Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Geld aus dem Hubschrauber

Die Notenbanken sollen das Geld direkt den Bürgern überweisen, fordern jetzt manche. Um schneller die Konjunktur anzukurbeln, die Inflation anzuheizen. Eine faszinierende Idee – doch kann sie wirklich funktionieren?

Was würden Sie tun, wenn Sie nächste Woche auf Ihrem Konto auf einmal 5000 Euro mehr entdecken würden? Geld, um das Sie nicht gebeten hätten, das Ihnen aber die Zentralbank überwiesen hätte wie jedem Bürger der Euroländer, mit freundlichen Grüßen aus Frankfurt? Wahrscheinlich würden Sie sich erst einmal freuen und fragen, was Sie damit jetzt anfangen. Wenn Sie etwas Ahnung von Geldpolitik haben, wären Sie zudem verwirrt. Denn die Zentralbank kann den Bürgern eigentlich gar kein Geld überweisen. Sie kann nur denjenigen Geld gutschreiben, die ein Konto bei ihr haben. Das sind vor allem Banken.

Lassen wir diesen Gedanken aber erst einmal beiseite und betrachten das Szenario, in dem jeder Bürger 5000 Euro mehr auf dem Konto hat. Es ist eine gerechtere Version des Bilds, das Milton Friedman in seinem berühmten Essay “The Optimum Quantity of Money” im Jahr 1969 erfand. Da lässt er über dem Land einen Hubschrauber kreisen, der 1000-Dollar-Scheine abwirft. Jeder Bürger hebt gleich viel auf, ist um gleich viel reicher. Das “Hubschrauber-Wunder” nennt Friedman das.

Faszinierendes Gedankenexperiment

Wenn Zentralbanken nicht mehr weiterwissen, kommt dieses Bild häufig zurück: Man könnte ja auch den Hubschrauber Geld abwerfen lassen.

Als Gedankenexperiment hat das Helikopter-Geld natürlich Charme. Erstens erscheint es auf den ersten Blick irgendwie gerecht, wie eine Art einmaliges bedingungsloses Grundeinkommen von der Zentralbank. Zweitens umgeht es die Banken, die normalerweise dafür zuständig sind, die Geldpolitik an die Leute, die Firmen und die Wirtschaft weiterzugeben. Das Ansehen der Banken hat seit der Finanzkrise stark gelitten. Notenbanker werfen ihnen gerne vor, dass sie es einfach nicht schaffen, die Geldpolitik unter die Leute zu bringen. Drittens umgeht man auch den Staat, der derzeit ebenfalls dafür genutzt wird, Geldpolitik zu machen. Die großen Zentralbanken der Welt kaufen Staatsanleihen ihrer Länder, um damit Geld in den Markt zu bringen und die Wirtschaft anzukurbeln. Dummerweise kann die Notenbank dem Staat nicht vorschreiben, was er mit dem billigen Geld macht. Beschließt er, das Geld zu sparen – wie etwa zuletzt Deutschland das tat -, dann kommt das Land zwar besonders günstig von seinen Schulden herunter, aber es macht nicht das, was die Notenbanker wollten: Geld ausgeben, um Wachstum und Inflation anzuheizen.

Wenig überraschend, dass die Helikopterpolitik einigen Ökonomen und Notenbankern sehr verlockend erscheint. Wenn man nur das Geld direkt an die Leute geben könnte, so die Idee, dann würden sie es schon ausgeben, dadurch die Wirtschaft ankurbeln, Inflation und Löhne treiben, für Dynamik sorgen. Sie würden also all das schaffen, was der derzeitigen sehr unkonventionellen Geldpolitik zumindest in Europa nicht recht gelingen mag. Jüngst sang das Loblied des Helikopter-Gelds unter anderem Adair Turner, ehemaliger Chef der britischen Finanzregulierungsbehörde FSA, der heute für George Soros’ Think Tank “Institute for New Economic Thinking” arbeitet. (Hier ist ein FAZIT-Beitrag über Turners Konzept.)

Wie soll es nur gehen?

Aber Vorsicht ist geboten. Denn die meisten dieser Ökonomen beziehen sich nicht auf das Helikopter-Geld, so wie es Friedman diskutierte. Wie schon anfangs erwähnt, kann die Zentralbank den normalen Europäern nicht direkt Geld überweisen. Sie könnte es höchstens jedem einzeln als Bargeld in die Hand drücken, was sehr aufwendig und teuer wäre. Sie braucht deshalb stattdessen einen Mittler. Das sind wieder: entweder die Banken oder der Staat.

Über die Banken ist es relativ schwierig, denn viele Bürger besitzen mehrere Konten, manche gar keins oder nur im Ausland: Wie soll man da garantieren, dass jeder nur einmal Geld bekommt? Über den Staat geht es besser, denn er hat einen genauen Überblick über seine Bürger. Wie man das machen könnte, das hat schon Ben Bernanke, der einstige Präsident der amerikanischen Notenbank, vor 13 Jahren einmal am Beispiel Japans erläutert. Er schlug vor, dass Zentralbank und Regierung zusammenarbeiten. Die Notenbank gibt der Regierung Geld, und die wiederum verteilt es an die Bürger. Das kann man sich in Form von Steuererleichterungen vorstellen oder auch ganz simpel als Scheck, den jeder Bürger vom Staat bekommt. Direkt Geld an den Staat geben, das geht zwar in Europa auch nicht, aber das könnte man natürlich auch über den Umweg machen, dass die Notenbank Staatsanleihen kauft – schon wären wir bei einer jetzt schon gängigen Praxis. Man müsste also eigentlich nur den Kauf von Staatsanleihen ergänzen durch ein großes staatliches Konjunkturprogramm mittels Schecks an Haushalte – und schon wäre man bei dem, was manche Helikopter-Geld nennen.

Der Traum der Notenbank, auch über die Regierungen zu bestimmen

In Wirklichkeit ist das also gar keine neuartige Geldpolitik, sondern einfach eine Kollaboration von Zentralbank und Politik. Oder genauer: der Traum der Notenbanker, dass sie auch bestimmen können, was die Regierungen tun.

Eine solche Zusammenarbeit ist natürlich gegen alle Prinzipien etwa der Europäischen Zentralbank, sie wird deshalb aus deren Reihen auch nicht vorgeschlagen. Die aus historischen Gründen stets hoch gehaltene Unabhängigkeit wäre sofort verloren, und es stellte sich die berechtigte Frage: Werden die Bürger ihrem Geld noch vertrauen, wenn sie wissen, dass die Herrscher über das Geld ihre eigenen Prinzipien über Bord werfen? Der Verdacht lautet: Nein. Sie werden Angst bekommen, dass Staat und Notenbanken so eng miteinander kuscheln, dass sich bei nächster Gelegenheit der Staat einfach sein Geld selbst druckt, wenn er es braucht – egal ob das geldpolitisch Sinn ergibt.

Vertrauen ist ein eher langfristiges Phänomen, schwer zu fassen. Doch auch schon ganz kurzfristig ist die Helikopterpolitik nicht die Wunderwaffe, als die manche sie sehen. Denn sie ist ja, wie gesagt, nur eine Kombination aus Möglichkeiten, die längst ausprobiert wurden und werden. Sie bringt deshalb höchstwahrscheinlich weniger, als viele glauben.

Die Idee ist, dass die Bürger das Geld, das sie bekommen, erstens wirklich sofort ausgeben und es zweitens auch noch sinnvoller tun als der Staat oder die Banken. Leider lautet die Erfahrung, dass beides nicht unbedingt passiert. Die Millionen Amerikaner, die in der Finanzkrise im Jahr 2008 Schecks vom Staat bekamen, gaben davon viel weniger aus als erwartet: nur etwa ein Drittel, den Rest sparten sie. Besser sah es aus, als sie im Jahr 2001 erstmals 600 Dollar bekamen. Damals gaben die Amerikaner mehr als die Hälfte davon aus. Sprich: Wenn die Menschen verunsichert sind, dann sparen sie auch geschenktes Geld.

Abgesehen davon, muss man sich natürlich immer die Frage stellen, ob es der Wirtschaft derzeit wirklich so schlecht geht, dass man ein solches Konjunkturprogramm empfehlen würde. Für Deutschland gilt das sicher nicht.

Literatur

Ben Bernanke: “Some Thoughts on Monetary Policy in Japan”, Rede, Tokio, 31. Mai 2003.

Milton Friedman: “The Optimum Quantity of Money” in: “The Optimum Quantity of Money and Other Essays”, Kapitel 1, Verlag Aldine Transactions, New Brunswick, New Jersey, 1969.

Adair Turner: “Between Debt and the Devil: Money, Credit, and Fixing Global Finance”, Princeton University Press, 2015