Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Das Dilemma: Brauchen Schwellenländer Kapitalverkehrskontrollen?

Eingriffe in den freien Kapitalverkehr galten lange als grundsätzlich schlecht. Seit einigen Jahren befürworten Ökonomen solche Beschränkungen als ein Mittel der Krisenprävention, um die Stabilität des Finanzsystems zu sichern. In der aktuellen Krise der Schwellenländer könnten solche Vorschläge auf die Agenda kommen

Die Schwellenländerkrise findet kein Ende: Die türkische Regierung arbeite an einem neuen Plan zur Stabilisierung der Lira, sagte Premiermister Tayyip Erdogan in dieser Woche, nachdem die Zentralbank zuvor ihre Leitzinsen deutlich erhöht hatte. Dieser Plan werde ungewöhnliche Maßnahmen enthalten. Prompt entstanden an den Finanzmärkten Spekulationen über Kontrollen des Kapitalverkehrs, bis ein Mitarbeiter der Regierung der Nachrichtenagentur Reuters versicherte, Kapitalverkehrskontrollen gehörten nicht zum Arsenal der Regierung. Nach Medienberichten erwägt Erdogan auch, die Handlungsfreiheit der Zentralbank zu beschneiden.

 

Neue Bedenken gegen unregulierten Kapitalverkehr

Die Freiheit des Kapitalverkehrs gilt seit Jahrzehnten als eine der größten Errungenschaften der Globalisierung (auch wenn ein Land wie China diese Einschätzung zumindest bisher offenbar nicht teilt). Dazu haben die trüben Erfahrungen der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen beigetragen, als Beschränkungen des Kapitalverkehrs und andere Hemmnisse der wirtschaftlichen Entwicklung schadeten.

Seit wenigen Jahren werden Beschränkungen des Kapitalverkehrs zumindest in wirtschaftlichen Spannungszeiten wieder von mehr Ökonomen als eine Option betrachtet. Diese Ökonomen würden keineswegs bestreiten, dass im Vergleich zu einer perfekten Welt Kapitalverkehrsbeschränkungen mit Verlusten an wirtschaftlichem Wachstum einhergehen. Die reale Welt ist aber nicht perfekt, sondern durch Übertreibungen an Finanzmärkten gekennzeichnet, die Finanzsysteme und die Realwirtschaft beschädigen können. (Zumeist nur vorübergehende) Beschränkungen des Kapitalverkehrs werden von diesen Ökonomen als eine Möglichkeit zur Stabilisierung des Finanzsystems verstanden.

Vor allem nach der sogenannten Asienkrise in den Jahren 1997/1998 entstanden viele Untersuchungen über die Folgen der Globalisierung der Finanzmärkte für Schwellenländer. Diese Studien brachten unterschiedliche Ergebnisse. Eine vor allem von dem bekannten türkischen, in Princeton arbeitenden Ökonomen Dani Rodrik (Foto: AFP) vertretene These lautet, viele Schwellen- und Entwicklungsländer seien für freie Kapitalmärkte mit ihren oft kurzfristig sehr starken Kapitalbewegungen noch gar nicht reif, weil ihre Banken und Finanzmärkte nicht genügend entwickelt seien. (Ein bekanntes Paper zu diesem Thema ist hier.)

Vor rund zwei Jahren sorgte dann der Internationale Währungsfonds für Aufsehen, als er mit ähnlichen Argumenten Beschränkungen des Kapitalverkehrs als eine Option vorstellte. (Hier ist eine Zusammenfassung mit Verweisen auf weitere Beiträge.) Wichtig ist, dass der IWF die grundsätzliche Vorteilhaftigkeit eines freien Kapitalverkehrs überhaupt nicht in Zweifel zieht, aber eben auch zur Kenntnis nimmt, dass bei schweren Gefährdungen der Finanzstabilität die reine Lehre nicht die einzige Antwort sein kann. Diese Ansicht vertritt auch ein von prominenten Ökonomen und Praktikern im Herbst 2012 vorgestellter Bericht, den wir in FAZIT mehrfach erwähnt hatten.

