Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Fünf Wirtschaftsrätsel für die Feiertage

FAZIT wünscht seinen Lesern nicht nur Frohe Weihnachten, sondern begleitet sie mit ebenso spannendem wie relevantem ökonomischem Denk- und Diskussionsstoff in die Feiertage. Wir präsentieren in Anlehnung an den amerikanischen Politologen Daniel W. Drezner fünf wichtige Fragen für die Weltwirtschaft, auf die bis heute keine klaren Antworten existieren. Leserkommentare sind natürlich auch über Weihnachten willkommen.

 

1. Droht in den Industrienationen eine säkulare Stagnation?

 

Die Idee einer langfristigen wirtschaftlichen Stagnation in den Industrienationen wurde erstmals in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts von dem amerikanischen Ökonomen Alvin Hansen für die Vereinigten Staaten vorhergesagt. Das rasche Wirtschaftswachstum in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg ließ die These einer “säkularen Stagnation” in Vergessenheit geraten, ehe sie der amerikanische Ökonom Larry Summers im Herbst 2013 auf einer Tagung des Internationalen Währungsfonds in Washington revitalisierte. Summers blieb damals eher vage. Die seither in Gang befindliche öffentliche Debatte ist nach Ansicht von Robert Shiller ziemlich unscharf und auch Paul Krugman beklagt, dass unter der Bezeichnung “säkulare Stagnation” sehr unterschiedliche wirtschaftliche Erscheinungen verstanden werden.

Summers hat vor einigen Monaten mehrfach (zum Beispiel hier und hier) die seines Erachtens wichtigsten Ursachen einer langfristigen Stagnation benannt. Hier ist eine Auswahl:

– ein langsameres Bevölkerungswachstum sowie ein möglicherweise sich verlangsamender technischer Fortschritt führen zu einer wenig dynamischen Nachfrage nach Sachinvestitionen

– niedrigere Preise für Investitionsgüter als Folge fallender Preise für Güter zum Beispiel in der Informationstechnologie führen tendenziell zu einem Ersparnisüberschuss. Früher mussten junge erfolgreiche Unternehmen ihre Investitionen durch externe Kapitalaufnahmen finanzieren. Heute halten erfolgreiche Unternehmen wie Apple und Google hohe Geldbestände, weil sie überhaupt nicht wissen, wie sie ihr Geld sinnvoll investieren sollen.

– eine wachsende Ungleichheit in vielen Industrienationen sorgt dafür, dass immer mehr Geld in die Hände von Reichen gelangt, die eine niedrigere Konsumquote haben als Ärmere.

Erwähnt sei, dass in deutschen Ökonomenkreisen seit einigen Jahren ähnliche Thesen anhand der Arbeiten Carl Christian von Weizsäckers (zum Beispiel hier und hier) diskutiert werden. Eine Maildebatte unter deutschen Ökonomen kann hier nachgelesen werden. Den Weg in die “Nullzeit” – Wirtschaftswachstum, Zins und Inflation sind nahe Null – habe ich in einem Artikel in der F.A.Z. beschrieben.

Zwar beschleunigt sich in den Vereinigten Staaten – einem Land mit wachsender Bevölkerung – derzeit das Wirtschaftswachstum, aber in Europa und in Japan, wo die Bevölkerung eher schrumpfen als wachsen wird, sind die wirtschaftlichen Wachstumsperspektiven bescheidener. Droht eine lange Zeit mit bestenfalls moderatem Wirtschaftswachstum?

 

2. Kommt der Aufholprozess der Schwellenländer ins Stocken?

 

Vor rund 15 Jahren hat der damalige Chefökonom von Goldman Sachs, Jim O’Neill, für die Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien und China den Begriff “Bric” geprägt. Den Schwellenländern wurde ein nachhaltiger wirtschaftlicher Aufholprozess vorhergesagt. China scheint diese Erwartung zu bestätigen, aber mittlerweile werden Schwellenländer nicht mehr so uneingeschränkt positiv gesehen. Brasilien und Russland sind nach wie stark von Rohstofflieferungen abhängig und Indien fällt es nicht leicht, sich von seinen institutionellen Fesseln zu befreien. Auch Länder wie die Türkei oder Indonesien werden heute nüchterner betrachtet.

