Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Anleihekaufprogramme sind nicht sehr wirksam

Seit rund vier Monaten kauft die Europäische Zentralbank im Rahmen ihres Anleihekaufprogramms für rund 60 Milliarden Euro im Monat Wertpapiere, darunter vor allem Staatsanleihen. Zu viele Wirkungen sollte man sich von diesem Programm nicht versprechen.

Noch ist es zu früh, wirtschaftliche Folgen der Anleihekäufe durch die EZB zuverlässig einzuschätzen. Nachdem die Renditen der Anleihen zu Beginn des Kaufprogramms gesunken waren, sind sie seitdem ein Stück weit gestiegen. Die gestiegenen Renditen haben viele Marktteilnehmer überrascht, obgleich ein solcher Effekt aus anderen Kaufprogrammen bekannt ist.

In anderen Ländern liegen über einen längeren Zeitraum Erfahrungen mit Anleihekaufprogrammen einer Zentralbank vor. So begann die Bank of England im Frühjahr 2009 mit Ankäufen, deren Volumen sich im Herbst 2012 auf 375 Milliarden Pfund belief. Die drei britischen Ökonomen Nick Butt, Rohan Churm und Michael McMahon haben kürzlich auf der Basis dieser Erfahrungen die verbreitete These getestet, wonach die mit den Käufen von Anleihen verbundene Schöpfung neuen Geldes die Geschäftsbanken zu einer Vergabe zusätzlicher Kredite an Unternehmen und Privatpersonen veranlasse und auf diesem Wege eine Belebung der Wirtschaft in Gang setze.

Problem: Die Unternehmen müssen Kredite wollen

Das mit einer solchen Vorstellung verbundene Problem ist, dass eine Zentralbank keinen direkten Einfluss auf die Kreditvergabe in der Privatwirtschaft hat. Die Geschäftsbanken müssen Kredite vergeben und die Unternehmen müssen Kredite aufnehmen wollen, damit dieser Mechanismus funktioniert. Schon im Jahr 2009 hatte die Führung der Bank of England in diesen aus der ökonomischen Theorie bekannten Kreditkanal („bank lending channel“) 1) wenig Vertrauen besessen, weil die Geschäftsbanken damals nicht sehr gesund waren und für eine Ausweitung ihrer Geschäfte nicht genügend Eigenkapital besaßen. Die neue Studie der drei Ökonomen bestätigt den Befund: Ein signifikanter Einfluss der Käufe von Anleihen durch die Zentralbank auf die Kreditvergabe in der britischen Privatwirtschaft lässt sich nicht nachweisen.

Einige Jahre früher als die Bank of England hatte die Bank of Japan mit Käufen von Anleihen begonnen. Eine Untersuchung mehrerer Ökonomen der amerikanischen Fed kommt für die Jahre 2000 bis 2009 zwar zu dem Ergebnis, dass die Käufe von Anleihen durch die Bank von Japan eine Belebung der Kreditvergabe in der Privatwirtschaft angestoßen hätten. Allerdings heißt es einschränkend, dass dieser Effekt nur klein und vorübergehend gewesen sei.

Für QE spricht: Manche Anleger werden Wertpapiere kaufen

Ökonomen, die sich von Anleihekäufen einer Zentralbank positive Wirkungen für die wirtschaftliche Entwicklung versprechen, setzen eher auf einen anderen Effekt, den der Nobelpreisträger James Tobin (1918 bis 2002)  in einer Reihe einflussreicher Arbeiten vor rund einem halben Jahrhundert analysiert hatte: der sogenannte Portfolioeffekt.2) Er geht davon aus, dass nicht alle Anleger, die der Zentralbank Anleihen verkaufen, das zinslose Geld halten wollen, das sie für die verkauften Anleihen erhalten. Statt dessen ist damit zu rechnen dass diese Anleger mit dem Geld Wertpapiere kaufen wollen, die sie als Substitute für ihre verkauften Anleihen betrachten.

Anleger, die Staatsanleihen mit fünfjähriger Laufzeit an die Zentralbank verkauft haben, könnten beispielsweise auf die Idee kommen, mit dem Geld fünfjährige Unternehmensanleihen zu kaufen. Dies hätte steigende Kurse und sinkende Renditen für Unternehmensanleihen zur Folge. Die Anleger mögen daneben auch den Kauf von Aktien in Erwägung ziehen, wenn sie als Folge der expansiven Geldpolitik eine Belebung der Wirtschaft mit steigenden Unternehmensgewinnen erwarten. Dies hätte steigende Aktienkurse zur Folge.

Diese Umschichtungen von Finanzvermögen können in zweierlei Hinsicht die Wirtschaft beleben: Niedrigere Renditen für Unternehmensanleihen und höhere Aktienkurse führen zu niedrigeren Finanzierungskosten für Unternehmen und können damit zusätzliche Sachinvestitionen anregen. Vor allem auf diesen Effekt zielte seinerzeit Tobin ab.3) Hinzu kommt, dass als Ergebnis höherer Kurse für Anleihen und Aktien der Wert der Vermögen steigt. Dies könnte die Besitzer der Vermögen zu zusätzlichen Konsumausgaben veranlassen.

Die Ergebnisse sind nicht offensichtlich

Auf diese Portfolioeffekte hatte unter anderem der frühere Fed-Vorsitzende Ben Bernanke vertraut. Auch der Chefvolkswirt der EZB, Peter Praet, hatte vor Beginn des Ankaufprogramms seine Hoffnungen auf diesen Effekt gerichtet: “We expect it to be particularly powerful in terms of portfolio-rebalancing effects.” Aber auch dieser Effekt lässt sich nicht leicht nachweisen. Eine Arbeit von Ökonomen der Bank of England kommt zwar zu dem Schluss, dass der Ankauf von Staatsanleihen durch die Zentralbank eine zusätzliche Nachfrage privater Großanleger nach Unternehmensanleihen zur Folge hatte. Allerdings ist ein positiver Effekt auf den Aktienmarkt nicht nachweisbar gewesen.

In den Vereinigten Staaten hatte die Fed in den vergangenen sieben Jahren mehrere Kaufprogramme für Anleihen umgesetzt. Daher liegen dort reiche Erfahrungen vor, die in einer Vielzahl von Studien untersucht worden sind. In den Vereinigten Staaten zielte die Fed vor allem auf den Markt für langlaufende Staatsanleihen, deren Renditen sie senken wollte. Die Ergebnisse dieser Politik sind aber nicht offensichtlich. Es gibt mehrere Studien mit unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Der Ökonom David Thornton von der Federal Reserve Bank of St. Louis gehört zu jenen Autoren, die den Portfolioeffekt nicht nachweisen können. Dies stützt die Ansicht mancher Theoretiker, die Anleihekäufe von Zentralbanken für wirkungslosen Aktionismus halten. Es existieren auch theoretische Modelle, aus denen sich solche Ergebnisse ableiten lassen.4) Insofern sollten auch an das Kaufprogramm der EZB keine zu großen Erwartungen gerichtet werden.

Denkbar sind auch Wirkungen über den Wechselkurs

Damit ist die Geschichte aber nicht zu Ende. Viele Studien spüren zwar nur binnenwirtschaftlichen Wirkungen von Anleihekäufen nach. In zweierlei Hinsicht sind aber auch internationale Wirkungen nachweisbar. So ist denkbar, dass die Zentralbanken mit ihrer Geldpolitik den Wechselkurs ihrer Währung beeinflussen. Eine Abwertung der Währung könnte zumindest vorübergehend den Export und einen leichten Anstieg der Inflationsrate befördern. So ist die öffentliche Diskussion des EZB-Kaufprogramms von einer spürbaren Abwertung des Euros am Devisenmarkt begleitet worden.

Zweitens sind auch Auswirkungen von Anleihekaufprogrammen in Industrienationen auf Schwellen- und Entwicklungsländer denkbar. Aktuell wurde dies in einer Studie aus der Weltbank für Mexiko nachgewiesen. Die sehr niedrigen Renditen für Anleihen aus Industrienationen haben in den vergangenen Jahren viele Großanleger zu Anleihekäufen in Schwellenländern bewogen. Gleichzeitig haben die Abwertungen von Währungen aus Industrienationen Schwellenländer zu Senkungen ihrer Leitzinsen veranlasst, um die Aufwertungen ihrer Währungen zu bremsen. Der Export der Wirkungen von Anleihekäufen in Schwellenländer wird von zahlreichen Ökonomen sehr kritisch gesehen (ein Beispiel ist hier), weil er mit Gefahren für die Stabilität des internationalen Finanzsystems einhergehen kann. Davor warnen unter anderem Experten aus der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich.

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1) Der “bank lending channel” wird angedeutet in einer Arbeit von James Tobin und William Brainard. Als eigentliche Quelle gilt ein Aufsatz von Ben Bernanke und Alan Blinder. Eine moderne, gut lesbare Darstellung stammt von Piti Disyatat.

2) Tobins Forschungsprogramm hatte zahlreiche Veröffentlichungen zur Folge; ohne Mathematik lesbar ist dieser aus einem Vortrag stammende Text, der wichtige Punkte zusammen fasst.

3) Das führt zum berühmten “Tobin’s q”.

4) In FAZIT haben wir die theoretischen Grundlagen vor knapp einem Jahr in einem Beitrag beschrieben.