 

Trilemma oder Dilemma ?

Die moderne Argumentation für Eingriffe in den Kapitalverkehr – heutige Autoren sprechen gerne von einem “Management der Kapitalbilanz” – geht so:

Jahrzehntelang sprachen Ökonomen von einem „Trilemma“ der Währungspolitik. Es besteht darin, dass mit Ausnahme der Vereinigten Staaten als führender Wirtschaft in der Welt ein Land nicht gleichzeitig freien Kapitalverkehr, feste Wechselkurse und eine unabhängige Geldpolitik haben kann.

Denn Untersuchungen zeigen, dass sich die Wirkung der amerikanischen Geldpolitik über Anlageentscheidungen großer Kapitalanleger in der Welt ausbreitet. Ein Land, das den Wechselkurs seiner Währung gegenüber dem Dollar stabil halten will, muss in diesem Falle seine Geldpolitik an jene der Fed anpassen. Aus binnenwirtschaftlichen Gründen kann es aber für manche Länder nicht opportun erscheinen, in ihrer Geldpolitik der Fed zu folgen. Zur Lösung dieses Konflikts wurde den Ländern empfohlen, eine feste Wechselkursbindung aufzugeben und ihren Wechselkurs frei schwanken zu lassen. Das Problem des „Trilemmas“ schien damit behoben.

Die französische Ökonomin Hélène Rey (Foto: London Business School)  hat im vergangenen Jahr auf der geldpolitischen Tagung im amerikanischen Jackson Hole in einem vielbeachteten Vortrag jedoch die These vertreten, dass selbst bei flexiblen Wechselkursen der freie Kapitalverkehr nicht mit geldpolitischer Autonomie eines Landes einher gehen müsse. Anstelle eines „Trilemmas“ ergebe sich ein „Dilemma“. Dies könnte die Situation sein, in der sich gegenwärtig manche Schwellenländer befinden.

Der starke Einfluss der amerikanischen Geldpolitik auf die Risikofreude großer Anleger hat sich oft beobachten lassen: Es hat über einen längeren Zeitraum einen engen statistischen Zusammenhang zwischen dem Vix, dem Index für in Chicago gehandelte Optionen auf dem amerikanischen Aktienindex S&P-500 und der globalen Entwicklung von Anleihenrenditen und der Intensität internationaler Kapitalströme gegeben. *) Der Vix gilt als Indikator für die Risikofreude großer amerikanischer Kapitalanleger und wird unter anderem von der Politik der Fed beeinflusst. (Hier ist ein FAZIT-Beitrag über die Bedeutung des Vix.)

Je risikofreudiger große amerikanische Kapitalanleger sind, umso mehr investieren sie in Schwellenländer. Da deren Banken und Finanzmärkte oft nicht sehr groß sind, führen die Kapitalzuströme aus Amerika und anderen Industrienationen in den Schwellenländern zu einer hohen Verschuldung von Banken und Unternehmen. **) Historisch lässt sich aber zeigen, dass solche hohen Verschuldungen oft die Vorboten schwerer Krisen sind – vor allem, wenn anschließend in Panik geratende Großanleger ihre Gelder rasch aus den Schwellenländern abziehen wollen und damit Zusammenbrüche von Banken in den Schwellenländern riskieren. Daher, so argumentiert Rey, müssen Schwellenländer auch auf die internationalen Zu- und Abflüsse von Kapital achten, um Spannungssituationen zu vermeiden. (Die zwei “Phasen der globalen Liquidität”, von denen die Schwellenländer erfasst worden sind, haben wir vor wenigen Tagen in FAZIT ausführlich behandelt.)

 

Vier Optionen

Im Prinzip gibt es verschiedene Möglichkeiten, um den Aufbau solcher Spannungen zu verhindern.