Nach Ansicht mancher Ökonomen drohen schwierige Verhältnisse, weil viele Länder nicht in der Lage sein werden, den chinesischen Weg der beschleunigten Industrialisierung zu gehen. Eine solche Ansicht vertritt der in FAZIT schon mehrfach mit Arbeiten vorgestellte Ökonom Dani Rodrik. Er fürchtet, dass der technische Fortschritt mit Digitalisierung und Automatisierung nicht mehr die Bildung einer Industrie mit einer hohen Zahl langfristiger Arbeitsplätze zulassen wird. Dann aber droht das Fehlen einer Mittelschicht in vielen Schwellenländern. Statt dessen wird es eine kleine Zahl sehr gut ausgebildeter und beruflich sehr erfolgreicher Menschen geben und eine große Zahl von Menschen, die zu geringen Löhnen im meist wenig produktiven heimischen Dienstleistungsgewerbe arbeiten werden. Die politischen und sozialen Folgen einer solchen Entwicklung wären schwer vorhersehbar.

 

3. Beendet der 3-D-Drucker die Globalisierung?

 

Die These, dass eine enge wirtschaftliche Verflechtung schwere politische und militärische Konflikte  verhindert, war vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs verbreitet, wurde aber durch den Ausbruch des Krieges 1914 widerlegt. Heute ist die Welt vor allem durch international agierende Unternehmen sowie internationale Lieferketten noch viel enger wirtschaftlich verflochten als vor einhundert Jahren. Viele Menschen in den Industrienationen wissen durchaus, dass viele von ihnen verwendeten Güter  zum Beispiel aus der Telekommunikation oder der Unterhaltungselektronik aus fernen Schwellenländern stammen. Was aber geschieht, wenn der technische Fortschritt dazu führt, dass diese internationale Verflechtung weniger direkt wahrgenommen wird. Sprich: Was passiert, wenn das Smartphone künftig zu Hause aus dem 3-D-Drucker fällt? Könnte diese Art technischer Fortschritt insulares Denken befördern?

 

4. Verliert das amerikanische Wirtschaftsmodell an Bedeutung?

 

Die Vereinigten Staaten haben in der Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg als wichtigste politische, wirtschaftliche und militärische Macht auch das wirtschaftliche Denken weit über ihre Landesgrenzen hinaus beeinflusst. Sichtbarer Ausdruck ist der sogenannte “Washingtoner Konsens”, der vom IWF und der Weltbank als Blaupause für Entwicklungs- und Sanierungsprogramme in vielen Ländern verwendet worden ist. Er beschreibt eine Wirtschaftspolitik, die auf die Stärkung von Marktkräften durch binnen- und außenwirtschaftliche Marktöffnung sowie eine solide Finanz- und Geldpolitik baut. Die langsame Entstehung einer multipolaren Welt sowie die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise haben auch den “Washingtoner Konsens” nicht unangetastet gelassen. China bestimmt sein Reformtempo selbst und Beschränkungen des internationalen Kapitalverkehrs gelten weder in der Wissenschaft noch in der Praxis heute als Tabu. Doch die Frage bleibt: Gibt es eine Alternative zum amerikanischen Wirtschaftsmodell?

 

5. Fällt der Kapitalismus in die Hände von Plutokraten?

 

Verteilungsökonomen wie Emmanuel Saez und Thomas Piketty haben in den vergangenen Jahren mit Hilfe einer internationalen Datenbank gezeigt, dass in vielen Ländern die Verteilung von Einkommen und Kapital ungleicher geworden ist. Piketty hat in seinem Bestseller “Das Kapital im 21. Jahrhundert” die These vertreten, dass dieser Konzentrationsprozess weiter gehen wird, wenn ihm die Politik nicht Einhalt gebietet. Gefährlich ist eine solche Konzentration nicht nur nach Ansicht Pikettys, weil wirtschaftliche Macht mit politischer Macht einher geht. (Ein Beispiel für die Folgen einer engen Verflechtung liefert diese Arbeit.) Mit der Übernahme der Macht auch in Demokratien durch Interessengruppen aber leidet die Qualität der politischen Institutionen und, wie Daron Acemoglu und James Robinson unter anderem in ihrem Bestseller “Warum Nationen scheitern” gezeigt haben, auf Dauer auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes. Pointiert ließe sich sagen: Man muss den Kapitalismus vor den Kapitalisten schützen. Aber wie?