Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Das spanische Paradoxon (3): Reformen und Versäumnisse im Überblick

Spanien hat bisher mehr reformiert als oft gedacht. Aber Vieles bleibt noch zu tun - wichtig ist vor allem ein Mentalitätswandel. Juergen B. Donges, ehemals Vorsitzender der Fünf Weisen, hat die Lage Spaniens analysiert. FAZIT zeichnet seine Analyse nach.

“Spanien hat die Chance, die Krise zu überwinden und nicht länger ein Problemfall für die Europäische Währungsunion zu sein. Ein Selbstläufer ist das allerdings schon deshalb nicht, weil ein parteienübergreifender Reformkonsens unwahrscheinlich ist. … Die fiskalischen und strukturellen Anpassungen sind auf gutem Weg. Kommt ein breit angelegter Mentalitätswandel hinzu, werden letztendlich alle gewinnen.”
Juergen B. Donges

 

1. In einem Beitrag für die Ludwig-Erhard-Stiftung nennt Juergen B. Donges – ehemals Mitarbeiter Herbert Gierschs am Kieler Institut für Weltwirtschaft, dann viele Jahre Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Köln und zudem Mitglied und schließlich Vorsitzender des Sachverständigenrats (“Fünf Weise”) – drei notwendige Bedingungen für einen Erfolg Spaniens:
– die Regierung muss den Spar- und Reformkurs fortsetzen
– Banken und Unternehmen müssen entschieden auf Effizienz und Innovation setzen
– die Bevölkerung muss begreifen, dass Wohlstand nicht auf Pump gebaut werden kann und die bereits realisierten und noch bevorstehenden Einschränkungen des Lebensstandards die Korrektur früherer Exzesse und überzogener Ansprüche an den Staat darstellen.

2. Seit dem Amtsantritt der Regierung Rajoy hat es Reformen des Arbeitsmarkts gegeben. Dazu zählen:
– Einführung von Probezeiten, größerer Spielraum für Teilzeitarbeit und Kurzarbeit sowie Mini-Jobs für Jugendliche
– nachlassende Breitenwirkung von Tarifverträgen und mehr Spielraum für Betriebsvereinbarungen
– Verkürzung der Kündigungsfristen und Reduzierung der Abfindungen bei betriebsbedingten Kündigungen
– Zulassung privater, gewerbsmäßiger Anbieter in der Arbeitsvermittlung
– Reduzierung des Arbeitslosengeldes ab dem siebten Monat der maximal zweijährigen Bezugsdauer
– ein System der dualen Berufsausbildung nach deutschem Vorbild soll eingeführt werden.
Donges: “Die Richtung hin zu mehr Flexibilität stimmt. Bei  einer Verbesserung der allgemeinen Wirtschaftslage wird sich der Arbeitsmarkt schnell erholen können. Mehr als ein Wermutstropfen ist die zum Jahresanfang 2013 verfügte Erhöhung des … gesetzlichen Mindestlohns um 0,6 Prozent auf 645,30 Euro monatlich. Für gering qualifizierte Arbeitnehmer könnten sich dadurch die Beschäftigungschancen verschlechtern.” Donges mahnt eine gesetzliche Verankerung des Streikrechts an und trifft zudem die Feststellung, dass die offiziellen Arbeitslosenzahlen die unzweifelhaft vorhandene Misere am Arbeitsmarkt überzeichnen.

3. Hier sind noch eine Reihe von Reformen aus anderen Bereichen:
– Erhöhung der Beitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung, schrittweise Erhöhung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre und Einschränkung der Frühverrentung
– Eindämmung der Ausgaben für Arzneimittel und Einführung einer Rezeptgebühr außer für Rentner
– Abbau von Subventionen für die Stromversorger und Erhöhung der regulatorisch gedeckelten Tarife für die Verbraucher
– Freigabe der Ladenöffnungszeiten im Einzelhandel
– strengere Leistungsstandards in den allgemeinbildenden Schulen und Förderung von Fremdsprachen

4. In der Finanzpolitik, die unter anderem mit Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen arbeitet, sieht Donges Licht und Schatten: “Aber alles in allem sind die Konsolidierungsbemühungen enorm. Das Primärdefizit *)  im gesamtstaatlichen Haushalt wurde 2012 deutlich zurückgeführt, das strukturelle Defizit ebenfalls.Ein positives Signal ist auch, dass es inzwischen für den spanischen Staat eine gesetzliche Schuldenbremse gibt.” Auf der Passivseite der Bilanz verzeichnet Donges große Unsicherheit angesichts des künftigen Verhaltens der spanischen Regionen,  von denen acht “nach Jahren beispielloser Misswirtschaft samt Korruption und Nepotismus in eine akute Haushaltsnotlage geraten” sind.

5. Zu den Aussichten der spanischen Kreditwirtschaft schreibt der Ökonom nach einer Zusammenfassung der jüngsten Ereignisse: “Wenn alles nach Plan verläuft … könnten nach heutigen Schätzungen am Ende des Anpassungsprozesses nur noch 9 on ehemals 50 selbständigen Geldinstituten übrig sein. … Insgesamt wird die Branche deutlich schrumpfen.”

6. Kritisch äußert sich Donges zur Glaubwürdigkeit der Reformpolitik der Regierung Rajoy. Sie habe zwar die Notwendigkeit von Reformen erkannt, nutze aber Deutschland als Buhmann und habe sich gegenüber den europäischen Partnern wankelmütig gezeigt. Statt dessen müsse die Reformpolitik von einem Mentalitätswandel in Spanien begleitet werden, um an Akzeptanz und Wirksamkeit zu gewinnen.

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*) Das Primärdefizit errechnet sich aus dem Saldo von Staatseinnahmen und Staatsausgaben ohne Berücksichtigung der Zinsausgaben.

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In der FAZIT-Reihe “Das spanische Paradoxon” sind bisher erschienen:
Teil 1: Warum steigen die Exporte, obwohl die Wirtschaft (angeblich) nicht wettbewerbsfähig ist?
Teil 2: Spanien muss sich aus der Krise exportieren

In der Portugal gewidmeten FAZIT-Reihe “Lissaboner Langlauf” erschien kürzlich:
Teil 4: Wie Kapitalzuflüsse schaden können (mit Links zu den ersten drei Teilen)