Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Bachmanns Konferenzgeflüster (7): Das Lohn-Rätsel

Rüdiger Bachmann (University of Notre Dame) stellt ein neues Papier zum Thema Lohnrigidität und Makroökonomik vor – und ordnet es in die faszinierende jüngere Geschichte dieser Disziplin ein.

 

Herr Bachmann, Sie haben gerade eine Konferenz namens ESSIM besucht, im fernen Helsinki. Eine Ihrer Lieblingskonferenzen, wie Sie sagen. Was zeichnet die Konferenz aus?

ESSIM steht für European Summer Symposium in International Macroeconomics, das ist das jährliche Meeting von Europas Makroökonomen, die im Centre for Economic Policy Research, Europas führendem Ökonomen Think Tank, zusammengeschlossen sind; und zwar queerbeet, nicht nur diejenigen, wie der Name vermuten lassen würde, die sich auf Internationale Makroökonomik spezialisieren. Das ESSIM ist deshalb eine meiner Lieblingskonferenzen im Jahreszyklus, da man hier vier Tage Zeit hat, wirklich intensiv und nicht nur im Halbstundentakt über Papiere nachdenken und diskutieren zu können.

Klingt gut. Wenn Sie so viel Zeit hatten, womit haben Sie sich inhaltlich auseinandergesetzt?

Ich wurde dieses Mal eingeladen, um ein neues Papier von Mark Gertler , Chris Huckfeldt und Antonella Trigari , zwei amerikanischen Ökonomen an der New York und der Cornell Universität, sowie einer italienischen Ökonomin von der Bocconi Universität in Mailand, zu besprechen: Unemployment Fluctuations, Match Quality, and the Wage Cyclicality of New Hires .

Dieses Papier gehört zu einer ganz wichtigen Literatur der letzten zehn Jahre, aber um es besser einordnen zu können, muss ich etwas ausholen. Letztlich geht es um eine uralte makroökonomische Frage: wie rigide sind Reallöhne, und wie schnell passen sie sich gegebenenfalls an das gesamtwirtschaftliche Umfeld an?

Warum ist das wichtig?

Dafür gibt es mindestens drei Gründe.

Und zwar?

Nun, wenn man sich einen ganz einfachen Arbeitsmarkt sozusagen als Kartoffelmarkt vorstellt, dann ist der Reallohn der Preis, der diesen Markt, das heisst das Arbeitsangebot der Haushalte und die Arbeitsnachfrage der Unternehmen, ins Gleichgewicht bringt. Da sich die Bedingungen sowohl für das Arbeitsangebot als auch die Arbeitsnachfrage in einer modernen dynamischen, globalisierten Wirtschaft ständig verändern, müsste sich auch der Reallohn ständig anpassen, um entweder ein Überangebot an Arbeit, sprich Arbeitslosigkeit, oder eine Übernachfrage nach Arbeit, sprich Arbeitskraftengpässe, zu verhindern. Da ist die Frage nun in der Tat wichtig – ist der Reallohn so flexibel? Das ist eine Frage, die sich Keynes schon stellte und verneinte.

Klar, der Markt funktioniert nicht immer perfekt. Was noch?

Selbst wenn man von einem gleichgewichtigen Arbeitsmarkt ausgeht, kann man sich leicht intuitiv vorstellen, dass, wenn Reallöhne nicht sehr volatil sind, zum Beispiel wenn das Arbeitsangebot sehr elastisch wäre, sich die Arbeitsmenge am Arbeitsmarkt bei Schwankungen sehr stark anpassen und die gesamtwirtschaftliche Beschäftigung sehr stark im Konjunkturzyklus schwanken müsste. Wenn umgekehrt das Arbeitsangebot sehr unelastisch wäre, dann würden hauptsächlich Löhne schwanken und weniger die gesamtwirtschaftliche Beschäftigung. Das lernt jeder VWL -Student im ersten Semester. Auf dem Immobilienmarkt sieht man das auch, wenn zum Beispiel die Nachfrage nach Immobilien stark ansteigt: in Städten, wo es schwieriger ist, neue Häuser zu bauen, gehen eher die Preise nach oben, auf dem flachen Land wird halt gebaut. Es gibt also einen Trade-off zwischen der Volatilität von Preisen und Mengen in einer Marktwirtschaft, je nachdem, ob Preise oder Mengen die Anpassungslast an Schocks tragen, und das gilt letztlich auch für den Arbeitsmarkt.

Und können das Standardmodelle abbilden?

