbemarkt miteinander zusammenhängen. Ich würde die Betrachtung hier noch um eine dritte Seite erweitern. Wir haben dann:

  • Anbieter von Werbeplätzen: Hier herrscht wohl kein Monopol.
  • Anbieter von Informationen für Nutzer: Hier haben Google und Facebook ein natürliches Monopol gegenüber den Nutzern, die Nutzer könnten aber theoretisch abwandern.
  • Nachfrager von Informationen von Webseiten für Nutzer: Hier hat Google das Suchmaschinen-Monopol, Facebook das Social-Network-Monopol; die Webseiten-Betreiber können aber gerade nicht abwandern; die Entscheidung darüber, welcher Suchmaschinenbetreiber und welches Social Network relevant sind, liegt nicht bei ihnen.
    Interessant ist ja, wie Webseiten-Anbieter ihre Google-Plus-Accounts pflegen, obwohl das Netzwerk kaum Bedeutung hat. Das hat seinen Grund: Google rankt Seiten schneller und/oder besser, wenn sie in Google Plus verlinkt sind.
    Zweiseitige Märkte tendieren dazu, die ganze Macht der knapperen Seite zu überlassen. Möglicherweise ist das auch hier der Fall, dann hätte die Ohnmacht der Webseiten-Betreiber einen theoretischen Grund.
    (Die Geschichte wird noch komplizierter, weil die Webseiten-Anbieter an anderen Stellen wieder Konkurrenten von Google sind.)

Ist es das, was du als Plattform bezeichnest, Torsten Kleinz?

Noch mal komplizierter wird es übrigens, weil Google als Nachfrager von Werbeplätzen (“Adsense”) eine wichtige Rolle für kleinere Webseiten spielt.

Was sind die Folgen? Sie sind gravierender, als man denkt.

Rainer Großmann merkt in zwei Tweets an:

Unfassbar, wie Google uns Suchende durch die hohen Preise pro Suchbegriff ausbeutet!

@PatrickBernau @ChristophKappes @KayOberbeck Und wo sehen Sie den Schaden für die Verbraucher?

Auch natürliche Monopole können dem Nutzer schaden. Bleiben wir beim Beispiel Google, und nehmen wir mal an, es gäbe ähnlich beliebte Wettbewerber. Dann würde möglicherweise …

  • … die Suche schneller verbessert. Zum Beispiel im Bestreben, von einer reinen Wortsuche wegzukommen und dafür zu sorgen, dass der Computer die Suchanfrage wirklich versteht. Google ist auf dem Weg, aber mit einem ordentlichen Konkurrenten im Nacken würde es wahrscheinlich schneller gehen. Jetzt jedenfalls bleibt immer noch ein ordentlicher Gewinn (Umsatzrendite ca. 20 Prozent, Eigenkapitalrendite 15 Prozent), der nicht in die Weiterentwicklung gesteckt wird.
  • … der Datenschutz verbessert. Konkurrenten, die ebenso gute Suchergebnisse liefern, könnten mit Nutzerdaten strikter umgehen.
  • … die Meinungsvielfalt gestärkt. Bisher definiert für die meisten Leute allein Googles Algorithmus, was zu einer Suchanfrage als relevant gilt. Müssen zur Suchanfrage “Monopoly” gleich zwei Amazon-Angebote unter den ersten zehn Links auftauchen, dafür keine Seite zur Strategie? Vielleicht ist das so. Auf jeden Fall würde es nicht schaden, eine stärkere zweite oder Meinung zu haben.

Das waren nur die direkten Effekte im Verhältnis zum Nutzer. Doch es gibt auch indirekte Effekte, die aus dem Verhältnis zum Seitenbetreiber stammen. Gäbe es mehrere Suchmaschinen, dann könnten wir auch auf zusätzliche (oder bessere) Suchergebnisse hoffen, also zusätzliche oder bessere Blog-Beiträge und Online-Artikel. Dafür gäbe es folgende Wege:

  • Suchmaschinen-Optimierung (SEO). Weil Google so stark ist, konzentriert sich eine ganze Branche darauf, Artikel nach Googles Wünschen anzulegen. Suchmaschinen-Optimierer nutze jede Nachlässigkeit in Googles Algorithmus aus. Das treibt die seltsamsten Blüten. Mancher beschäftigt Studenten, die nichts tun, als alle paar Stunden die Titel seiner Artikel zu ändern. Weil Googles Algorithmus das honoriert. Manche Blogbeiträge lesen sich mehr wie für die Maschine geschrieben als für den Menschen. Weil Googles Algorithmus das honoriert. Und weil Googles Algorithmus das honoriert, sehen wir oft genau diese Blüten ganz oben in den Trefferlisten. Wäre Google weniger mächtig, würden sich solche Aktionen weniger lohnen (und die Seitenbetreiber könnten die Energie in die Produktion sinnvoller Inhalte stecken).
  • Einkünfte. Wäre die einzelne Suchmaschine weniger mächtig, könnten die Webseitenbetreiber evtl. sogar ganz ohne Gesetz das durchsetzen, was die Verlage mit dem Leistungsschutzrecht wollten: eine Honorierung für die Snippets. Stellen wir uns mal vor, die Suchmaschinen würden beliebte Blogger für ihre Links bezahlen. Dann könnten einige aus ihrer Liebhaberei einen Beruf machen, sich voll aufs Bloggen konzentrieren – und wir hätten mehr von ihnen zu lesen.

Was tun?

Justus Haucap, der ehemalige Chef der Monopolkommission, twittert:

@PatrickBernau Ja, stimmt, #Google ist mächtig, aber dafür gibt es #Kartellrecht. Googles Marktmacht ist kein Problem des Urheberrechts.

Über das Recht müssen wir nachdenken. Auf der Höhe der Zeit ist es wahrscheinlich nicht. Aber bisher habe ich noch keine Idee, wie das Recht aussehen sollte, das sich mit den Ursachen all dieser Diskussionen befasst: dem natürlichen Monopol.

  • Dem Markt überlassen? Das wird nicht komplett funktionieren. Schon lange herrscht Einigkeit darüber, dass Monopole überwacht werden müssen, weil anderes zu viel Wohlstand kostet. Vor allem natürliche Monopole sind ein theoretisch definierter Fall von Marktversagen; hier herrscht nicht einfach nur Geschrei, weil einem die Entscheidungen der Kunden nicht passen. Eine Aktion ist wahrscheinlich nötig.
  • Verstaatlichen? Das wurde auf Google Plus vorgeschlagen. Es ist die klassische Lösung für natürliche Monopole. Doch ich bin davon überhaupt nicht überzeugt. Bisher können die Kartellbehörden nicht mal bei der Kontrolle mit der technischen Entwicklung Schritt halten. Es ist unwahrscheinlich, dass der Staat so eine dynamische Entwicklung schaffen würde.
  • Regulieren? Was genau, und nach welchen Kriterien? Da müssen wir weiterdenken. Das Problem an der Regulierung ist ja, dass sie leicht übers Ziel hinausschießt. Das wäre nicht gut.

Lauert jederzeit die Konkurrenz? Das ist die entscheidende Frage.

Ein altes – und durchaus richtiges – Argument ist: Die Konkurrenz lauert gleich um die Ecke. Wenn Google oder Facebook sich zu weit zurücklehnen, kommt schnell ein Konkurrent auf. Die Ökonomik kennt dieses Argument als “Theorie bestreitbarer Märkte” (“Contestable Markets”). Mein Kollege Till Neuscheler hat mich in einer privaten Mail noch mal auf die Bedeutung dieser Frage hingewiesen. Ich sehe im Moment drei Teilfragen:

  • Wie angreifbar sind die Monopole wirklich? Bisher war es immer so, dass nach einiger Zeit des Suchens (wir erinnern uns an die Suchmaschinen Altavista oder Hotbot, an die Social Networks Friendster oder Myspace) sich ein Anbieter durchgesetzt hat, der nicht mehr vom Thron zu verdrängen war. Weil sein Entwicklungsvorsprung nicht mehr aufzuholen war und zur Marktzutrittsschranke für andere wurde. (Das entspricht sogar ziemlich der Argumentation von Hal Varian, auf die Kay Oberbeck mich hingewiesen hat.) Monopole wurden nicht aufgelöst, sie wurden höchstens irrelevant.
  • Welche Rolle spielt es, dass Macht auf einer Marktseite Macht auf der anderen Marktseite mit sich bringt? Also: Wie wichtig ist es, dass sich Webseitenbetreiber hilflos einem Monopol gegenübergestellt sehen?
  • Welche Rolle spielt es, dass eine Konkurrenzsituation quasi nie zu erreichen ist? Denn: Hätte ein anderer Konkurrent Erfolg, würde nur das Monopol ausgewechselt.

 

Wie sehen Sie das? Ich bitte um Gegenstimmen, Kommentare, Anmerkungen, Fragen (und über Zustimmung freue ich mich auch).

 

 

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