Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Quietschvergnügte Zwitschervögel

Anfang August platzte Raghuram Rajan der Kragen. In einem Beitrag beklagte sich Rajan – damals noch Finanzprofessor in Chicago, heute Chef der Notenbank Indiens – bitter über einen „paranoiden Stil“, der in ökonomischen Debatten Einzug halte. Als Beispiel führte Rajan die verletzende persönliche Kritik des Nobelpreisträgers Paul Krugman an dessen amerikanischen Kollegen Ken Rogoff und Carmen Reinhart an, die wegen Ungenauigkeiten in Arbeiten unter Kritik geraten waren. (In FAZIT haben wir diesen Streit unter anderem hier und hier behandelt.)

Krugman hatte seine wiederholten schweren Attacken auf Rogoff und Reinhart in seinem von der Tageszeitung „New York Times“ veröffentlichten Blog veröffentlicht. Damit wurden sie rund um den Globus gelesen, denn Krugmans Blog erfreut sich einer ganz ungewöhnlich großen Aufmerksamkeit. Zwar veröffentlicht Krugman keine Leserzahlen für sein Blog, aber eine Annäherung ist über die Zahl seiner Abonnenten („Follower“) beim Kurznachrichtendienst Twitter möglich. Dort zählt Krugman, der Twitter zur Ankündigung neuer Blogbeiträge nutzt, knapp 1,1 Millionen Abonnenten. Zum Vergleich: Wenige erfolgreiche andere Ökonomen aus der englischsprachigen Welt erreichen eine fünfstellige Zahl von Twitter-Abonnenten, die deutschen Ökonomen-Blogs müssen sich meist mit dreistelligen Abonnentenzahlen bescheiden. Als Blogger befindet sich Krugman in einer eigenen Liga.

Warum nur? Die wahrscheinlichste Antwort lautet: Krugman weiß besser als andere Ökonomen, wie man Blogs (zumindest in der englischsprachigen Welt) nutzen muss. Krugman schreibt meist kurze Texte, in denen er sich bemüht, so wenig wie möglich Fachbegriffe zu benutzen. Er ist meinungsstark, nicht selten polemisch und er pflegt zwei klar identifizierbare Feindbilder: erstens die Republikanische Partei und zweitens alle Ökonomen, die nicht Keynesianer im Sinne Krugmans sind. Wer Krugman liest, weiß, was er bekommt. Und er wird gelesen, nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch in anderen Kontinenten und nicht zuletzt auch in der internationalen Finanzszene. Ein bekannter deutscher Ökonom sagte einmal: „Krugman ist als Ökonom Weltklasse und als Blogger Kreisklasse.“ Zumindest der zweite Teil der Aussage stimmt eindeutig nicht.

Aber ist Krugman auch ein einflussreicher Blogger? Seine Ökonomenkollegen schütteln überwiegend den Kopf, sagen, dass Krugman die moderne Theorie nicht kenne und sich nicht auf den einschlägigen Konferenzen blicken lasse. Krugman hat als Blogger mehrere Dispute mit anderen Ökonomen geführt, in denen er gar nicht gut aussah. Aber Krugman lebt davon, dass sich die herrschende makroökonomische Lehre in Theorie und Praxis derzeit unter Beschuss befindet und Krugman in den vergangenen Jahren mit dem alten keynesianischen IS/LM-Modell, dessen Schwächen er nicht verneint, bei Prognosen oft besser aussah als seine Widersacher, die relevante Konferenzen besuchen und die moderne Theorie hoch halten. *) Der Blogger Krugman ist eher ein „enfant terrible“ als ein wirklich einflussreicher Ökonom – aber wie sehr neiden ihm in einer von Eitelkeiten alles andere als freien Branche manche Fachkollegen seine Popularität als Blogger! **)

Bloggen ist für viele Ökonomen mit der Idee verbunden, politisch relevante Themen aufzunehmen und ein Publikum weit jenseits der Professorenkollegen anzusprechen. ***) Diese Ökonomen haben entweder schon einen Nobelpreis wie Krugman oder Gary Becker oder sie befinden sich, bei allem Respekt, nicht selten wohl nicht in der Nähe des Preises. Ein interessantes Beispiel ist der amerikanische Ökonom Scott Sumner von der Bentley University in Massachusetts, der fraglos eine ansehnliche Karriere absolviert hat, aber in den einschlägigen, an Publikationen in Fachzeitschriften ausgerichteten Ranglisten nicht auf den vorderen Plätzen auftritt.

Sumner tritt in seinem „The Money Illusion“ genannten Blog seit mehreren Jahren für eine Geldpolitik ein, die sich an der Steuerung des nominalen Bruttoinlandsprodukts durch die Notenbank orientiert.  ****) Das Konzept ist nicht neu, war aber weitgehend vergessen und wurde von Sumner unermüdlich popularisiert, wobei sich die Bezeichnung „Marktmonetarismus“ als werbewirksam erwiesen haben mag. In Deutschland wurden diese Ideen durch das mittlerweile eingestellte Blog „Kantoos Economics“ verbreitet.