Im Prinzip schon. Aber es ist in der Tat so, dass Standardkonjunkturmodelle Schwierigkeiten haben, das ganze Ausmaß der Volatilität gesamtwirtschaftlicher Beschäftigungsschwankungen über den Konjunkturzyklus zu reproduzieren, weshalb rigide Löhne oder jedenfalls ein sehr elastisches Arbeitsangebot eine populäre Annahme in solchen Modellen sind, was aber durchaus umstritten ist. Zum dritten sind rigide Nominallöhne, die dann auch zu rigiden Reallöhnen führen, ein Standardmechanismus, um die Wirksamkeit der Geldpolitik auf die reale Wirtschaft zu erklären.

Es ist also hilfreich, rigide Reallöhne anzunehmen?

Jedenfalls bis zu einem gewissen Grade sind rigide Reallöhne schon eine coole Sache und helfen uns mit vielen makroökonomischen Phänomenen weiter. Nur: Ökonomen wollten es immer schon genauer wissen und versuchen, etwas direkter die Flexibilität beziehungsweise allgemeiner das Verhalten der Reallöhne über den Konjunkturzyklus zu messen. Das ist in der Realität allerdings keine so einfache Aufgabe, und zwar aus mindestens zwei Gründen. Erstens ist der Arbeitsmarkt natürlich kein Kartoffelmarkt mit einem relativ homogenen Gut, an dem tagtäglich Preise neu gesetzt werden können. Er ist vielmehr durch Suchfriktionen, langfristige Beziehungen, Verhandlungsmacht und starke Heterogeneität gekennzeichnet. Das bedeutet, zweitens, für die Empirie: Wo soll man den Reallohn überhaupt messen – vom Fließbandarbeiter, der pro Stunde bezahlt wird, oder vom leitenden Angestellten, der ein festes Jahresgehalt plus Boni bekommt.

Wie gehen Ökonomen das Phänomen also an?

Wenn man sich zunächst einmal naiverweise einfache aggregierte Statistiken zum Beispiel für die USA anschaut, etwa das gesamte an den Produktionsfaktor Arbeit gehende Volkseinkommen dividiert durch ein Maß für die gesamtwirtschaftliche Arbeitsmenge, dann stellt man fest, dass dieses Maß nicht sehr stark über den Konjunkturzyklus schwankt und nur schwach mit diesem korreliert ist. In einer bahnbrechenden Arbeit haben die Ökonomen Gary Solon, Robert Barsky und Jonathan Parker 1994 jedoch gezeigt, dass dieser Befund letztlich das Ergebnis einer statistischen Illusion ist: Menschen mit relativ geringem Reallohn haben tendenziell einen stärker über den Konjunkturzyklus schwankenden Arbeitseinsatz als Menschen mit höheren Löhnen. Das heißt, in einem Boom wird deren Gewicht im aggregierten Maß größer als in einer Rezession. Und genau das dämpft den aggregierten Reallohn, weil niedrige Löhne im Boom ein höheres Gewicht bekommen. Wenn man sich dagegen Mikrodaten anschaut, so wie die drei Ökonomen, findet man, dass Reallöhne sehr stark prozyklisch sind, also mit dem Konjunkturzyklus schwanken.

Und was sagt die aktuellere Forschung dazu?

Jetzt springen wir mal 10 Jahre nach vorne in die Mitte der 2000er Jahre. Dort hat gerade ein junger Star der Szene mit einem fulminanten Papier auf sich aufmerksam gemacht, und zwar der jetzt in Chicago lehrende Robert Shimer mit seinem 2005 erschienen Papier: The Cyclical Behavior of Equilibrium Unemployment and Vacancies. Man kann wohl durchaus sagen, dass dieses Papier eines der wirkmächtigsten Papiere in der Makroökonomik des letzten Jahrzehnts war, es wurde bis dato laut Google Scholar über 2000 Mal zitiert.

Worum geht es?

Ganz einfach: Shimer nimmt eines der bis dahin einflussreichsten Modelle zum Arbeitsmarkt, das 2010 mit dem Nobelpreis gekrönt wurde, nämlich das Such- und Matchingmodell von Christopher Pissarides, das eben mit der Vorstellung des Arbeitsmarktes als Kartoffelmarkt aufräumt und nicht nur das Phänomen persistenter Arbeitslosigkeit, sondern auch sehr gut die damals aufkommenden Mikrodaten über Arbeitsmarktbewegungen erklären kann, und macht daraus ein Konjunkturmodell. Ergebnis: Eines unserer einflussreichsten Modelle des Arbeitsmarktes, wenn nicht das einflussreichste, das gut viele Mikrodaten erklären kann, schafft es nicht mal annähernd, die Stärke der Schwankungen der Arbeitslosenrate über den Konjunkturzyklus zu erklären. Die Diskrepanz war riesig. Dieses Phänomen bekam sogar einen eigenen Namen, Shimer-Puzzle, und viele meiner Doktorandenkollegen in den USA haben damals Dissertationen über das Thema verfasst.

Wie ging es nach diesem wissenschaftlichen Schock weiter?

Ein alter Hase wie Robert Hall aus Stanford wollte sich davon natürlich nicht ins Bockshorn jagen lassen und meinte: Moment – die Reallöhne in Shimers Modell sind sowieso viel zu flexibel, lasst uns rigide Reallöhne annehmen, Problem gelöst. Die einfache, oben am Beispiel des Kartoffelmarktes entwickelte Intuition gilt letztlich auch in komplexeren Modellen des Arbeitsmarktes. Und rigide Reallöhne passen laut Hall sogar gut ins Such- und Matchingmodell in dem Sinne, dass es dort durchaus rational sein kann, den Reallohn nicht immer wieder neu zu verhandeln.

Und damit sind wir wieder zurück am Anfang – bei den rigiden Reallöhnen?

Natürlich endet die Geschichte da nicht. Der Nobelpreisträger Pissarides selbst stieg dann in die Arena und argumentierte, unterstützt durch eine empirische Arbeit der Ökonomen Christian Häfke, Marcus Sonntag und Thijs van Rens, dass es gar nicht auf die Rigidität der Reallöhne allgemein ankomme, sondern auf die Löhne, die denjenigen gezahlt werden, die frisch angestellt werden. Und da zeigen die Daten eine klare positive Korrelation mit der Konjunktur: In guten Zeiten wird Neueinsteigern mehr gezahlt. Wenn das stimmte, wäre es wieder nichts mit einer Lösung des Shimer Puzzles.

Ziemlich kompliziert!

Ja, aber jetzt komme ich endlich zum oben genannten Papier von Gertler, Huckfeldt und Trigari. Die argumentieren nämlich zweierlei: Erstens, dass Reallöhne von Neueinsteigern im Boom steigen, könne auch damit zu tun haben, dass die einfach bessere Jobs finden, zum Beispiel von einer Aushilfskraft zu einem Normalangestellten werden. Man müsse schon den Typ Job konstant halten, den man betrachtet. Zweitens, komme es für die Erklärung der Volatilität der Arbeitslosenrate darauf an, ob der Reallohn der Neueinsteiger aus Arbeitslosigkeit rigide ist, weniger auf den Reallohn der Neueinsteiger aus einem anderen Job. Die drei analysieren daher neue Mikrodaten aus den USA und zeigen zwar, dass Häfke, Sonntag und van Rens Recht haben: die Reallöhne von Neueinsteigern sind in der Tat sehr konjunktursensibel. Aber das gilt eben nur für diejenigen, die Jobs wechseln, nicht für diejenigen, die aus der Arbeitslosigkeit kommen. Und für diejenigen, die aus anderen Jobs kommen, handelt es sich wahrscheinlich einfach um bessere Jobs, die in einem Boom zahlreicher zur Verfügung stehen. Wenn sich dieses Ergebnis verfestigt, dann wäre das Shimer-Puzzle gelöst, und die Annahme von nominalen Lohnrigiditäten in die Geldpolitik analysierenden Konjunkturmodellen gerechtfertigt, und man müsste in denen dann nicht so stark auf nur sehr schwer in den Daten zu beobachtende Preisrigiditäten zurückgreifen.

Ist das das letzte Wort?

Sicherlich nicht. Wir müssen besser die Unterschiede in den Daten zwischen den beiden Dreierteams an Forschern verstehen; wir müssen mehr über andere Länder wissen, und andere alternative Erklärungen der Ergebnisse in Gertler, Huckfeldt und Trigari müssen erst noch ausgeschlossen werden: Ich habe zum Beispiel angemerkt, dass deren Ergebnisse auch mit flexiblen Löhnen und der Annahme kompatibel wären, dass jedenfalls bestimme Arbeitslose im Boom es schwerer haben könnten, einen Job zu finden, weil an ihnen eher ein Stigma haftet: Wenn man im Boom fliegt (ohne dass die ganze Firma zumacht), ist man eher verdächtig, nicht der tüchtigste Arbeitnehmer zu sein, was danach mögliche Neuanstellungen erschweren könnte.

Zum Schluss noch eine methodische Bemerkung: Das mag sich für den Außenstehenden wie eine irre Odyssee anhören, bei der keine Fortschritte und vielleicht sogar viele Rückschritte gemacht werden, aber so findet Wissenszuwachs in der modernen Ökonomik statt – theoretische Modelle helfen uns, immer feiner zu verstehen, wo wir in den Daten suchen müssen (bei den Reallöhnen der Neueinsteiger aus Arbeitslosigkeit) und was man quantitativ von einem bestimmten Mechanismus erwarten kann (Shimer-Puzzle), und die Daten helfen uns bestimmte Hypothesen wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher zu machen. Das ist mühsam, macht aber Spaß, weil es fast wie Detektivarbeit ist, und ist letzlich doch fruchtbarer als sozialphilosophische Spekulationen.