Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Geldpolitik mit dem Mundwerk

Die Notenbanker können die Zinsen nicht weiter senken. Jetzt kämpfen sie mit Worten - und mit Versprechungen mit ungewissem Wert. Der Sonntagsökonom.

„Die Europäische Zentralbank steht bereit, im Rahmen unseres Mandats alles zu tun, um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie mir, es wird genug sein.“ Wie auch immer die Eurosaga ausgehen oder enden wird, mit diesen Worten hat sich EZB-Präsident Mario Draghi im vergangenen Sommer einen Platz im Geschichtsbuch der Notenbanker errungen. Es ist das wohl weitreichendste Versprechen in der jüngeren Geldpolitik. Und Draghi ließ auf die Worte Taten folgen – mit dem Ankaufprogramm von Anleihen reformwilliger Krisenstaaten. Eingesetzt hat die EZB das freundliche Folterinstrument, mit dem sie Reformen erzwingen will, indes noch nicht. Doch die Finanzhändler nahmen schon Draghis Wort für bare Münze. Die Verspannungen an den europäischen Finanzmärkten sind seit seiner Verheißung geringer geworden.

© Alfons Holtgreve 

Das Versprechen von Super-Mario ist ein besonders krasses Beispiel dafür, wie Notenbanker seit der Finanzkrise versuchen, mit Worten und verbalen Zusagen die Märkte zu beeinflussen. Mit dem Leitzins nahe null Prozent und keiner Möglichkeit, den Zins weiter zu senken, haben sie auf der Suche nach neuen Instrumenten das Reden entdeckt. Scheinbar wird die Kommunikation wichtiger, oder – unfreundlicher formuliert – die Geldpolitik verkommt zur Schwatzbude, in der jedes Wort noch mehr als früher auf die Papiergeldwaage gelegt wird. Die Hoffnungen richten sich darauf, mit verbalen Zusagen den Leitzins noch lange niedrig zu halten oder die Anleihekäufe noch lange fortzusetzen, die langfristigen Zinsen noch einen Hauch zu drücken und der Wirtschaft noch ein wenig mehr Anschub zu geben. Von „guidance“ sprechen die Notenbanker, was sich am besten mit Orientierungshilfe oder geldpolitischer Führung übersetzen lässt.

Der Trend, an der Nullzinsgrenze mehr zu reden und sich verbal für die Zukunft geldpolitisch zu binden, hat einen Pionier: die Bank von Japan. Sie deutete schon 1999 an, den Leitzins so lange bei null Prozent zu halten, bis Deflationssorgen vertrieben seien. Mark Carney, der scheidende Gouverneur der Bank von Kanada und künftiger Gouverneur der Bank von England, nennt das die erste Generation der verbalen Führung. Die zweite Generation schuf Carney ein Jahrzehnt später selber, als die Bank von Kanada im April 2009 versprach, den Leitzins bis zum zweiten Quartal 2010 bei 0,25 Prozent zu halten. Neu war nicht nur die zeitliche Festlegung, sondern auch die Nebenbedingung, dass die Einhaltung des Versprechens von der erwarteten Entwicklung der Inflation abhängen werde.

Die dritte Generation der verbalen Führung gebar im vergangenen Dezember die amerikanische Federal Reserve, als sie die Abkehr von der Nullzinspolitik davon abhängig machte, dass die Arbeitslosenquote auf 6,5 Prozent oder weniger sinke. Die Fed verknüpfte diese Verheißung mit der Nebenbedingung, dass die mittelfristig erwartete Inflationsrate 2,5 Prozent nicht überschreite. Damit lockerte sie zugleich das Inflationsziel von 2 Prozent, das sie sich erst Anfang 2012 gegeben hatte.

Die Finanzhändler hören solche Versprechen der ausgedehnten Niedrigzinspolitik gerne. Studien deuten darauf hin, dass die Notenbanken mit ihren Versprechungen die Zinserwartungen an den Märkten beeinflussen und den erwünschten Effekt entfalten. Doch ist die Wirkung der reinen Worte nicht immer sauber zu trennen von anderen geldpolitischen Änderungen. Beeindruckte die Fed im Dezember 2012 die Händler mehr mit der Bindung der Nullzinspolitik an die Arbeitslosenquote oder mit der faktischen Aufgabe ihres Inflationsziels? Auch Carney selbst weist darauf hin, dass die verbale Führung und befristete Niedrigzinszusage der Bank von Kanada auch deshalb gewirkt habe, weil die Notenbank zugleich ihre Liquiditätshilfen entsprechend verlängerte.

Die entscheidende Frage aber ist, was die Versprechungen wirklich wert sind. Werden die Notenbanken sich künftig an frühere Zusagen der Niedrigzinspolitik halten, selbst wenn etwa Inflation droht? Otmar Issing, der frühere Chefvolkswirt von Bundesbank und der Europäischen Zentralbank, hat daran große Zweifel. Er glaubt nicht, dass Notenbanker sich allein mit verbalen Verrenkungen über lange Zeit glaubwürdig binden können.

Schon der simple Blick auf das Hin und Her der Federal Reserve in den vergangenen Jahren bestätigt die Zweifel an der Bindungskraft der verbalen Orientierungshilfen. Erst versprach die Fed im Dezember 2008 niedrige Zinsen „für einige Zeit“, dann im März 2009 für „ausgedehnte Zeit“. Im August 2011 verhieß sie einen Nullzins bis „mindestens Jahresmitte 2013“, im Januar 2012 bis „mindestens spät im Jahr 2014“, im September bis „mindestens Jahresmitte 2015“. Dann wechselte die Fed im Dezember von der Befristung auf die implizite Zielvorgabe der Arbeitslosenquote und tat so, als ob sie den Arbeitsmarkt tatsächlich steuern könne. Wie dieser stete Wandel der Versprechungen und das Herumprobieren der Fed die erwünschte Sicherheit und Zuversicht über die künftige Geldpolitik bringen soll, ist nicht nur Issing ein Rätsel.

Vor allem aber können die langfristigen verbalen Verheißungen, die in der „modernen Geldpolitik“ so in Mode sind, das Problem der Zeitinkonsistenz nicht lösen. Volkswirte meinen damit Folgendes: Eine Notenbank kann heute alles mögliche für die Zukunft zusagen. Wenn morgen aber Inflationsrisiken höhere Zinsen erfordern, sind die Versprechungen von heute gegenstandslos oder Worte ohne Inhalt. Anders gesagt: Die Notenbanker versprechen heute das Blaue vom Himmel herab und wissen doch, dass sie es morgen im Ernstfall nicht einhalten werden können und dürfen. Die geldpolitischen Erwartungen des Publikums lassen sich glaubwürdig nicht dadurch verankern, dass Notenbanker eine feste Zahl für den Leitzins ankündigen. Dafür bedürfe es schon einer glaubwürdigen geldpolitischen Strategie, die vom Publikum verstanden werde, betont Issing. Damit hat er wohl recht. Den Finanzhändlern ist das freilich egal. Sie lassen sich gerne auf das bloße Spiel der Notenbanker mit den Worten ein und hecheln nach mehr.

Mark Carney (2013): Monetary Policy after the Fall. Eric J. Hanson Memorial Lecture University of Alberta, Edmonton.

Otmar Issing (2013): A New Paradigm for Monetary Policy? CFS Working Paper No. 2013/02.

Der Beitrag erschien als “Sonntagsökonom” in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 19. Mai. Die Illustration stammt von Alfons Holtgreve.