1. Ein Weg wäre eine Ausrichtung der amerikanischen Geldpolitik nicht nur an der amerikanischen, sondern auch an der internationalen Wirtschaftslage. Dies widerspräche aber dem Mandat der Fed und die Amerikaner weisen zudem Verantwortung für die aus internationalen Kapitalströmen stammenden Turbulenzen zurück.

2. Eine zweite Möglichkeit wäre eine internationale Kooperation in der Geldpolitik. Hierfür hat sich am Donnerstag der indische Zentralbankgouverneur und frühere Chicago-Professor Raghuram Rajan ausgesprochen. Rajan macht sich aber keinerlei Illusionen, wie er in einem Gespräch mit der Agentur Bloomberg sagte: „Wir hören von den Industrienationen: , Wir tun, was wir tun müssen, die Märkte werden sich anpassen und könnt euch entscheiden, was ihr tun wollt.‘ Wir brauchen eine bessere Kooperation, die es bisher aber unglücklicherweise nicht gibt.“ (Hier ist ein FAZIT-Beitrag zum Thema monetäre Kooperation.)

3. Eine dritte Möglichkeit besteht darin, dass ein Schwellenland durch eigene Reformen zu einer Beruhigung an den Finanzmärkten beitragen will. In diese Richtung denkt auch Rajan: „In einer Situation äußerer Unruhe müssen wir unser Haus in Ordnung bringen, und das lässt sich nicht verschieben. Eine Rückführung der Inflationsrate besäße den angenehmen Nebeneffekt einer Stärkung des Vertrauens in die Rupie.“

4. Jedoch stellt sich die Frage, ob in einer Welt, in der Großanleger ihr Verhalten gegenüber Anleihen und Währungen aus Schwellenländern stark an der Geldpolitik der Fed ausrichten, nationale Anstrengungen von Schwellenländern alleine die Märkte beruhigen können. Dies wäre eine Situation, in der Rey und andere Ökonomen Eingriffe in den Kapitalverkehr als sinnvolle Option begreifen. Diese Eingriffe müssen nicht wie früher in regelrechten Verboten der Ein- oder Ausfuhr von Fremdwährungen bestehen. Als zeitgemäßer gelten Maßnahmen, mit denen im Interesse der Finanzstabilität Banken riskante Geschäfte erschwert werden.

 

Südkorea: Es geht um die Stabilität der Banken

Ein Beispiel lieferte die Regierung Südkoreas im Krisenjahr 2009. Sie beschloss zum einen eine Begrenzung der kreditfinanzierten Derivategeschäfte mit Fremdwährungen. Für Niederlassungen ausländischer Banken wurde die Grenze auf das 2,5-Fache ihres Eigenkapitals festgelegt, für koreanische Banken auf 50 Prozent ihres Eigenkapitals. Außerdem mussten die Banken auf bestimmte Fremdwährungsverbindlichkeiten eine Abgabe leisten, die aber nicht dem Staatshaushalt zugute kam, sondern auf ein Sonderkonto eingezahlt werden musste. (Hier ist eine genaue Beschreibung der Vorgänge in Korea.)

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*) Eine aktuelle Untersuchung der Investmentbank Natixis zeigt allerdings, dass sich dieser Zusammenhang, der bis in das Jahr 2013 tatsächlich eng war, seitdem ein Stück weit gelockert hat. Die Gründe dafür sind vorerst nicht ganz klar; so wäre es denkbar, dass der Vix seine Funktion als Indikator für die Risikofreude großer Anleger eingebüßt hat.

**) Eine Übersicht über die größten privaten Vermögensverwalter findet sich auf Seite 5 in dieser Veröffentlichung. Es gibt aber auch noch sehr große Staatsfonds.

Eine kürzere Version dieses Beitrags ist am 31. Januar 2014 im Finanzmarkt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen.