Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Liebe und Sicherheit – Was die Deutschen vom Sozialstaat wollen

Hauptsache, alles wird gut. Wer Reformen durchsetzen will, sollte wissen: Menschen wollen Sicherheit und Liebe.

© Alfons HoltgreveDie Deutschen und der Sozialstaat

Was ist gerecht? Was ist sozial gerecht? Was wollen die Deutschen von ihrem Sozialstaat? Diese Fragen sind schon oft diskutiert worden, denn die Antworten sind manchmal ziemlich widersprüchlich. Zum Beispiel bei der Rente: Wollen Sie zum Beispiel, dass arbeitende Leute spürbar mehr Geld haben als Leute, die nicht arbeiten? Ja, schon, würden die meisten sagen. Beliebt ist aber auch das Argument, dass arme Leute nicht vom Rest der Gesellschaft abgehängt werden dürfen – also sollte ihre Pension doch nicht so weit unter der anderer Leute liegen. Ein Dilemma, das immer wieder mit neuen Argumenten diskutiert wird, grundsätzlich nicht lösbar ist, aber immer wieder irgendeine Rentenerhöhung verursacht – zuletzt die „Lebensleistungsrente“ der großen Koalition.

Die ganze Zeit pendeln die Deutschen zwischen drei grundsätzlichen Gerechtigkeitseinstellungen hin und her. Mal wollen sie, dass jeder entsprechend seiner Leistung entlohnt wird – dann wieder wollen sie aber ausnahmsweise, dass jeder so viel bekommt, wie er braucht. Und manchmal wollen sie, dass jeder gleich viel bekommt.

Selbst wenn man den Deutschen konkrete Fragen nach dem Sozialstaat stellt, bekommt man nicht immer brauchbare Antworten. Der Bayreuther Doktorand Christian Pfarr hat zum Beispiel für eine aufwendige Umfrage 2000 unterschiedliche Typen von Steuersystemen und Umverteilungen definiert und mehr als 1500 Menschen immer wieder zwischen unterschiedlichen Typen wählen lassen – um herauszufinden, wie viel Umverteilung die Deutschen wirklich wollen. Das Ergebnis allerdings hilft wenig weiter. Denn Pfarr findet heraus: Die Deutschen hätten zwar gerne einen Staat, der mehr Geld umverteilt – aber sie sind nicht bereit, dafür auch zu bezahlen. Damit der Staat 1 Prozent des BIP mehr umverteilen kann, wollen sie nicht mal 0,6 Prozent ihres eigenen Einkommens abgeben. Was die Deutschen von ihrem Sozialstaat erwarten, das ist also rational schwer zu erfassen und manchmal widersprüchlich.

Für Politiker und ihre Berater ist das nicht leicht. Ökonomen stehen vor solchen Umfragen manchmal sehr hilflos. Wie sie aus solchen Umfragen mit ihrer wissenschaftlich-logischen Herangehensweise Politikvorschläge nach den Wünschen der Wähler machen sollen, wissen sie nicht. Mancher Politiker gibt dann einfach jedem Impuls der Wähler nach, aber das macht noch keine gute Wirtschaftspolitik. Mancher Wissenschaftler ignoriert die Wünsche der Deutschen komplett und fokussiert sich nur darauf, was sachlich richtig ist und den meisten Wohlstand bringt – unabhängig davon, ob sich die Vorschläge in der Öffentlichkeit verkaufen lassen.

Deshalb reden die Deutschen und ihre Volkswirte oft aneinander vorbei. 80 Prozent der Deutschen sind zum Beispiel für den Mindestlohn, unter den Ökonomen sind wahrscheinlich eher 80 Prozent dagegen. Diese Diskrepanz zwischen der Meinung der Wähler und der Volkswirte macht den Rat der Ökonomen für Politiker nicht brauchbarer. Mögen die Volkswirte auch sachlich recht haben, mag ihr Rat auch den Wohlstand im Land steigern, Wahlen gewinnt man damit nicht immer.

Was wollen die Deutschen wirklich vom Sozialstaat?

So mancher macht sich deshalb auf die Suche danach, was die Deutschen von ihrem Sozialstaat wirklich wollen. Und zwar nicht mehr immer mit Umfragen, die rationale Antworten voraussetzen. Sondern mit Versuchen, die auf Erkenntnissen der Verhaltensökonomik aufbauen und anerkennen, dass die Vorlieben der Leute manchmal widersprüchlich sind. Ein neuer Beitrag bringt Ordnung in diese Vorlieben. An der Universität Köln hat Sebastian Lotz sie sortiert, und zwar in einem Kapitel eines Buches mit dem Titel “Soziale Gerechtigkeit“. Er nennt vier Grundregeln, nach denen die Menschen am Ende entscheiden:

Erstens gehen sie davon aus, dass immer nur der gleiche Kuchen verteilt werden kann. Dass der Kuchen auch wachsen kann, kommt vielen Leuten nicht in den Sinn. Wenn Ingenieure aus dem Ausland ins Land kommen, sorgen sich die Deutschen um die Arbeitsplätze und denken nicht daran, dass diese Ingenieure selbst wieder viele neue Arbeitsplätze möglich machen. Wenn Politiker mit einer Reform den Kuchen vergrößern wollen, haben sie es also schon mal schwer.

Umso schwerer wird es zweitens, wenn unter den Reformen jemand einzeln leidet. Denn nach der „Do-no-harm-Heuristik“ ärgert es die Menschen besonders, wenn es jemandem schlechter geht als vorher. Einzelschicksale gewinnen so eine Bedeutung, die sie andernfalls vielleicht nicht hätten.

Drittens mögen die Menschen Änderungen sowieso nicht besonders. Der sogenannte „Status quo Bias“ führt dazu, dass die aktuelle Situation immer erst mal als ziemlich gut gilt und jede Änderung erst mal um Akzeptanz kämpfen muss.

Und viertens gewichten die Menschen die Ansprüche ihrer eigenen Gruppe höher als die anderer Gruppen.

Das klingt, als seien mit diesen Wählern überhaupt keine Reformen möglich: Änderungen mögen sie sowieso nicht. Wenn sich etwas ändert, darf es niemandem schlechter gehen – aber die möglichen Verbesserungen erkennen sie auch kaum.

Der Beitrag hat aber auch schon eine Lösung parat. Er zeigt nämlich nicht nur, was die Wähler nicht wollen. Sondern auch, was ihnen wichtig ist. Das aber ist erst mal nicht Geld, sondern bestimmte Gefühle: Sie wollen Anschluss und Austausch mit anderen Menschen, eine soziale Identität– und sie wollen über ihre Zukunft möglichst wenig Unsicherheit. Wer Reformen so zimmert, dass sie den Wohlstand steigern und dass sie den Wählern gleichzeitig die Erfüllung dieser Wünsche versprechen, der kommt in der politischen Diskussion wahrscheinlich besser durch.

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