Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Braucht der Markt Moral? Oder hat er sie sowieso?

Ohne Moral könnten Märkte gar nicht bestehen, glaubt der Philosoph Axel Honneth. Trotzdem reicht ihm die Sozialpolitik nicht.

© Bunnyfrosch, CC-by-SA 3.0Axel Honneth

Ein Philosoph an der Börse: Hegel-Kenner Axel Honneth, der in Frankfurt und New York lehrt, hat am Mittwochabend in den Räumen der Alten Börse in Frankfurt seine Sicht auf Märkte und ihre normativen Grundlagen vorgetragen. Die aktuelle Sozialpolitik hält er nicht für ausreichend. Er verweist aber darauf, dass schon mit dem Beginn der Marktwirtschaft das Für und Wider diskutiert worden ist: Die Befreiung aus feudalen Abhängigkeiten gegen eine Auflösung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Heute sieht Honneth drei Deutungsmuster für das Marktgeschehen:

Die erste Deutung ist die vom Homo Oeconomicus. Ziel des Marktgeschehens ist die Effizienzsteigerung, der Wohlstand mehrt sich durch eine unsichtbare Hand – doch Moral ist nicht Teil des Wirtschaftsgeschehens, die Akteure handeln nutzenmaximierend. Honneth beschreibt das mit dem Milton-Friedman-Satz: “Die einzige gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen ist, ihre Gewinne zu steigern.” Das Problem an dieser Deutung beginnt für ihn schon mit der Frage, ob das Ausgehen von einer reinen Nutzenmaximierung in dieser Sichtweise empirisch oder normativ ist. Für eine empirische Beschreibung sei das Modell zu fehlerhaft, als normatives Modell eigne es sich aber auch nicht.

Nach der zweiten Deutung brauchen Märkte eine sittliche Einbettung durch die Moral, ohne könnten sie gar nicht bestehen. Diese Deutung schreibt er auch Adam Smith zu, zudem einigen Wirtschaftssoziologen wie Émile Durkheim und Jens Beckert. Er nennt die Betrachtungsweise, der er selbst zuneigt, “moralischen Ökonomismus”. Die Sittlichkeit, in die die Märkte eingebettet sind, kann Markt-ermöglichend, Markt-begleitend und Markt-begrenzend sein. Vor allem den Markt-ermöglichenden (wechselseitige Anerkennung) und den Markt-begrenzenden (Kündigungsschutz etc.) Sitten schreibt er große Bedeutung zu. Diese Sitten gehörten zu einem rational verfassten Markt, müssten aber oft durch soziale Kämpfe etabliert werden, zum Beispiel durch die Arbeiterbewegung. Auf solchen Märkten müssten aber alle Teilnehmer in eine Position versetzt werden, sich als freie Akteure freiwillig am Markt zu bewegen. Diese Forderung sei hoch anspruchsvoll, der Sozialstaat habe sie nur in Teilen verwirklicht. Vor allem aber kritisiert Honneth, dass an vielen ökonomischen Lehrstühlen diese Werte nicht berücksichtigt werden: “Der Markt ist wesentlich anspruchsvoller und voraussetzungsreicher, als es seine offiziellen Theoretiker wahrhaben wollen.”

Nach einer dritten Deutung, die Honneth “marxistische Deutung” nennt, löst der Markt sein Versprechen auf höheren Wohlstand nicht ein und auch das auf individuelle Freiheiten nicht. Statt dessen gebe es eine Abhängigkeit von den Kapitalgebern. Das Marktsystem sei zu Moral gar nicht in der Lage. Das allerdings will Honneth nicht anerkennen, schon die Prämissen der mit dieser Position verbundenen Arbeitswerttheorie seien fragwürdig. Kreative Beschäftigungen und Dienstleistungen würden zu wenig berücksichtigt. Er empfiehlt der Occupy-Bewegung und anderen Markt-Kritikern, eher auf die Moral in Märkten hin zu argumentieren. Denn die Menschen könnten sich heute gar keine nach-marktliche Welt mehr vorstellen könnten (außer der Planwirtschaft).

Update: Den Vortrag gibt es auch als Video.