Warum gibt Deutschland so viel für seine Kultur aus? In Deutschland gibt es mehr als 80 feste Opernensembles, fast so viele wie im gesamten Rest der Welt. Das ist kein Wunder. Ein internationaler Überblick hat schon in den 90er Jahren gezeigt: Nur Finnland subventioniert seine öffentlichen Bühnen großzügiger als Deutschland. All diese Subventionen helfen den Armen kaum, denn die gehen selten in die Oper.
Warum also gibt Deutschland so viel Geld aus? Liegt es an seiner großen Kulturtradition (die auch andere Länder haben)? Ist der deutsche Staat so reich? Oder wurde er nur zur falschen Zeit arm, als die Opernförderung schon beschlossen war? Zwei Forscher stellen jetzt in einer Studie eine ganz andere Erklärung zur Diskussion: Es liegt daran, wie die deutschen Städte finanziert sind. Es liegt – kurz gesagt – an den Vorlieben der gebildeten Deutschen und an der Gewerbesteuer.
Diese These stellen die Autoren in der kommenden Woche auf der Jahrestagung der deutschen Ökonomen in Düsseldorf zur Diskussion. Auf dieser Tagung sprechen die Volkswirte nicht nur über die Euro-Krise (die Europäische Zentralbank hat den Zins bisher immer so gehalten, dass er für Länder in der Rezession gut war, aber für Länder im Aufschwung zu tief) und über Wahlkampfvorschläge wie den Mindestlohn (dass der die Armen reicher macht, ist überhaupt nicht sicher, denn Arbeitsplätze sind gefährdet und viele Mindestlohnempfänger stammen ohnehin aus Familien mit mittleren Einkommen). Es geht bei dem Treffen nicht nur um solche brennenden Themen, sondern auch um grundsätzlichere Fragen, die einiges über Deutschland aussagen.
Der Nürnberger Ökonom Thiess Büttner und sein Mannheimer Kollege Eckard Janeba haben sich die Bühnensubventionen vorgenommen. Dort werden vergleichsweise große Summen bewegt. Für jeden Euro, den Opern und Theater an Eintritt und Sponsorengeldern einnehmen, zahlt die öffentliche Hand laut der jüngsten Theaterstatistik vier Euro Förderung obendrauf. Spötter sagen: Für das Geld, mit dem manches Opernticket bezuschusst ist, könnte man seinem Besitzer ein Flugticket nach Mailand schenken, ein Ticket in der „Scala“ kaufen und ein Abendessen bezahlen – es bliebe trotzdem noch Geld für die Armen übrig. Diese hohen Zuschüsse stammen zu fast zwei Dritteln von den chronisch klammen Kommunen.
Warum geben sie so viel Geld aus für ein Programm, das nur von einer reichen Minderheit wirklich genutzt wird? Wenn man Armen den Zugang zur Oper ermöglichen will, warum reduziert man die Ticketpreise nicht speziell für sie? Warum gehört es zu den Konstanten der öffentliche Debatte, dass eine ernstzunehmende Stadt öffentlich subventionierte Bühnen braucht, am besten gleich mehrere?
Die Ökonomen Thiess und Janeba finden eine Erklärung, indem sie auf die Vorlieben der gebildeten Deutschen blicken. Die unterscheiden sich von den weniger gebildeten Leuten zum Beispiel in zwei Eigenschaften: Erstens wechseln die Gebildeten ihren Wohnort deutlich häufiger. Und zweitens legen sie beim Umziehen deutlich mehr Wert darauf, dass ihr neuer Wohnort ein vielfältiges Kulturangebot hat. In einer Rangliste der Gründe für die Wohnortwahl steht die Kultur bei den Gebildeten auf Rang vier, übertroffen nur von der Arbeit, persönlichen Beziehungen (die eine Stadtverwaltung schwer beeinflussen kann) und einer schönen Umgebung (an der eine Stadtverwaltung auch wenig tun kann).
Nun sind gebildete Leute oft knapp und heftig umworben. Das hat drei Gründe. Erstens ist Bildung als Verdienstchance in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden, zweitens entstehen in Regionen mit vielen gebildeten Leuten oft zusätzliche Arbeitsplätze für weniger gebildete, und drittens verdienen die gebildeten mehr und bringen der Stadt so mehr Geld, denn sie bekommt (vereinfacht beschrieben) 15 Prozent der Einkommensteuer ihrer Einwohner. Dass Städte über die Einkommensteuer miteinander konkurrieren, ist nicht vorgesehen. Steuerkonkurrenz gibt es nur in der Grundsteuer und der Gewerbesteuer.
Wie also lockt eine Kommune die begehrten, hochmobilen gebildeten Leute an, wenn sie ihnen keinen Steuerrabatt gewähren kann? Sie versüßt ihnen das Leben, vor allem indem sie Kulturangebote nach deren Wünschen subventioniert – und das sind nicht zuletzt Theater und Opern.
Offenbar funktioniert das auch in der Praxis. Büttner und Janeba haben ausgerechnet: Wenn eine Stadt ihre Bühnensubventionen um 100 Euro pro Einwohner und Jahr steigert, kommen viel mehr gebildete Leute in die Stadt. Die Folge ist ein schärferer Wettbewerb der schlauen Leute um die Stellen. Sie machen Zugeständnisse beim Gehalt um, wie die Forscher ermittelten, durchschnittlich sechs Prozent.
Dabei sind zusätzliche Einflussfaktoren wie die Bevölkerungsdichte einer Stadt oder ihr allgemeines Wohlstandsniveau berücksichtigt. Von den zusätzlichen gebildeten Leuten profitieren aber die anderen: Die Gehälter der schlechter gebildeten Leute steigen um vier Prozent.
Am Ende verlieren die Reichen aber mehr Geld, als die Armen gewinnen, und die Stadt zahlt auch noch dafür – nach einem guten Geschäft klingt das nicht.
Die beiden Forscher haben auch ein Modell entwickelt, mit dem sie verschiedene Systeme der Gemeindefinanzierung theoretisch vergleichen können. Und sie rechnen vor, dass die deutschen Kommunen in ihrem Wetteifer wahrscheinlich mehr Bühnen subventionieren, als es den Deutschen guttäte. Als krasses Gegenmodell sehen die Studienautoren die Vereinigten Staaten. Dort können viele Gemeinden die Höhe ihrer Einkommensteuer selbst bestimmen. Das Ergebnis: Die Gemeinden verlangen weniger Steuern und geben weniger Geld für Bühnensubventionen aus.
Der Beitrag ist der Sonntagsökonom aus der F.A.S. vom 1.9.2013.