Sumner hatte mit seinem Blog den Zeitgeist getroffen, weil mit der Finanzkrise die Geldpolitik in den Mittelpunkt des Interesses rückte, aber gleichzeitig erhebliche Zweifel an der Brauchbarkeit der bisher dominierenden geldpolitischen Lehren entstanden. Dass Sumner sich als konservativer Ökonom outete und mit der Bezeichnung „Marktmonetarismus“ eine Traditionslinie zu dem verstorbenen Nobelpreisträger Milton Friedman aufzubauen versuchte, hat seinem Unterfangen auch nicht geschadet. Zudem vertritt er ein Konzept, das vor Jahrzehnten von angesehenen Ökonomen entwickelt wurde und damit für den Mainstream diskutabel ist. Ob namhafte Notenbanken das keineswegs unangreifbare Konzept der Steuerung des nominalen Bruttoinlandsprodukts übernehmen werden, ist eine ganz andere Frage.

Die Blogs von Sumner und seinen Mitstreitern sowie die Blogs anderer Ökonomen unter Einschluss Krugmans zeigen aber auch ein Problem dieses Formats. Blogger schreiben häufig, aber gute ökonomische Ideen sind keine Ware mit kurzfristigem Verfallsdatum und selbst der beste Ökonom gebiert nicht andauernd wertvolle neue Ideen. Der „Marktmonetarismus“ ist in den einschlägigen Blogs mittlerweile ziemlich durchgekaut, die Argumente Pro und Contra sind eigentlich hinreichend bekannt. *****) Das Format beginnt sich abzunutzen. ******)

Die freiwillige Selbstverpflichtung vieler – (nicht aller *******) – Blogger, in kurzen Rhythmen neue Beiträge zu veröffentlichen, ist eine vielen Ökonomen fremde Arbeitsweise und treibt so manche kuriose Blüte: Brad DeLong, ein amerikanischer Keynesianer mit Lehrstuhl in Berkeley und gelegentlicher Streiter an der Seite Krugmans, bringt in seinem Blog neben ökonomischen Darlegungen täglich Frontberichte aus dem Zweiten Weltkrieg. Einige Anhänger der Österreichischen Schule schreiben seit Jahren unbeirrt Hyperinflation und Zusammenbruch des Geldsystems an die Wand, während sich die Inflationsraten in der Nähe jahrzehntelanger Tiefststände befinden. Papier ist geduldig, Bits und Bytes sind es auch. Gut möglich, dass die nächsten Nobelpreise auch nicht an Blogger gehen werden.

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*) Das IS/LM-Modell wird auch heute noch von vielen modernen Ökonomen im Grundstudium gelehrt; es findet sich auch noch in verbreiteten einführenden Lehrbüchern. Aber aus der Sicht der modernen Forschungsagenda gilt es als in vielerlei Hinsicht völlig veraltet. Zum IS/LM-Modell gibt es selbst sehr viel Literatur, darunter Aufsätze aus einer vor zehn Jahren abgehaltenen Konferenz (ein Aufsatz, ist hier). Bedeutende Aufsätze zu IS/LM finden sich in einem vor knapp 20 Jahren von den Darmstädter Ökonomen Ingo Barens und Volker Caspari bei Metropolis herausgegebenen Buch. (Ich hatte das Buch vor Jahren in der F.A.Z. rezensiert. Es ist wirklich sehr lehrreich, wenn man sich für Makro interessiert.)

**) Bis heute ist es keinem konservativen amerikanischen Ökonomen gelungen, sich mit einer vergleichbaren Verbreitung über Blog oder Twitter Krugman entgegen zu stellen. Krugman selbst ist auch so geschickt, nicht durch permanente zielgerichtete Attacken einen Gegenspieler aufbauen zu helfen. (Greg Mankiw betreibt zwar ein Blog, produziert sich dort aber nicht andauernd als “Anti-Krugman”; John Cochrane besitzt als Blogger offenbar keine sehr große Durchschlagskraft.)

***) Krugmans Blogtitel “The Conscience of a Liberal” verdeutlicht dies sehr gut.

****) Es ist nicht erstaunlich, dass sich viele Blogger in der angelsächsischen Welt makroökonomischen Themen widmen, da sie eine erhebliche wirtschaftspolitische Aktualität besitzen. Aus der kaum überschaubaren Liste seien als Beispiele die Blogs von David Andolfatto, Mark Thoma, David Beckworth, Simon Lewis-Wren, John Taylor, Stephen Williamson, Noah Smithund Steve Keen genannt. Ein Blog für Liebhaber der Traditionen geldtheoretischen und geldpolitischen Denkens betreibt der amerikanische Ökonom David Glasner in Erinnerung an den britischen Ökonomen und Keynes-Zeitgenossen R.G. Hawtrey.

*****) Woraus keineswegs folgt, dass sich weitere wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema nicht lohnen würden.

******) Aus dieser rein persönlichen Wahrnehmung leitet sich nicht ab, dass sich das Internet nicht dauerhaft zur Vermittlung von Erkenntnissen und Einschätzungen durch Ökonomen eignete. Das offensichtliche Gegenbeispiel ist die bravouröse Internetseite www.voxeu.org – die aber nicht als typisches Blog konzipiert ist.

*******) Dani Rodrik beispielsweise bloggt sehr unregelmäßig.

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Diesem Artikel liegt ein Beitrag zugrunde, der am 6. Oktober 2013 als “Sonntagsökonom” in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung veröffentlicht wurde.

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